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Starker Gegenwind für organisierte Sterbehilfe

Kay-Alexander Scholz13. November 2014

Im Bundestag zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, dass gewerblich organisierte Sterbehilfe in Deutschland verboten wird. Das zeigte eine außergewöhnliche und emotionale Debatte zwischen den Abgeordneten.

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Bundestag Plenarsaal Sitzung (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Solche Debatten erlebt man im Bundestag selten. Fünf Stunden, 48 Redner im Plenum und dabei lagen noch nicht einmal Gesetzesentwürfe, sondern nur Positionspapiere vor. Die Abgeordneten haben sich in einer offenen Debatte Zeit für ein außergewöhnliches Thema gelassen - für das wohl "anspruchvollste Gesetzgebungsverfahren" der Legislaturperiode, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert es nannte. Die Meinungsgrenzen beim Thema Sterbehilfe laufen über die Parteigrenzen hinweg. Viele Abgeordnete gaben zu, noch keine abschließende Meinung zu haben. Auch sie suchten Orientierung in der Debatte, brachten sich mit teils sehr persönlichen Erfahrungen ein und scheuten die Angst vor öffentlichen Emotionen nicht. So gab es gebrochene Stimmen, zitternde Hände und viel Nervosität auch bei lang gedienten Abgeordneten. Es gehe "heute nicht wie sonst um eine pragmatische Debatte, um einen Interessenausgleich, sondern heute debattieren hier Menschen", sagte Annette Widmann-Mauz von der CDU.

Er sei ob der mit hohem sittlichem Ernst geführten Debatte stolz, Mitglied des Bundestags zu sein, sagte Michael Frieser von der CSU. Die politische Klasse, so sei sein Eindruck, könne dieser Aufgabe gerecht werden. Die SPD-Abgeordnete Carola Reimann sagte: "Es ist gut, dass wir uns viel Zeit nehmen, die wir brauchen, um eine Regelung mit einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz zu beschließen."

Mehrheit gegen das Geschäft mit dem Tod

Volker Kauder erinnerte daran, weshalb es überhaupt politischen Handlungsbedarf gibt. Denn Selbstmord und Beihilfe zum Selbstmord sind in Deutschland straffrei. Mit Patientenverfügungen kann jeder Bürger zudem künstlich lebensverlängernde Maßnahmen im Vorfeld verhindert. Aber es gebe in den letzten Jahren eine Entwicklung, die mit Sorge betrachtet werden müsse, so Kauder: Vereine, die ihren Mitgliedern als Vereinsleistung anbieten zu sterben. Eine "Perversion" sei es, dass je nach Höhe der Mitgliedsbeiträge die Leistung Tod sofort oder erst nach einer Wartezeit in Anspruch genommen werden könnte. "Was hat das mit Humanität zu tun?", fragte Kauder. "Wollen wir so etwas in unserer Gesellschaft haben?".

Wohl nicht, zumindest im Bundestag zeichnet sich eine Mehrheit unter den Abgeordneten ab, die sich gegen aktive Sterbehilfe durch Vereine, gegen das Geschäft mit dem Tod ausspricht. Als Argument dafür kamen auch Erfahrungen anderer Länder zur Sprache. Im US-Bundesstaat Oregon würden kranke Menschen am Ende nur noch den Suizid als Kassenleistung bezahlt bekommen; den Armen würden Therapien entzogen, sagte Hubert Hüppe von der CDU. "Angebot schaffe Nachfrage", das zeigten auch die Erfahrungen in den Niederlanden und Belgien, berichtete sein Parteikollege Michael Brand. Das Gesetz in Belgien sei 25 Mal geändert worden, nun auch für Demenzkranke, Kinder oder Sexualstraftäter. "Wer diese Tür nur einen Spalt weit öffnet, wird sie nicht mehr schließen können", warnte Brand, dessen Positionspapier wohl derzeit die besten Aussicht auf eine Mehrheit hat. Denn sonst würden dort viele Menschen durchgeschoben, die das eigentlich gar nicht wollten.

Rechtsunsicherheit bei manchen Ärzten

In den Reihen von Linkspartei und Grünen gibt es dagegen die Ansicht, Sterbe-Vereine sollten auch zukünftig tätig sein dürfen. Sie halte die heutige Rechtslage klüger als alle Vorschläge, sagte Renate Künast von den Grünen. Vereine könnten eine kompetente Hilfestellung geben, sagte Petra Sitte von den Linken. Sei denn eine aktive Sterbehilfe eine Geringschätzung des Lebens?

Doch die derzeitige Situation funktioniere nicht richtig, entgegnete der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Es gebe unter den Toten viele Fälle mit psychischen Erkrankungen, die hätten gerettet werden könne. Und auf Seiten der Ärzte fehle es an Rechtssicherheit in den meisten Bundesländern. Lauterbach steht hinter einem Positionspapier, dass die Spielräume für Ärzte bei Suizidbeihilfe klarer ziehen will. Denn die Ärztekammern sind keiner einheitlichen Meinung. Ein "strafrechtlich geschützter Raum" zwischen Patient und Arzt des Vertrauens, dem Gewissensfreiheit bliebe, würde Sterbehilfevereine überflüssig machen, sagte Katherina Reiche von der CDU. Auch die Ärztin und SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar mahnte mehr Rechtssicherheit an, um den Konflikt zwischen Strafrecht und Standesrecht der Ärzte zu regeln. Den Verzicht auf eine gesetzliche Regelung für die weithin bekannten "Grenzfälle, bei denen Palliativmedizin nicht mehr helfe" finde sie "feige", sagte die frühere Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Sie plädiere für eine "behutsame Korrektur", um "Ärzten standesrechtliche Konsequenzen zu ersparen", wenn sie Beihilfe zum Sterben leisten. Dafür brauche es dann aber eine gesetzliche Regelung.

In einem Punkt waren sich die Abgeordneten einig. Palliativmedizin, eine in Deutschland noch recht junge Disziplin, und die Hospiz-Bewegung sollten ausgebaut werden. Einen ersten Schritt dahin hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) diese Woche auf den Weg gebracht. Doch auf diesem Gebiet müsse weiterhin viel getan und nachgeholt werden, forderten die Abgeordneten.

"Ich will niemandem zur Last fallen!"

Was ist menschenwürdiges, selbstbestimmtes Sterben? Das Ende gehört mir? Der Selbstmord des prominenten Medienmanagers Udo Reiter vor wenigen Wochen hat in Deutschland die Debatte um aktive Sterbehilfe nochmals befeuert. Reiter, der im Rollstuhl saß, hatte in seinem Abschiedsbrief auch von der Angst vor dem Verlust von Selbstkontrolle geschrieben. "Es ist nicht unwürdig, gefüttert zu werden und nicht mehr allein auf die Toilette gehen zu können", sagte Corinna Rüffer dazu. "Ein Leben lang sind wir abhängig von Menschen." "Was ist das für ein Satz, 'Ich will niemandem zur Last fallen!'", fragte CDU-Generalsekretär Peter Tauber kopfschüttelnd. In die Diskussion gehöre auch ein Gegenbild zum "ewig strahlenden Leistungsträger", sagte Kathrin Göring-Eckhardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Sei es denn richtig, auch noch "den Tod in den Griff kriegen zu müssen", weil man nicht "stören will im Funktionieren"?

Gegen Ende einer inhaltsreichen und differenzierten Debatte stellte der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn zufrieden fest, dass es wohl einen Konsens beim Ausbau der Palliativmedizin und dem Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe gebe. Differenzen gebe es wohl nur beim Patienten-Ärzte-Verhältnis, aber hier dürfe man Probleme "nicht groß reden". Er wünsche sich eine schnelle Gesetzgebung. Und dann wünsche er sich mehr Debatten im Bundestag darüber, "dass Sterben und Tod zum Leben gehören".

Wohl erst im kommenden Februar wird ein Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe in den Bundestag eingebracht werden. Danach beginnt die politische Auseinandersetzung darüber. Das Thema wird die Abgeordneten also noch eine ganze Weite begleiten.