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Stadt, Land, Flüchtlingsheim

Carla Bleiker9. Februar 2014

2013 flüchteten so viele Menschen nach Deutschland wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Auch das Dorf Wimbern und das Hamburger Edelviertel Harvestehude sollen Flüchtlinge aufnehmen - zwei Seiten einer Geschichte.

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Das Dorf Wimbern im Kreis Soest. (Foto: Christian Meier)
Bild: DW/Ch. Meier

Unterschiedlicher können zwei Orte in Deutschland kaum sein. Das Dorf Wimbern im Kreis Soest, Nordrhein-Westfalen, hat einen Bolzplatz, zwei Zigarettenautomaten und ist circa drei Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt. Harvestehude ist ein zentraler Stadtteil in der Millionenmetropole Hamburg, direkt an der Außenalster gelegen, mit einer hohen Anzahl von Stadtvillen und Bewohnern aus den oberen Einkommensschichten.

Aber Wimbern und Harvestehude haben auch etwas gemeinsam: Sie sollen das neue Zuhause für einige der Flüchtlinge werden, die aus Bürgerkriegsländern und Konfliktregionen nach Deutschland kommen. In Wimbern wird seit 2012 über die Einrichtung einer sogenannten "Zentralen Unterbringungseinrichtung" diskutiert und in Harvestehude hat die Stadt Hamburg gerade ein Gebäude gekauft, das noch dieses Jahr zu einem Asylbewerberheim werden soll.

Zu viele Flüchtlinge, zu hohe Fluktuation

Als Christian Meier im Oktober 2012 mit anderen Wimbernern den Verein "Dorf Wimbern e.V." gründete, ahnte er noch nicht, welches Thema die kleine Gruppe fast ausschließlich beschäftigen sollte. "Die Überlegung war, dass wir einfach die Geschichte unseres Dorfes lebendig halten", erzählt Meier. Doch dann kam die Nachricht, die alles veränderte: Die Bezirksregierung plant, in dem leerstehenden Marienkrankenhaus am Ortsrand ein Flüchtlingsheim einzurichten. Hier sollen Neuankömmlinge für jeweils drei Monate erste Deutschkenntnisse erlangen und die Grundregeln des Lebens in Deutschland lernen. Der Knackpunkt: Wimbern hat rund 830 Einwohner - und ins Marienkrankenhaus sollen 500 Flüchtlinge einziehen.

Christian Meier neben einem Schild des Marienkrankenhauses. (Foto: Fabian Stratenschulte dpa/lnw)
Christian Meier sorgt sich um sein DorfBild: picture-alliance/dpa

Seitdem beschäftigt sich Vereinsvorstand Christian Meier damit, die Dorfbewohner über neue Entwicklungen zu informieren und Briefe und E-Mails an Politiker zu schreiben; angefangen bei der Bezirksregierung in Arnsberg, über sämtliche Landtagsabgeordnete bis zum Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Denn die Mehrzahl der Wimberner ist mit den Flüchtlingsheim-Plänen nicht einverstanden. "Wenn Sie ein Dorf haben, das 830 Einwohner hat, und sie kriegen dann plötzlich mit einem Schlag einen neuen Ortsteil hinzu, in dem 500 Leute auf engsten Verhältnissen leben - ich weiß nicht, ob ein Ort so etwas verkraften kann", sagt Meier.

Das Marienkrankenhaus in Wimbern wurde vom Land ausgewählt, weil die leerstehende Immobilie und ihre Lage außerhalb des Ortskerns als äußerst geeignet gelten. Das überzeugt die Wimberner aber nicht. Bisher, so Meier, kenne jeder jeden im Dorf. Nach dem Schützenfest, dem zweimal jährlich stattfindenden Höhepunkt des Dorflebens, könnten Frauen ohne jede Sorge allein nach Hause gehen. Sollte das Flüchtlingsheim tatsächlich Realität werden, befürchten die Dorfbewohner eine höhere Kriminalitätsrate. Meier betont, dass er und seine Nachbarn nicht ausländerfeindlich seien. Er wisse aber durch Besuche bei anderen Flüchtlingsunterbringungen in ähnlicher Lage, dass es zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf dem beengten Raum schnell zu Auseinandersetzungen kommen könne.

Zwei Personen im Schatten vor dem ehemaligen Marienkrankenhaus. (Foto: Fabian Stratenschulte dpa/lnw)
Mittelpunkt der Kontroverse in Wimbern: Das ehemalige MarienkrankenhausBild: picture-alliance/dpa

Außerdem sei Wimbern zwar idyllisch, würde den Flüchtlingen aber keinerlei Möglichkeiten bieten: "Hier im Dorf gibt es nichts, nicht mal ein Geschäft oder einen Tante Emma Laden zum Einkaufen", sagt Meier. Und Flüchtlinge in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, wäre bei den bestehenden Plänen für die Übergangsunterkunft auch ein Problem: "Das wird mit solchen Leuten sehr schwierig, weil sie ja nur eine begrenzte Zeit dort sind." Das Heim solle nur eine Übergangsunterkunft für Flüchtlinge sein. Nach sechs bis acht Wochen sollen sie in anderen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen untergebracht sein.

Sinnvolle Unterbringung

"Es macht nicht sehr viel Sinn, Flüchtlinge in einer großen Massenunterkunft, weit weg von Verkehrsanbindungen und Städten unterzubringen", sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Durch Wimbern führen zwei Buslinien: Ein Bus fährt unregelmäßig, etwa alle zwei Stunden, der andere zweimal am Tag. "Diese Form der Unterbringung führt dazu, dass Menschen isoliert und ausgegrenzt werden", so Burkhardt.

Pro Asyl unterstützt eine möglichst dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. Das heißt, dass Flüchtlinge so früh wie möglich in Wohnungen untergebracht werden sollten, wo sie ihre Nachbarn und ihr Stadtviertel kennenlernen können. "Es ist nötig, dass Normalität entsteht im Zusammenleben zwischen Flüchtlingen und der hier lebenden Bevölkerung", sagt der Pro-Asyl-Geschäftsführer.

Flüchtlingsheim neben Luxuswohnungen

Diese Normalität ist auch das Ziel von Hendrikje Blandow-Schlegel. Die Rechtsanwältin lebt im edlen Hamburger Stadtteil Harvestehude. Dort soll, in direkter Nachbarschaft zum Luxuswohnprojekt Sophienterrassen, ein Flüchtlingsheim entstehen. Die Stadt hat laut "Hamburger Abendblatt" gerade für 14 Millionen Euro das ehemalige Kreiswehrersatzamt gekauft und will dort rund 250 Asylbewerber unterbringen. Als Blandow-Schlegel im vergangenen Herbst erstmals von den Plänen hörte, begann sie sofort, für Unterstützung des Projekts zu werben. "Wenn Menschen Familie, Haus und Hof verlieren und sich in Bedrohungssituation ihres Lebens auf den Weg machen, dann ist es unsere Pflicht zu helfen", sagt die stellvertretende Distriktvorsitzende der SPD Harvestehude.

Hendrikje Blandow-Schlegel. (Foto: Marcus Brandt/dpa)
Hendrikje Blandow-Schlegel engagierte sich schon in den 90ern für FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa

Sie gründete eine Bürgerinitiative, aus der nun im Februar die "Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V." werden wird. Der Verein soll den Asylbewerbern bei ihrer Eingewöhnung in den Stadtteil-Alltag helfen. "Es wird Arbeitsgruppen geben für Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung, Deutschunterricht", so Blandow-Schlegel. Außerdem möchten sie und ihre Mitstreiter eine Fahrrad-AG anbieten und den Flüchtlingen zeigen, wo man günstig einkaufen kann. Denn in Harvestehude gibt es zwar viele alteingesessene Familien, die in Stadtvillen leben, aber auch einen Discount-Supermarkt ganz in der Nähe des geplanten Flüchtlingsheims. Die Anwältin aus der norddeutschen Metropole sagt, sie finde es wichtig, "Flüchtlingsunterkünfte nicht immer nur in Stadtteilen anzusiedeln, die sowieso schon belastet sind".

Das ehemalige Kreiswehrersatzamt Harvestehude hinter einem Bushaltestellenschild auf dem "Sophienterrassen" steht. (Foto: Bodo Marks/dpa)
Sophienterrasse in Hamburg: Hier soll das neue Flüchtlingsheim in Harvestehude entstehenBild: picture-alliance/dpa

Wie es mit einer möglichen Unterbringung im 830-Einwohner-Dorf Wimbern weitergeht, steht noch nicht fest. Am geplanten Standort, im Marienkrankenhaus, wurde der giftige Stoff PCB in Deckenplatten festgestellt. Die Sanierung ist abgeschlossen, jetzt warten die Behörden auf die Ergebnisse der Raumluftuntersuchung.