Stichwort: 1986 - Bomben auf Libyen
22. März 2011Am späten Montagabend rollen 18 Schwenkflügel-Bomber vom Typ F-111 auf das Flugfeld der Royal Air Force im südenglischen Lakenheath. Das Geschwader hebt ab und dreht gen Süden. Wenig später steigen von Flugzeugträgern im südlichen Mittelmeer 15 Jagdbomber vom Typ A-6E auf. Um zwei Uhr Nachts Ortszeit erreichen beide Bomberstaffeln ihr Zielgebiet, in den nächsten zwölf Minuten gehen 60 Tonnen Munitionnieder. Kaum eine halbe Stunde später ist die Operation "El Dorado Canyon" beendet. "Heute haben wir getan, was wir tun mussten", erklärt bald darauf ein grimmig dreinblickender US-Präsident den Fernsehzuschauern in den USA. "Wenn nötig, werden wir es wieder tun", sagt er. Der Herrscher des "Reich des Terrors", Oberst Gaddafi, habe ein unmissverständliche Warnung erhalten.
Es war die Nacht vom 14. auf den 15. April 1986, als US-Flugzeuge die libyschen Städte Tripolis und Bengasi bombardierten. Der Angriff galt als Vergeltungsaktion für den Terroranschlag auf die bei US-Soldaten beliebte Diskothek "La Belle" zehn Tage zuvor in Berlin. Dabei waren drei Menschen getötet und rund 200 verletzt worden. US-Präsident Ronald Reagan sah die Verwicklung des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi in den Sprengstoffanschlag eindeutig erwiesen.
Gaddafi als Ziel?
Bei dem etwa halbstündigen Vergeltungsschlag wurden Truppenunterkünfte, Hafenanlagen und der militärische Teil des Flughafens von Tripolis bombardiert. In Bengasi waren Kasernenanlagen und ein Militärflugfeld die Ziel. Nach unterschiedlichen westlichen Medienberichten wurden 60 bis 100 Menschen getötet. In Tripolis wurden mehrere Wohnhäuser schwer beschädigt sowie die Botschaften Frankreichs, der Schweiz und anderer Staaten getroffen.
US-Medien gingen davon aus, dass bei dem Angriff Gaddafi getötet werden sollte. Der Diktator überlebte die Bomben auf seine Residenz. Angeblich wurde Gaddafi vom maltesischen Ministerpräsidenten und dem italienischen Politiker Bettino Craxi gewarnt, unauthorisierte Flugzeuge würden sich der libyschen Küste nähern. Die libyschen Staatsmedien meldeten, eine angeblich 15 Monate alte Adoptivtochter Gaddafis sei bei den Anschlägen ums Leben gekommen. Gaddafis Frau und weitere Kinder wurden verletzt.
Libyens Verantwortung an La-Belle-Anschlag erwiesen
Die UN-Vollversammlung verurteilte die US-Angriffe im November 1986 als "Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen und das internationale Recht". Anders als bei der gegenwärtigen Militäraktion handelte es sich 1986 um einen Alleingang der USA, nur die britische Regierung unterstützte die Aktion logistisch. Frankreich verweigerte den USA die Überflugrechte. Die US-Bomber mussten also von England aus einen gewaltigen Umweg via Gibraltar nach Nordafrika nehmen.
Im November 2001 verurteilte das Berliner Landgericht einen Mitarbeiter des libyschen Geheimdienstes wegen des La-Belle-Anschlags zu lebenslanger Haft. Eine von Gaddafis Sohn Saif gegründete, formal unabhängige Entwicklungs-Stiftung und deutsche Opfer-Anwälte einigten sich 2004 auf Entschädigungszahlungen von insgesamt 28,4 Millionen Euro. Im August 2008 vereinbarten zudem die USA und Libyen auf Entschädigungszahlungen für die US-Militärangriffe und die Opfer weiterer libyscher Terroranschläge, darunter die Explosion einer US-Passagiermaschine über dem schottischen Lockerbie mit 270 Toten 1988. Kurz nach der Einigung über die Entschädigungen nahmen Washington und Tripolis Verhandlungen über ein Öl-Handelsabkommen auf.
Autor: Sven Töniges (mit dpa)
Redaktion: Mirjam Gehrke