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Zankapfel Parthenon-Fries

Sarah Hucal
5. Januar 2022

Seit 200 Jahren zanken sich Griechen und Briten um die Marmorskulpturen des Parthenon-Tempels der Akropolis. Athen will sie zurück, London gibt sie nicht her. Dass es auch anders geht, beweist nun Italien.

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Antike Marmorskulpturen im British Museum in London
Athen will die "Elgin-Marbles" aus dem Britischen Museum zurückBild: David Cliff/NurPhoto/picture alliance

Als der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis Mitte November 2021 seinen britischen Amtskollegen Boris Johnson in London besuchte, hatte er eine jahrhundertealte Forderung im Gepäck: Ein für alle Mal wollte er dafür sorgen, dass die im Britischen Museum ausgestellten Marmorskulpturen, die einst zum Parthenon gehörten, in ihre Heimat zurückkehren.

Die 2500 Jahre alten Reliefs, die Szenen aus der griechischen Mythologie darstellen, heißen auch "Elgin Marbles", benannt nach Lord Elgin, dem britischen Botschafter im Osmanischen Reich. Er ließ den Marmorfries ab 1801 von der Akropolis entfernen und verkaufte ihn mit viel Gewinn mitsamt Hunderten weiterer antiker Gegenstände aus Athen an die britische Regierung.

Parthenon-Fries an England verhökert

Die Marmorskulpturen bestehen aus Teilen eines Frieses, Metopen (Einzelbildern mit wenigen Figuren) und Figurengruppen. Sie bilden etwa die Hälfte der erhaltenen Skulpturen des Parthenon. Viele ihrer Gegenstücke befinden sich im Akropolis-Museum in Athen. Ihr Ausverkauf an das Britische Museum wurde 1816 nur knapp durch ein Gesetz verhindert, und war damals bereits hoch umstritten. So sprach auch schon der britische Dichter und Schriftsteller Lord Byron von einem "Raub".

Und auch Griechenland spricht seit Langem davon, die Gegenstände seien ihnen gestohlen worden. Das sieht das Vereinigte Königreich anders. Nach Ansicht des Britischen Museums sind sie legal erworben worden - und sollen daher auch bleiben, wo sie sind: in London.

In einer  umfangreichen Stellungnahme auf der Internetseite des Museums erklären die Kuratoren, dass Lord Elgin "mit dem vollen Wissen und der Erlaubnis der damaligen Behörden sowohl in Athen als auch in London gehandelt hat".

Die Mutter aller Restitutionsdebatten

"Dies ist vielleicht das erste Beispiel für eine Restitutionsdebatte", sagt Alexander Herman, stellvertretender Direktor des britischen Instituts für Kunst und Recht sowie Autor des 2021 erschienenen Buchs "Restitution  "The Return of Cultural Artefacts" auf DW-Anfrage.

"Seit über 200 Jahren steht dieses Thema in Großbritannien und natürlich auch in Griechenland auf der kulturellen Agenda", so Herman.

Marmorskulpturen des Parthenon-Frieses im British Museum in London
Der Streit um die Marmorskulpturen steckt festBild: David Cliff/NurPhoto/picture alliance

Griechenland war zu der Zeit, als Lord Elgin die Skulpturen entfernte, von der Türkei besetzt, aber kurz nachdem Griechenland 1832 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erlangt hatte, seien Forderungen auf Rückgabe verschiedener Artefakte laut geworden, sagt Herman, der für seine Forschung beide Positionen in der Debatte um die Parthenon-Skulpturen untersucht hat.

Restitutionsforderung werden weltweit lauter

Die Restitutionsdebatte hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Museen auf der ganzen Welt, von den USA bis Deutschland, haben Objekte zurückgegeben, die unter undurchsichtigen Umständen, in einstigen Hochburgen des Kolonialismus erworben wurden. Unlängst gab Frankreich 26 Kunstwerke an Benin zurück, die aus dem ehemaligen Königreich Dahomey stammten.

Hoch umstritten sind auch die Benin-Bronzen, die im Zentrum des neu eröffneten Ethnologischen Museums im Berliner Humboldt-Forum zu sehen sind und ab 2022 an Nigeria zurückgegeben werden sollen.

Boris Johnson und Kyriakos Mitsotakis in blauen Anzügen vor Downing Street
Boris Johnson und Kyriakos MitsotakisBild: Victoria Jones/PA Wire/picture alliance

Im November 2021 brachte das Deutsche Zentrum Kulturgut-Verluste, 40 Experten aus aller Welt zusammen, um über Raubkunst und die Rückgabe von Kolonialobjekten zu diskutieren. Das Thema ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt - und damit auch der Dauerstreit zwischen Griechenland und dem Vereinigten Königreich.

Boris Johnson fühlt sich nicht zuständig

Das Treffen zwischen den beiden Staats- und Regierungschefs im November verlief nicht so, wie es sich der griechische Premierminister erhofft hatte. Boris Johnson behauptete, "nichts damit zu tun zu haben", und sagte, er verstehe zwar "die starken Gefühle des griechischen Volkes", aber die Angelegenheit sei allein Sache des Britischen Museums und nicht der britischen Regierung.

Das Thema wurde im Oktober von einem beratenden Ausschuss der UNESCO aufgegriffen, der dem Britischen Museum empfahl, den Dialog mit Griechenland zu suchen. 

Offenbar wollen auch viele Briten, dass die Statuen nach Griechenland zurückkehren: Laut einer im November veröffentlichten YouGov-Umfrage sprachen sich 56 Prozent der befragten Briten für die Rückführung der Skulpturen nach Griechenland aus.

Auch andere Stimmen aus dem Vereinigten Königreich haben sich zu Wort gemeldet. Der Schriftsteller und Aktivist Stephen Fry, der eine Reihe von Büchern über die griechische Mythologie verfasst hat, fordert eine Herausgabe der Skulpturen an Griechenland und hat vorgeschlagen, dass das Britische Museum statt der Originale, die Werke mittels 3D-Technologie präsentieren könnte.

Gibt es einen Mittelweg?

Nach Ansicht von Restitutionsexperte Herman haben sich beide Parteien derart in ihren Argumenten verstrickt, dass ein eleganter Ausweg aus der derzeitigen Pattsituation nahezu unmöglich ist.

Antike und Gegenwart: Entdeckungen in Athen

Je mehr beide Seiten auf ihren Standpunkten beharren - das Vereinigte Königreich indem es nachweist, dass die Gegenstände legal erworben worden seien und Griechenland, dass sie gestohlen wurden und in ihr Heimatland gehören - desto mehr verhärtetet sich die Situation. "Beide Seiten müssen in der Lage sein, einen Mittelweg  einzuschlagen, um eine Lösung zu finden", so Herman.

Sollte es jemals zu soweit kommen, wäre dies ein bedeutender Schritt, meint der Wissenschaftler: "Es wäre ein ganz besonderer Moment für die britisch-griechischen Beziehungen, aber auch für Europa und die Welt, zu demonstrieren, dass selbst die hartnäckigsten Streitigkeiten gelöst werden können."

Es geht auch anders 

Dass man sich auch gütlich einigen kann, beweisen gerade Italien und Griechenland: Das Museum für Archäologie Antonino Salinas in Palermo auf der Insel Sizilien hat am Mittwoch (05.01.2022) die Rückgabe eines Ornamentstücks vom berühmten Parthenon-Tempel zugesagt, der in der Antike für die Stadtgöttin Pallas Athene auf der Akropolis errichtet wurde. Das Fragment stammt aus der Ostseite des Parthenons und zeigt den Fuß einer Göttin - vermutlich Artemis -, die auf einem Thron sitzt. Das Museum erwarb es im 19. Jahrhundert käuflich von der Witwe des englischen Konsuls Robert Fagan - wobei nicht klar ist, wie das Fries in seine Hände gelangte.

Zunächst kommt es jetzt für vier Jahre nach Athen, im Austausch für eine kopflose Statue der Göttin Athene und eine antike Vase aus der Sammlung des Akropolis-Museums. Es soll aber später wohl dauerhaft in seiner ursprünglichen Heimat bleiben. Die Rückgabe kam auf Grundlage des italienischen Kodex für Kulturgüter zustande. Der Austausch sei die Frucht von seit Jahresbeginn gepflegten Kontakten von Griechenlands Kulturministerin Lina Mendoni mit der sizilianischen Regionalregierung, hieß es.

Aus dem Englischen adaptiert von Sven Töniges.

Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 18.12.2021.