Streit um die Wahrheit
9. Juli 2011Etwas altmodisch, stets gut gekleidet und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das manch einer als aufgesetzt empfand – so haben viele Deutsche Hannelore Kohl in Erinnerung. Die Frau des Kanzlers der Einheit, des Mannes, der 16 Jahre lang als deutscher Bundeskanzler die Geschicke der Bundesrepublik lenkte. Sie selbst stand stets im Hintergrund, galt als "die Frau an seiner Seite" und genau so heißt auch die kürzlich erschienene Biographie des Journalisten Heribert Schwan. Ein Buch, das derzeit auf den Bestsellerlisten in Deutschland ganz oben steht. Und das die Söhne von Hannelore Kohl mit Verärgerung zur Kenntnis nehmen, denn es verrät Details aus dem Privatleben der Familie, die ihrer Meinung nach nie dazu gedacht waren, veröffentlicht zu werden.
Ein klarer Vertrauensbruch – sagt der Sohn
Hannelore Kohl, geboren 1933, wuchs in einer wohlhabenden, großbürgerlichen Familie in Sachsen auf. Ihr Vater war ein ehrgeiziger Mann, der zunächst Karriere als Ingenieur machte, bevor er 1934 Direktor eines Leipziger Rüstungskonzerns wurde. Wichtige Voraussetzung für diesen Schritt: Er wurde Mitglied in der NSDAP. Bis dahin waren die Fakten bekannt, auch, dass Hannelore und ihre Mutter nach dem Ende des Kriegs vor den russischen Soldaten nach Westen flüchteten. Nicht öffentlich bekannt hingegen war, dass die damals 12-Jährige von russischen Soldaten vergewaltigt und "wie ein Zementsack aus dem Fenster geworfen" wurde. So kann man es nachlesen in Heribert Schwans Biographie. Ein traumatisches Erlebnis, das ihr weiteres Leben geprägt hat, sagt der Autor.
Erfahren hat Schwan dies in zahlreichen Gesprächen, die er mit Hannelore Kohl in den letzten Jahren vor ihrem Tod geführt hat. "Sie wusste, dass ich Journalist bin, sie wusste, dass ich Filme drehe und Bücher schreibe", sagte er in einem Gespräch mit der Deutschen Welle, "sie wollte das veröffentlicht haben." Der älteste Sohn, Walter Kohl, hingegen spricht von einem klaren Vertrauensbruch gegenüber seiner Mutter. "Ich kenne die Kriegserfahrungen aus den Erzählungen meiner Mutter und ich weiß, dass meine Mutter diese Kriegserfahrungen nicht öffentlich machen will und auch nicht öffentlich machen wollte", sagte er in einem Interview Anfang Juli im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). "Wenn meine Mutter das wüsste, würde sie sich im Grab umdrehen."
Eine bemerkenswerte Frau…
Heribert Schwan war eine Zeitlang regelmäßiger Gast im Hause Kohl. Er half dem Altkanzler Ende der 1990er Jahre beim Schreiben seiner Memoiren und kam so auch in näheren Kontakt mit seiner Frau Hannelore. "Wir haben Spaziergänge gemacht, sie ging ja wegen der Lichtallergie nur noch spät nachts spazieren, und da habe ich sie begleitet und wir haben über ihr Leben gesprochen." Dabei lernte er eine witzige und intelligente Frau kennen, wie er sagt, die "Spaß haben konnte, die aber auch verletzten konnte". Und eine Frau, die es – nicht nur aufgrund der Kriegserlebnisse – oft schwer hatte.
Hannelore Kohl galt in den Medien lange Zeit als die "biedere Barbie" aus der Pfalz, das "Heimchen am Herd", das dem erfolgreichen Mann den Rücken frei hält. Und tatsächlich hat sie ihre eigene Karriere für die ihres Mannes aufgegeben, was in der damaligen Zeit aber wiederum nicht unüblich war. Sie hatte zunächst an einer Dolmetscherschule studiert, musste ihr Studium nach dem Tod ihres Vaters allerdings abbrechen, um Geld für sich und ihre Mutter zu verdienen. Später ließ sie sich zur Fremdsprachensekretärin für Englisch und Französisch ausbilden und arbeitete beim Chemiekonzern BASF bis sie im Juni 1960 heiratete. Von ihren Sprachkenntnissen aber sollte sie noch profitieren. An der Seite ihres Mannes traf sie bei Staatsbesuchen die Spitzenpolitiker dieser Welt und konnte – im Unterschied zu Helmut Kohl – ohne Mühe mit dem französischen oder amerikanischen Präsidenten in deren jeweiliger Landessprache parlieren.
… die Journalisten nicht mochte
Gut 30 Jahre lang begleitete Hannelore Kohl die politische Karriere ihres Mannes, der 1969 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wurde und 1982 schließlich Bundeskanzler. In den 1960er Jahren kamen die Söhne Walter und Peter zur Welt, die die Mutter so gut es ging aus der Öffentlichkeit und dem politischen Geschehen herauszuhalten versuchte. Ein ganz normales Familienleben aber gab es für die Familie Kohl nicht – das ist spätestens klar, seit Walter Kohl zu Beginn dieses Jahres seine Autobiographie veröffentlichte. Ein Buch, in dem er unter anderem die schwierige Beziehung zu seinem Vater schildert, der zu Hause vor allem durch Abwesenheit glänzte. Schon da kamen viele Details aus dem Privatleben der Kohls an die Öffentlichkeit – ob das im Sinne der Mutter war, auch das kann wohl niemand beantworten. Walter Kohl beschreibt seine Motivation, dieses Buch zu schreiben, als eine sehr persönliche: Es sei keine Abrechnung mit dem Vater, sondern vielmehr ein Akt der Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit.
Wie aber ging die Ehefrau mit der ständigen Beanspruchung ihres ambitionierten Mannes durch die Politik um? Sie erfüllte ihre Aufgabe als Kanzlergattin mit "Disziplin und preußischer Pflichtauffassung", schreibt Heribert Schwan. In den 1980er Jahren beschloss sie, sich verstärkt sozial zu engagieren und gründete eine Hilfsorganisation zur Unterstützung Hirngeschädigter, für die sie fortan warb und Spendengelder sammelte und dafür sogar Fernsehauftritte in Kauf nahm, die sie früher eher gescheut hatte. Journalisten gegenüber war sie äußerst misstrauisch, vor allem wenn das Thema auf das Privatleben der Familie zu sprechen kam. Diese Ablehnung bekam auch er bei den ersten Gesprächen mit ihr zu spüren, sagt Heribert Schwan. Er schrieb damals an einer Biographie über ihren Mann. Später aber scheint sie Vertrauen zu ihm gefasst zu haben. Doch was sie sagte, erzählte sie ihm nicht als einem Freund, betont er, sondern sie sprach zu dem Mann, der zuständig war für die Memoiren ihre Mannes. "Sie wollte, dass ich ihre Sichtweise aufnehme", so Schwan.
Lichtallergie – ja oder nein?
Aus diesen Gesprächen entnahm Heribert Schwan auch, dass sie am Ende eine sehr einsame Frau war. Hannelore Kohl litt seit 1993 an einer Lichtallergie, die zum Schluss so weit ging, dass sie sich nur noch in abgedunkelten und künstlich gekühlten Räumen aufhalten konnte. Eine Existenz, die so nicht mehr auszuhalten war. Hoffnung auf Heilung hatte sie keine mehr, wie sie 2001 in dem Abschiedsbrief an ihren Mann schrieb.
Ob sie allerdings wirklich eine Lichtallergie hatte – Buchautor Schwan, der auch mit den sie damals behandelnden Ärzten gesprochen hat, bezweifelt das. Er sieht den Anfang von Hannelore Kohls Leiden in den traumatischen Erlebnissen ihrer Kindheit: "Die Frau kann man nur verstehen, man kann sie nur interpretieren, mit all ihren Krankheitssymptomen, wenn man begreift, was sie als 12-Jährige erleben, erleiden, erdulden musste: seelisch, psychisch wie physisch. Nur so ist sie zu verstehen." Eine Psychotherapie aber sei für sie nicht in Frage gekommen, zu groß sei die Angst gewesen, ihr Leben und ihr Leid darlegen zu müssen, zu groß die Angst, dass alles an die Öffentlichkeit kommen würde.
Dass die Krankheit seiner Mutter auch psychosomatisch begründet war, bestreitet Walter Kohl nicht. Doch Schwans Interpretationen gehen ihm zu weit. So weist er dessen Vermutung, dass es eventuell schon im Jahr 1993 einen ersten Selbstmordversuch gegeben haben könnte, als schlichtweg "falsch" zurück. Es habe sich damals, so der Sohn, ganz klar um eine Fehlbehandlung des behandelnden Arztes gehandelt. Dafür gebe es Belege, die er bei Schwan hingegen vermisse.
Und wo steht Vater und Ehemann Helmut Kohl in dieser ganzen Debatte? Der Altbundeskanzler hält sich zurück, hat aber eine schriftliche Erklärung abgegeben, in der er zum Ausdruck bringt, dass er die "öffentliche Zurschaustellung und Vermarktung" seines Privatlebens für "unangemessen" hält und zudem "in wesentlichen Punkten mit der Wahrheit nicht in Einklang" stehe. Ob er damit allerdings nur das Buch von Heribert Schwan meint oder auch das seines Sohnes Walter, bleibt offen.
Autorin: Petra Lambeck
Redaktion: Cornelia Rabitz
Heribert Schwan: "Die Frau an seiner Seite. Leben und Leiden der Hannelore Kohl". Heyne Verlag. 320 Seiten. 19,99 Euro. ISBN-13: 9783453181755.
Walter Kohl: "Leben oder gelebt werden. Schritte auf dem Weg zur Versöhnung." Integral Verlag. 272 Seiten. 18,99 Euro. ISBN-13: 9783778792049.