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"Er hat das als Verpflichtung angesehen"

Das Interview führte Marc von Lüpke18. März 2013

Ewald-Heinrich von Kleist war der letzte Überlebende der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944. Kurz nach Kleists Tod im März 2013 erinnerte sich der Historiker Michael Stürmer in einem Interview an Ewald von Kleist.

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Schwarzweißaufnahme von Ewald Heinrich von Kleist aus dem Jahr 1974 (c) dpa - Report
Ewald Heinrich von Kleist 1974Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Professor Stürmer, wann haben Sie Ewald von Kleist kennengelernt?

Michael Stürmer: Er hat mich 1982 eingeladen zur Wehrkundetagung nach München. Das ist die heutige Sicherheitskonferenz. Und da war er für mich ein Mann aus den Geschichtsbüchern. Er leitete sehr kühl, sehr sachlich und sehr distanziert. Er war eine Person von großer Autorität, und er strahlte diese Autorität auch aus.

Wie würden Sie seine Persönlichkeit charakterisieren?

Er war ein Landadeliger aus Pommern. Er war ein Jäger - noch in sehr fortgeschrittenem Alter ist er nach Kanada auf die Bärenjagd gegangen. In der privaten Situation hatte er sehr scharfe und klare Meinungen. Kleist hatte geradezu einen Röntgenblick auf Sachen und Menschen, eingeschlossen sehr hochgestellte Menschen. Vor Bundeskanzlern, Verteidigungsministern und Außenministern hatte er nur begrenzte Achtung. Er hatte jedoch Achtung für das Amt.

Michael Stürmer
Historiker Michael StürmerBild: picture-alliance/dpa

Wie konnte ein solcher Amtsträger seine Achtung erwerben?

Er musste ihn sich durch die Klarheit seines Denkens, seines Sprechens und seines Handelns erwerben.

Spielten diese Eigenschaften eine Rolle für Kleists Weg in den Widerstand gegen Hitler?

Das ist jetzt eine Rückwärtsprojektion. Die Rolle im Widerstand war ihm von Hause aus mitgegeben. Der Vater war ein pommerscher Konservativer, ein preußischer Konservativer, der von den Nationalsozialisten sozusagen in der ersten Phase der "Machtergreifung" ins KZ gesperrt wurde und der unerbittlich war in seiner Gegnerschaft zum Regime. Und Ewald von Kleist selbst hat mir einmal gesagt: Spätestens am 30. Juni 1934, das war der sogenannte Röhm-Putsch, hätte die Generalität dem Regime ein Ende setzen müssen.

Was hat Ewald von Kleist in dieser Zeit getan?

Er ist später in das Infanterieregiment 9 gegangen. Und dieses Regiment war eine Einheit der ganz besonderen Art. Es trug in sich die Tradition der alten Garderegimenter Preußens. Und das war für die spätere Verschwörung sehr wichtig: Man kannte einander, man war miteinander verwandt. Und es gehörte dazu, nicht mit diesem doch vulgären und terroristischen Regime zusammenzuarbeiten. Dieses Regiment war also sehr früh eine Art von moralischer Auffangstellung.

Was waren Ewald von Kleists persönliche Gründe, sich dem Widerstand gegen Hitler anzuschließen?

Das hat er sehr genau erklärt. Er hat von Stauffenberg gesprochen. Stauffenberg wurde von Kleist beschrieben als eine durch und durch charismatische Persönlichkeit. Man muss bedenken, dass alle Widerständler sehr jung waren: Stauffenberg war noch nicht 40, als er das "Dritte Reich" stürzen wollte. Kleist war Anfang 20. Es war das Feuer der Jugend dabei, auch die Begeisterungsfähigkeit. Und die Opferwilligkeit. Das war also der Übergang zum Aktiven, sich selber opfern.

Ewald von Kleist sollte selbst ein Attentat auf Hitler verüben?

Das ist die berühmte Szene, die er beschrieben hat: Wie Stauffenberg zu ihm sagt: "Kleist, wir suchen jemanden, einen jungen Offizier, der bei einer Uniform-Vorführung Hitler umbringt." Ein in der preußischen Militärtradition sehr ungewöhnliches Ansinnen: das Selbstmord-Attentat. Ewald von Kleists Vater sagte zu ihm: "Du musst das tun. Wer das verweigert, wird seines Lebens nie mehr froh."

Aber es kam nie zu der Uniform-Vorführung bei der Kleist Hitler töten sollte?

Die Uniformvorführung wurde dann abgesagt.

Die Trümmer des misslungen Hitlerattentats 1944 mit Reichsmarschall Hermann Göring und dem Chef der «Kanzlei des Führers», Martin Bormann im Führerhauptquartier Foto: dpa
Misslungenes Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 in der WolfsschanzeBild: picture-alliance/dpa

Die Geschichte des Umsturzversuches vom 20. Juli und sein tragisches Scheitern sind bekannt. Was aber hatte sich Ewald von Kleist erhofft, falls der Staatsstreich erfolgreich gewesen wäre? Wie sollte ein Deutschland ohne Hitler sein?

Sie dürfen nicht vergessen: Mit Kleists 22 Jahren hat man nicht unbedingt die Vorstellungen von einem entwickelten Staatswesen, einer neuen Gesellschaft oder neuen Moral und auch einer neuen Verfassung. Dafür war Kleist zu sehr Soldat mit soldatischer, taktischer und strategischer Prägung. Er hatte auch nicht studiert. Diese Art des Denkens war nicht seine Sache. Erst mal die Gestapo und die SS entwaffnen, die Truppe ordnen und dann eine politische Konzeption entwickeln. Das war aber nicht die Sache des 22-jährigen Leutnants von Kleist. Da war Kleist Teil einer viel größeren Gruppe von Leuten, die sehr viel mehr rechtsstaatlich als demokratisch dachten.

Herr von Kleist hatte das große Glück, die Verfolgung durch die Gestapo zu überleben. Sein Name wird aber nicht nur für immer mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Erinnerung bleiben, sondern auch mit der heutigen Münchener Sicherheitskonferenz. Warum hat Herr von Kleist 1962 eine solche Konferenz ins Leben gerufen?

Vor 50 Jahren gab es zuerst die Berlin-Krise, die mit dem Mauerbau ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Es gab die Kuba-Krise und den ungeregelten Wettlauf der nuklearen Rüstung. Und es gab das Problem des geteilten Deutschland. Und all das erforderte, dass sich intelligente Menschen zu einem informellen Gespräch zusammenfanden. Wenn sie das den Ministerien überlassen, dann kommen sie nicht sehr weit. Für Ministerialräte waren die Probleme zu groß und zu komplex. Man war am Rande des atomaren Krieges und das erforderte eine Organisationsform der ganz besonderen Art. Einerseits musste sie hohe Kompetenz und politische Verantwortung einbeziehen und andererseits aber die Dinge sehr privat halten.

Was wollte Ewald von Kleist ganz genau mit der Wehrkundetagung, wie die Sicherheitskonferenz zunächst hieß, erreichen?

Es ging ihm darum, über die westliche Strategie hinauszukommen. Das war das bloße Eindämmen des Ostblocks. Er wollte zu einem geregelten Nebeneinander der feindlichen Blöcke kommen. Aber ohne dabei die deutschen Interessen zu opfern.

Ewald von Kleist und der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger im Gespräch Foto: Andreas Gebert dpa/lby pixel
Ewald von Kleist und der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger auf der 48. SicherheitskonferenzBild: picture-alliance/dpa

Wie gelang es ihm, die vielen wichtigen Strategen und Politiker nach München zur Wehrkundetagung einzuladen?

Er hatte enorme Verbindungen. Kleist war damals bekannt und berühmt, ohne dass er sich daraus viel machte. Er galt als ein moralischer und militärischer Held. Wenn Kleist nach Amerika kam und vorgestellt wurde als der Mann, der sich mit Hitler in die Luft sprengen wollte, um die Welt oder wenigstens Deutschland zu retten, dann hatte er sich zumindest moralisch den roten Teppich gesichert. Diese Position hat er genutzt, um unter privatem Titel einzuladen. Die Wehrkundetagung, wie die Sicherheitskonferenz zunächst hieß, war ein Verdienst der gesamten Familie von Kleist. Kleist konnte jeden anrufen in der Welt, der etwas zählte, und brauchte nicht lange zu erklären, wer er war.

Also war Ewald von Kleist durch seine Geschichte eine sehr einflussreiche Persönlichkeit?

Er hat das eher als Verpflichtung gesehen.

Herr von Kleist war Offizier. Wie hat er das Verhältnis Zivilgesellschaft und Militär gesehen?

Er hat nie die Illusion gehabt, dass das Militär eine prägende Kraft in der Nachkriegsgesellschaft sein würde. Niemand, den ich erlebt habe, war sich so sehr darüber im Klaren, wie tief der Bruch von 1945 war.

Und wie bewertete er die Stellung des Militärs in der Bundesrepublik Deutschland?

Es ging ihm nicht so sehr um das Militär, sondern eher um diesen eigentümlichen deutschen Generalpazifismus, der einerseits aus der Erfahrung und dem Trauma des Zweiten Weltkrieges, andererseits aber auch natürlich aus der unmittelbaren Angst bei einem Konflikt zwischen Ost und West Schlachtfeld zu sein, kam. Kleist dachte anders als der Konsensus der Republik. Er hatte die Fähigkeit, die Dinge auf Entscheidung und Extrem zu stellen. Kleist wagte es, den Ernstfall zu denken und von daher politisches Urteil zu finden. Das kam aus der eigenen Todeserfahrung, denn er hatte sein Leben nun wirklich in die Schanze geworfen. Daher war ihm der gewohnheitsmäßige, inaktive und auch freifahrscheinartige Pazifismus der Bundesrepublik suspekt.

Was war von Kleists Grundüberzeugung?

Als Botschaft wollte Kleist bringen: Amerika braucht Europa, Europa braucht Amerika. Und ganz besonders Deutschland braucht Amerika. Anti-Amerikanismus betrachtete er als Kinderei.

Letztlich war also ein deutscher Patriotismus Antriebsfeder seines Tuns?

Absolut!

Michael Stürmer, geboren 1938, war von 1973-2003 Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Nürnberg-Erlangen. In den 1980er Jahren war politischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl. Michael Stürmer ist Chefkorrespondent der Tageszeitung "Die Welt".