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KonflikteVenezuela

Streit um Essequibo: Venezuela und Guyana vor einem Krieg?

Isabella Escobedo
9. April 2024

Essequibo im Westen Guayans ist reich an Bodenschätzen - und wird daher auch von Venezuela beansprucht. Das hat die Region nun zum eigenen Staatsgebiet erklärt. Doch dabei geht es nicht allein um Erdöl und Ressourcen.

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Ein Mann trägt eine große Landkarte im Rahmen über eine Straße
Auf dieser Landkarte ist Essequibo bereits ein Teil von Venezuela (am oberen Rand des Fotos)Bild: Ariana Cubillo/AP Photo/picture alliance

Die Spannungen zwischen Guyana und Venezuela schienen nachgelassen zu haben. In dem mehr als ein Jahrhundert alten Konflikt geht es um das Gebiet Essequibo, eine umstrittene Region von 160.000 Quadratkilometern, die reich an Erdöl und anderen Ressourcen ist. Sie wird von Guyana verwaltet - und von beiden Ländern beansprucht.

Im Dezember hatte Venezuela in einem Referendum über die Annexion Essequibos abstimmen lassen. Nach Regierungsangaben hatten die Teilnehmenden mit großer Mehrheit dafür votiert, Essequibo solle zu Venezuela gehören. Der Streit war dadurch wieder aufgeflammt, doch kurz danach einigten sich der venezolanische Präsident Nicolás Maduro und sein guyanischer Kollege Irfaan Ali darauf, auf Gewalt zu verzichten und eine Lösung im Einklang mit internationalem Recht zu suchen.

Venezuela erklärt Essequibo per Gesetz zum eigenen Bundesstaat

Diese Vereinbarung hielt jedoch nicht lange. Am 3. April verabschiedete Venezuela ein Gesetz, das die Region Essequibo zum 24. venezolanischen Staat erklärt. Präsident Nicolás Maduro beschuldigte bei der Gelegenheit auch die USA, "geheime Militärbasen" im Nachbarland einzurichten. Guyana werde nicht von Präsident Irfaan Ali, sondern vom US-Militär, dem US-Geheimdienst CIA und dem US-amerikanischen Ölkonzern ExxonMobil regiert.

Guyana reagierte scharf und verkündete, dass es "die Annexion oder Besetzung eines Teils seines souveränen Territoriums nicht dulden wird" und das neue Gesetz als "flagrante Verletzung der Grundprinzipien des Völkerrechts" sieht. Gemäß eines internationalen Schiedsspruchs aus dem Jahr 1899 gehört das Gebiet "Guayana Esequiba" zum damaligen Britisch-Guayana, das heute die Republik Guyana ist.

Die Sorge steht im Raum, dass der Streit zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert. Der venezolanische Politologe Ángel Medina, ein ehemaliger Abgeordneter der venezolanischen Nationalversammlung, winkt ab: "Es liegt eindeutig nicht im Interesse eines der beiden Länder, Krieg zu führen", sagt er. "Für Venezuela wegen der Krise, in der es sich befindet. Und für Guyana wegen seiner Wachstumsaussichten."

Guyanas Ölreichtum: Ein Weg zum Wohlstand?

Während Venezuela seit Jahren in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise steckt, ist die Wirtschaft Guyanas derzeit eine der am schnellsten wachsenden der Welt. Ángel Medina erwartet, dass der Konflikt künftig wieder diplomatisch ausgetragen wird.

Venezuelas Präsident Maduro instrumentalisiert den Streit um Essequibo

Hinter Maduros Manöver könnte auch eine innenpolitische Taktik stehen, vermutet Ricardo de Toma, ein auf den Essequibo-Konflikt spezialisierter Politologe. Denn das jüngst verabschiedete Gesetz verbietet allen, die sich in dem Territorialstreit gegen die Regierungslinie aussprechen, für ein gewähltes Amt zu kandidieren. Das gibt dem Regime eine weitere Möglichkeit, die Opposition auszuschalten.

Doch das Gesetz hat für die gesamte Zivilgesellschaft "eine Reihe von äußerst gefährlichen Lesarten", warnt de Toma. "Es erlaubt der Regierung, außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, ein ordnungsgemäßes Verfahren zu umgehen und sogar autoritäre Praktiken anzuwenden, um das postulierte nationale Interesse zu verteidigen."

Venezuela, Caracas: An einer Wand hängt ein Poster mit einem Portraits von Nicolás Maduro
Übergroß: Venezuelas Präsident Nicolás Maduro auf einem Plakat in CaracasBild: Juan Barreto/AFP/Getty Images

Außerdem ist Wahlkampf in Venezuela. Und Maduro habe weder wirtschaftlich noch politisch viel vorzuweisen, argumentiert Victor Mijares, Professor für internationale Studien an der Universidad de los Andes in Bogotá, Kolumbien, und Mitarbeiter am German Institute for Global and Area Studies (GIGA). "Er braucht eine Botschaft, und in diesem Fall ist das der Nationalismus, der sich seit Jahrhunderten als sehr wirksame Botschaft erwiesen hat."

Riskanter Schachzug von Maduro

Diese Eskalation des Konflikts kann aber auch auf Maduro zurückfallen. Denn seit April 2023 befasst sich der Internationale Gerichtshof (IGH) mit dem Fall Essequibo. Gerade hat Venezuela dem Gericht Dokumente eingereicht, um seine Ansprüche auf das Gebiet zu bekräftigen. Und dort, glaubt Mijares, könnte die aggressive Haltung Venezuelas für seine Verhandlungsposition kontraproduktiv sein und seinen Anspruch aus rechtlicher Sicht schwächen. Denn Maduro sende die Botschaft, dass er das Urteil des IGH ignoriere, noch bevor es ergangen sei.

Venezuela: Nicolás Maduro hält ein geöffnetes Buch hoch, neben ihm Elvis Amoroso, der klatscht
Umstrittenes Referendum: Präsident Nicolás Maduro und Politiker Elvis Amoroso präsentieren das Votum für eine Annexion EssequibosBild: Federico Parra/AFP/Getty Images

Victor Mijares erkennt ein Muster, das die Präsidentschaft von Nicolás Maduro ebenso auszeichne wie die seines Vorgängers Hugo Chavez: "Der Chavismo opfert oft die historischen und langfristigen Interessen Venezuelas für die unmittelbaren Interessen der Regierungspartei oder des Führers."

Guyanas Regierung nutzt den Konflikt, um sich zu profilieren

Eines ist deutlich: Das aggressive Vorgehen Venezuelas kommt Guyana zugute. Die ehemalige britische Kolonie kann Maduros Anschuldigungen, das Nachbarland beherberge US-Militärbasen in Essequibo, lässig zurückweisen. Es kann sich als ein Land präsentieren, so Ricardo de Toma, das unweigerlich seine Armee stärken und Kooperationsabkommen mit den Vereinigten Staaten unterzeichnen muss. Es positioniert sich als Verbündeter der USA in der Karibik.

In beiden Fällen - in Venezuela wie in Guyana - werde "der Nationalismus, die Souveränität, als Fahne benutzt, die Regierungen intern zu stärken", fasst der Politikwissenschaftler Ángel Medina zusammen. "Es handelt sich um völlig unterschiedliche Regierungen, die sich aber in ihren Praktiken sehr ähnlich sind."