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Gestörte Totenruhe?

Steffen Leidel 7. November 2008

Er ist das prominenteste Opfer des spanischen Bürgerkriegs: Federico García Lorca. Jetzt soll der weltberühmte Dichter exhumiert werden, gegen den Willen der Familie. Doch der Ort der Grabstelle ist ungewiss.

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Federico García Lorca auf einer undatierten Aufnahme (Quelle: AP)
Dichter, Dramatiker, Musiker und Zeichner: Lorca hatte viele TalenteBild: AP

Die Schüsse fielen im Morgengrauen am 19. August 1936. "Sie töteten Frederico, als das Licht erschien. Das Kommando wagte nicht, ihm ins Gesicht zu blicken. Alle schlossen die Augen, beteten: Gott verdamm dich!", schrieb der Dichter Antonio Machado aus Sevilla über den Tod seines Freundes kurz nach dem Mord. Federico García Lorca hatte seine letzte Nacht mit drei anderen Gefangenen an der Straße zwischen den Dörfern Víznar und Alfacar verbracht, in dem ehemaligen Schullandheim "La Colonia", das die Schergen der Faschisten in ein provisorisches Gefängnis verwandelt hatten.

Ruine des früheren Schullandheims La Colonia bei Viznar, Granada (Quelle: Steffen Leidel)
Von 'La Colonia' sind nur noch Ruinen gebliebenBild: Steffen Leidel

Als Homosexueller, Dichter und Linker war Lorca den Faschisten verhasst. Lorca starb nicht allein, der Dorfschullehrer Dióscoro Galindo und die beiden Gewerkschafter Joaquín Arcollas Cabezas und Francisco Galadí teilten sein Schicksal. Es heißt, der Dichter habe nicht daran geglaubt, dass er in den nächsten Stunden hingerichtet werden würde. Alle Hoffnung starb, als ihn ein Wächter darauf hinwies, dass alle vier bald den "Spaziergang" machen müssten. Der "Spaziergang" war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Die Männer wurden auf die Straße geschickt. "Los, lauft!" riefen die Mörder und erschossen die Männer. Die vier Leichen wurden am Straßenrand verscharrt.

Generation der Enkel will Aufklärung

72 Jahre danach kämpft der Enkel Francisco Galadí dafür, die Gebeine seines Großvaters exhumieren zu lassen. Galadí war in den 1930er Jahren ein Anführer der anarchistischen Gewerkschaft. "Er war damals in Granada bekannter als García Lorca", erzählt der 60-Jährige Enkel. Nicht zuletzt auch, weil er der Welt des Stierkampfes angehörte und ein talentierter Banderillero war. "Stellen Sie sich vor: ein Linker in der rechten Welt des Stierkampfes!" Solche Widersprüche gab es zu jener Zeit zuhauf.

Der Bürgerkrieg war ein Bruderkrieg, dem 600.000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Es metzelten Linke wie Rechte. Doch während die Faschisten ihre Toten offen betrauern konnten, war es in der Franco-Zeit ein Tabu über die Gräueltaten an den "Roten" zu sprechen. Erst mit Mitte 20 erfuhr Galadí vom Schicksal seines Großvaters. "Bis heute erstarrt meine Mutter vor Angst, wenn über solche Themen gesprochen wird."

Francisco Galadi ist der Enkel des Gewerkschafters Galadi, der zusammen mit dem Dichter Federico García Lorca 1936 hingerichtet wurde. (Quelle: Steffen Leidel)
Francisco Galadí will die Reste seines Großvaters exhumieren lassen. Sie sollen auf einem Friedhof beigesetzt werdenBild: Steffen Leidel

Dennoch will der Enkel Galadí die Gebeine des Großvaters würdig bestatten. Er gehört der Generation an, die wissen will, was in jenen Jahre geschah. Der Pakt des Schweigens und Verdrängens ist gebrochen. Doch lange kämpfte er vergeblich für eine Exhumierung. "Ich stieß von einem Hindernis auf das andere", sagt der sportliche Frührenter Galadí. Dann wandte er sich zusammen mit der Enkelin des Dorfschullehrers Galindo und anderen Hinterbliebenen an den Richter Baltasar Garzón, der durch das Verfahren gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet bekannt geworden ist. Mit Erfolg: Garzón erklärte sich in einem spektakulären juristischen Manöver zuständig, dem Franquismus den Prozess zu machen. Ein Verfahren mit hohem Symbolwert und mit ungewissem Ausgang, das Spanien spaltet. Garzón ordnete auch die Exhumierung von 19 Massengräbern an. Darunter ist die mutmaßliche Grabstelle Lorcas, dem Autor von Werken wie "Bluthochzeit" oder "Bernarda Albas Haus".

Familie Lorca ist besorgt

Laura García Lorca, Großnichte von Federico García Lorca (Quelle: Fundación García Lorca)
Laura García Lorca, Großnichte von Federico García LorcaBild: Fundación García Lorca

Für die Familie Lorca ist das eine schlechte Nachricht. Stets hat sie sich gegen eine Öffnung der Grabstelle gesträubt. Die Lorcas fürchten vor allem, dass sich die Exhumierung in ein makabres Medienspektakel verwandeln könnte. "Für uns ist der Ort ein Friedhof, ein Ort des Gedenkens an die schrecklichen Morde der Faschisten. Wir hätten uns gewünscht, dass der Ort nicht gestört wird", sagt Laura García Lorca, die Großnichte des Poeten und Präsidentin der Fundación García Lorca im Exklusiv-Gespräch mit DW-WORLD.DE. Man wolle außerdem nicht, dass ein Opfer über die anderen gestellt werde. "Alle waren Lorca" (Lorca eran todos) heißt es deshalb auch auf einem Gedenkstein bei Víznar, der an alle Ermordeten erinnern soll.

"Wir werden uns aber der richterlichen Entscheidung nicht widersetzen und wir wollen auch keine Auseinandersetzung mit den Familien, die die Gebeine ihrer Angehörigen bergen wollen", sagt García Lorca. Im Klartext heißt das: Es gibt erstmals grünes Licht von Seiten der Familie für eine Öffnung der Grabstelle.

Spekulationen um die Grabstelle

Unter einem Olivenbaum soll der Dichter Federico Garcia Lorca zusammen mit drei anderen Männer vergraben sein. (Quelle: Steffen Leidel)
Unter dem Olivenbaum soll der Dichter Federico Garcia Lorca zusammen mit drei anderen Männer vergraben sein.Bild: Steffen Leidel

Unklar ist bislang jedoch, ob Lorcas Gebeine und die der anderen tatsächlich dort liegen, wo sie vermutet werden. Die Landstraße zwischen den Dörfern Víznar und Alfacar schlängelt sich idyllisch an zerklüfteten Berghängen zwischen Olivenhainen und Pinienwäldern entlang. In einer Kurve soll die Grabstelle liegen. Er habe die vier Männer unter einem Olivenbaum in dieser Kurve verscharrt, berichtete in den 1960er Jahren Manuel Castilla dem irischen Historiker Ian Gibson, der mehrer Standardwerke über das Leben des Poeten veröffentlicht hat. Castilla, damals genannt Manolillo der Kommunist, war von den Faschisten am Leben gelassen worden, um für sie als Totengräber zu arbeiten. In den 1980er Jahren bauten die Behörden um die mutmaßliche Grabstelle den Park García Lorca, ein Gedenkstein wurde aufgestellt. Doch es gibt Zweifel, ob Lorca und die anderen wirklich dort liegen.

Mögliche Grabstelle des Dichters García Lorca (Quelle: Steffen Leidel)
Der Ort 'El Caracolar' - Hier könnte die wahre Grabstelle des Dichter seinBild: Steffen Leidel

Francisco Vigueras hat das Leben der drei Männer erforscht, die mit Lorca starben. Der Buchautor ist Mitglied der Bürgerbewegung zur "Wiederherstellung des Historischen Gedächtnis". Er glaubt, dass sich der Zeuge geirrt haben könnte. Er zeigt einen zweiten Ort nur wenige hundert Meter entfernt, genannt "El Caracolar". Er ist dem ersten zum Verwechseln ähnlich. Auch er liegt in einer Kurve, die von Olivenbäumen gesäumt ist. "Castilla war sehr nervös, als er Gibson die Grabstelle zeigte", sagt Vigueras. "Es war mitten in der Franco-Zeit und die Gegend in Viznar war als Kriegsgebiet deklariert." Unter den Bäumen liegt ein großer Stein, darauf ist – wenn auch sehr undeutlich - eine Art Kreuz hineingemeißelt worden. "Mit solchen Steinen markierten die Totengräber die Stellen, wo sie die Leichen verscharrten. Es sollte so verhindert werden, dass Bauern dort ihre Felder anlegten."

Geographie des Terrors

Nur eine Grabung kann das Rätsel lösen, sagt Vigueras. Es gehe jedoch auch darum, die Gräueltaten aus jener Zeit genauer zu erforschen. Rund 3000 Republikaner wurden rund um Viznar hingerichtet, die Leichen in Erdlöcher gekippt. "In Granada wurde bislang kein Massengrab geöffnet. Das ist nach wie vor ein Tabu. Die Behörden wollen davon nichts hören. Deshalb freuen wir uns über die Entscheidung des Richters Garzón einzugreifen", sagt Vigueras.

In den Dörfern Víznar und Alfacar stehen viele Bewohner der geplanten Exhumierung skeptisch gegenüber. Ein alter Mann mit Stock, der am Straßenrand spazieren geht, hat nichts dagegen. "Aber was soll das jetzt bringen, das macht niemanden mehr lebendig." Eine 70-Jährige Frau schimpft: "Das ist Quatsch, nach 70 Jahren hier alles umzugraben, das kostet doch Millionen."

Der 'Barranco' von Viznar (Quelle: Steffen Leidel)
Die Schlucht von Víznar bei Granada: Hier wurden rund 3000 Republikaner hingerichtetBild: Steffen Leidel

Solche Kommentare schmerzen den Enkel Galadí. Ihm gehe es lediglich darum, die Gebeine seines Großvaters würdig auf einem Friedhof zu begraben. "Ich will doch keine Repressalien gegen die Enkel von jenen, die meinen Großvater umbrachten. Das wäre doch verrückt." Seit zehn Jahren kämpft Galadí bereits für die Exhumierung. Sein Vater ist inzwischen gestorben. Seine Mutter lebt noch, ist heute 83. Sie könnte eine würdige Bestattung des Banderillero Francisco Galadí noch erleben.