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Stella Goldschlag: eine jüdische Nazi-Agentin in Berlin

Shlomit Lasky
15. Januar 2024

Der Film "Stella. Ein Leben" ist die wahre Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag, die andere Juden an die Gestapo verriet, um zu überleben. Im Fokus steht die Frage: "Was hättest Du getan?"

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Eine blonde Frau raucht
Schauspielerin Paula Beer über Stella: "Sie ist extrem labil und stark abhängig von ihrem Umfeld."Bild: Mathias Bothor/Majestic Film

"Stella. Ein Leben." ist ein heikler Film. Basierend auf der wahren Geschichte einer jüdischen Frau aus Berlin, die während des Holocausts andere Juden denunzierte, behandelt er ein Thema, das gerade in Deutschland, in Zeiten wachsenden Antisemitismus, für Aufsehen sorgen dürfte.

Die Geschichte von Stella Goldschlag ist schon mehrmals erzählt worden. Kilian Riedhof Goldschlags ehemaliger Klassenkamerad, Peter Wyden (früher Weidenreich), schrieb 1992 ein Sachbuch über ihren Fall mit dem Titel "Stella. Eine wahre Geschichte".

In zwei Romanen ist Stella die Hauptfigur, eine Oper gab es, ein Musical, halbdokumentarische Spielfilme und jetzt - nach 2007 mit Cate Blanchett in der Hauptrolle - der nächste Kinofilm.

Dem deutschen Film- und Fernsehregisseur Kilian Riedhof ("54 Stunden: Das Gladbecker Geiseldrama", 2018; "Meinen Hass wirst du nicht haben", 2022) gelingt es, in seiner Darstellung von Stella Goldschlag die richtige Balance zu finden und mit ihr als Opfer zu sympathisieren, ohne ihre Rücksichtslosigkeit zu beschönigen.

Das Ergebnis ist eine perfekt fotografierte, realistische Darstellung des Berlins der 1940er-Jahre mit einer spannenden Handlung.

Opfer oder Täterin?

Der Film beginnt im Berlin des Jahres 1940. Stella (Paula Beer), 18 Jahre alt, blond und blauäugig, steht mit ihrer Jazzband auf der Bühne und singt. Sie verfolgt ihren Traum, Jazzsängerin zu werden. Dabei gibt es zwei große Hindernisse: Erstens wird Jazz von den Nazis als "entartet" verfemt und zweitens ist Stella, obwohl sie wie der Prototyp eines deutschen "arischen" Mädchens aussieht, Jüdin.

Eine Frau im Glitzerkleid mit erhobenen Armen lächelt, hinter ihr stehen Musiker mit Blasinstrumenten
Stella (Paula Beer) singt mit ihrer Jazzband Lieder von Cole Porter und Louis Prima und träumt von einem Auftritt in New YorkBild: Christian Schulz/Letterbox/ Majestic Film

Die junge Frau, die in einem säkularen Haushalt aufwuchs, hat sich nie als Jüdin gefühlt, bis die Nazis beginnen, sie und ihre Eltern zu verfolgen. Alle Bemühungen der Familie Goldschlag, in die USA zu emigrieren, scheitern. Stella und ihre Eltern werden als Zwangsarbeiter in einer Rüstungsfabrik verpflichtet. Zudem steckt sie in einer unglücklichen Ehe mit ihrem Bandkollegen Manfred Kübler (dargestellt von Damian Hardung) fest.

Am 27. Februar 1943 starten die Nazis eine große Razzia, die sich gegen die verbliebenen Juden Berlins richtet. Diese sind - wie Stella und ihre Familie - zu diesem Zeitpunkt überwiegend als Zwangsarbeiter in Rüstungsbetrieben tätig. Da die Frauen und Männer an ihren Arbeitsplätzen verhaftet werden, wird das große Deportationsprogramm als "Fabrikaktion" bezeichnet. In dieser Woche werden etwa 8.000 bis 11.000 Juden verhaftet, mit dem Ziel, die "Entjudung" Deutschlands voranzutreiben.

Stella und ihre Mutter entkommen den SS-Leuten nur knapp, indem sie sich im Keller verstecken. Der Vater war während der Razzia nicht in der Fabrik und entkam ebenfalls der Verhaftung. Stellas Ehemann Manfred jedoch wird nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Alle in Berlin verbliebenen Juden gelten nun als nun illegal und versuchen, in Verstecken zu überleben.

Leben im Untergrund

Um für sich und ihre Eltern Lebensmittelkarten und falsche Dokumente zu beschaffen, tut sich Stella mit dem jüdischen Passfälscher Rolf Isaakson (Jannis Niewöhner) zusammen. Die beiden bilden ein gerissenes Duo, das untergetauchten Juden gefälschte Ausweise zu Wucherpreisen verkauft.

Anfang Juli 1943 werden die beiden erwischt. Stella wird von der Gestapo inhaftiert und erbarmungslos gefoltert. Die Nazis wollen, dass sie den Aufenthaltsort von Cioma Schönhaus verrät - einem untergetauchten jüdischen Passfälscher, der auch Stella mit gefälschten Dokumenten versorgt hat. Sie hat keine Ahnung, wo er steckt.

Stella gelingt die Flucht aus dem Gefängnis. Sie versteckt sich mit ihren Eltern in einem Haus, das kurz darauf von der Gestapo gestürmt wird. Alle drei werden verhaftet und in ein örtliches Sammellager gebracht.

Ein Pakt mit dem Teufel

Um zu verhindern, dass sie und ihre Eltern nach Auschwitz deportiert werden, lässt sich Stella auf einen Deal mit den Nazis ein. Sie beginnt, als "Greiferin" für die Gestapo zu arbeiten und lockt andere Juden in die Falle.

Eine Frau und ein Mann halten auf einer Treppe einen Mann fest
Stella (Paula Beer) und Rolf (Jannis Niewöhner) arbeiten als "Fänger" für die Gestapo und werden von Juden gefürchtet, die in Berlin untergetaucht sind (Spezialbild) Bild: Verena Heller/Majestic Film

Anfangs ist es hart, doch in ihrem verzweifelten Bemühen, ihre Eltern und sich selbst von den Deportationslisten zu befreien, wird sie schnell zäh; sie beginnt sogar, die Jagd zu genießen. Stella betrügt und bestiehlt die Leute, die sie verrät. Der Job bringt Vergünstigungen wie Geld und schicke Klamotten, sie darf sogar frei in Berlin herumlaufen. Als Stellas Eltern trotz ihrer Abmachung mit den Nazis 1944 nach Theresienstadt (und später nach Auschwitz, wo sie ermordet werden) deportiert werden, bleibt sie trotzdem weiterhin Greiferin.

Eine Frau läuft neben einem Zug her und hält die Hände zweier Menschen am Zugfenster
Stella (Paula Beer) wird von ihren Eltern getrennt, als diese in ein Konzentrationslager deportiert werdenBild: Christian Schulz/Letterbox/ Majestic Film

Das "blonde Gespenst"

Regisseur Riedhof stieß vor mehr als 20 Jahren in einer Zeitung auf die Geschichte von Stella Goldschlag. Er war schockiert und fasziniert von dem "Blonden Gespenst", wie sie auch genannt wurde.

Das Drehbuch, geschrieben von Riedhof, Jan Braren und Marc Blöbaum, basiert auf jahrelanger intensiver historischer Recherche, auf Interviews mit Zeitzeugen, auf der Lektüre früherer Werke, auf Gesprächen mit Experten, auf dem Studium der Protokolle von Stellas Prozess in West-Berlin 1957 und der Auswertung von Zeugenaussagen.

Riedhof ist der Ansicht, dass der Film gerade jetzt äußerst relevant ist. "Wir erleben weltweit und hierzulande einen massiven Angriff auf die Demokratie", so der Regisseur in einer Presseerklärung. In Deutschland und in Europa nähmen rechtsextreme, antisemitische und antidemokratische Kräfte wieder zu. "Schneller als wir denken, könnten wir uns in einer Situation wie der von Stella Goldschlag wiederfinden."

Stellas Nachwehen

Der Film lässt das Kriegsende aus und springt direkt zu Stellas Prozess im Jahr 1957, der von der jüdischen Gemeinde West-Berlins angestrengt wurde. Als Zeugen, die ihren Verrat überlebt haben, gegen sie aussagen, bestreitet Stella alles. Sie zeigt keine Gewissensbisse.

Genaue Zahlen gibt es nicht; es wird jedoch geschätzt, dass Stella Hunderte Juden verraten und somit in den Tod getrieben hat. Sie wurde für schuldig befunden und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe musste sie allerdings nicht antreten, da sie nach Kriegsende bereits von einem russischen Militärtribunal zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war und diese gerade abgesessen hatte.

Eine Frau sitzt im Gerichtssaal. Ein Mann in Robe deutet auf sie.
Die echte Stella Goldberg vor Gericht Bild: ZUMA/Keystone/IMAGO

Stellas Prozess in West-Berlin fand zu einer Zeit statt, als es in Westdeutschland immer noch von Nazis wimmelte, deren Verbrechen ungesühnt geblieben waren. Bis zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen, die von 1963 bis 1965 stattfanden, sollten noch sechs Jahre vergehen. Dies waren die ersten Prozesse gegen deutsche NS-Täter nach westdeutschem Recht (bei den Nürnberger Prozessen 1945 - 1949 hatte internationales Recht gegolten).

Eine problematische Figur

Im Film ist Stella anfangs eine scheinbar normale junge Frau, die sich später zu einer skrupellosen Verräterin entwickelt und keinerlei Reue für ihre Verbrechen zeigt. Der preisgekrönten Schauspielerin Paula Beer gelingt es, eine vielschichtige Figur darzustellen: charmant, lebensfroh, verletzlich, einsam, ängstlich, narzisstisch, manipulativ und ihre Schönheit geschickt ausnutzend.

Eine Frau geht mit einem Mann in Robe eine Treppe hoch. Sie werden von Fotografen bedrängt
Berlin 1957: Stella Goldschlag (Paula Beer) wird auf dem Weg in den Gerichtssaal von der Presse belagert (Spezialbild) Bild: Christian Schulz/Letterbox/ Majestic Film

Für Stella Goldschlag gab es kein Happy End. Ihre körperliche und geistige Verfassung nahm mit zunehmendem Alter ab, sie führte ein einsames und isoliertes Leben. Im Jahr 1984 unternahm sie einen ersten Selbstmordversuch. 1994 ertrank sie im Alter von 72 Jahren in einem Weiher. Man geht davon aus, dass sie sich so das Leben genommen hat.

Mit seinem Film möchte Riedhof ein schnelles Urteil über diese Frau in Frage stellen: War Stella eine Täterin oder ein Opfer? Wäre ich zu einem solchen Verrat fähig gewesen, um meine Familie zu retten? Wie weit würde ich gehen, um zu überleben? Hätte ich gegenüber der Gestapo wirklich "nein" gesagt?

"Stella. Ein Leben" kommt im Frankreich am 17. und im deutschsprachigen Raum am 25.  Januar in die Kinos und soll auch in weiteren Ländern die Leinwände erobern.

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch.