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Politik

Fremdenhass zerstört den afrikanischen Traum

5. September 2019

Südafrika wird von einer neuen Welle fremdenfeindlicher Gewalt heimgesucht. Die Exzesse richten sich gegen die Schwächsten der Schwachen. Es ist ein brutaler Verteilungskampf, kommentiert Claus Stäcker.

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Unruhen in Südafrika
Bild: AFP/G. Sartorio

Immer wieder geht es gegen die Migranten, in Südafrika, gegen die vier Millionen kwerekwere, wie sie verächtlich genannt werden - vier Millionen, die, analog zur Migrationswelle Richtung Norden, ihr Glück im Süden suchen. Ähnlich wie in Europa ist Migration zur Schlüsselfrage geworden. Was Südafrika dabei wieder und wieder erlebt, zuletzt in großen Wellen 2008 und 2015, ist ein Verteilungskampf am unteren Ende der ökonomischen Leiter. Nach Südafrika wandern oft besser qualifizierte und höher motivierte Glückssucher ein als nach Europa. Häufig sind sie erfolgreicher als Südafrikaner, den entscheidenden Schritt schneller, cleverer, erfahrener, auch: raffinierter, leidenswilliger.

Wer im gescheiterten Nachbarland Simbabwe eine Familie fernversorgen muss, protestiert nicht in Südafrika gegen miserable Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne. Simbabwer, die größte Einwanderergruppe Südafrikas, sind als Arbeitnehmer gefragt, weil sie wenig meckern und ein gutes Business-Englisch sprechen. So werden ihnen schnell Supervisor- und Managementaufgaben übertragen, während ihre einheimischen Kollegen Karrieren oft als eine Art Erbrecht betrachten.

Auch im informellen Sektor, der halb Südafrika ernährt, sind Shops von Somaliern, Pakistanern oder Nigerianern meist erfolgreicher als die Spaza-Shops einfacher Südafrikaner. Zugleich sind es zu oft Nigerianer, die ihr Geld mit Drogen- und Rotlicht-Geschäften machen. Genau das soll der Auslöser der jüngsten Gewaltwelle in der Hauptstadt Pretoria gewesen sein: ein südafrikanischer Taxi-Fahrer, von nigerianischen Drogenhändlern getötet. Es reicht ein Gerücht, um die Wutbürger zu Gewaltakten zu treiben. Und Wut gibt es mehr als genug. Denn auch etwa acht Millionen Südafrikaner wissen nicht, wie sie ihre Familie ernähren sollen.

Eine explosive Mischung 

Hier rächt sich dreierlei: erstens, dass der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) jahrzehntelang unrealistische Heilsversprechen gegeben, zweitens, dass die Regierung Jacob Zuma die Wirtschaft vollends zum Stillstand gebracht und drittens, dass das Bildungssystem über Jahre kaum Fortschritte bei der Vermittlung grundlegender Qualifikationen für den Arbeitsmarkt erzielt hat.

Stäcker Claus Kommentarbild App
Claus Stäcker, Leiter der Afrikaprogramme der DW

Ebenso schwer wiegt, dass der Staat beinahe kapituliert vor der Gewalt. Sie ist ein scheinbar unausrottbarer Alltagsbegleiter geworden. Zynisch gesagt: Fünf oder sieben Tote bei Ausschreitungen sind normal in Südafrika. Laut Statistik werden dort jeden Tag 57 Menschen umgebracht. In Kapstadt, wo sich gerade die wirtschaftliche und politische Elite des Kontinents zum Weltwirtschaftsforum versammelt, protestieren heute Tausende nicht gegen Xenophobie, sondern gegen Gewalt an Frauen. Genug ist genug! rufen sie - nach jüngsten Fällen von brutalsten Vergewaltigungen, Misshandlungen und Tötungsverbrechen.

In Kapstadt ist die Armee in Townships eingerückt, um den blutigen Krieg der Gangs einzudämmen. Die Polizei hatte schon aufgegeben. So alltäglich, so umfassend, so gesellschaftsprägend dominiert das Recht des Stärkeren, dass der rechtschaffene Normalbürger eingeschüchtert und ratlos zurückbleibt. Die Gewalt hat mannigfaltige, oft weit zurück reichende Ursachen. Sie bezeugt aber vor allem das Versagen des Staates. Nicht mal der Mär, Ausländer seien schuld an all der Kriminalität in Südafrika, trat die Regierung überzeugend entgegen. Xenophobe Haltungen wurden mehr oder minder offen geduldet, toleriert, sogar gefördert.

Südafrika, Johannesburg: Ausschreitungen in Malvern
Autohändler vor seinem abgefackelten Betrieb in JohannesburgBild: Getty Images/AFP/M. Spatari

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat nun zumindest die richtigen Worte gefunden. Auch einen nationalen Aktionsplan gegen fremdenfeindliche Gewalt gibt es schon. Aber Papier ist geduldig - die Afrikaner sind es nicht mehr. Nigeria boykottiert schon das World Economic Forum. Auch andere Spitzenpolitiker blieben fern. Nigerianische Popstars sagen geplante Konzerte ab, Sambias Fußballverband ein im nächsten Frühjahr geplantes Freundschaftsspiel. In Sambia und Nigeria wurden südafrikanische Unternehmen, Läden, Fahrzeuge und sogar die Botschaft angegriffen. Tansanier fordern einen Boykott südafrikanischer Produkte.

Afrikaner allerorten sind wütend und verbittert, nehmen die Übergriffe persönlich - hatten sie doch in Apartheidzeiten ihre Schwestern und Brüder im Süden immer unterstützt. So viele Südafrikaner studierten in Nigeria, Tansania, Sambia oder Algerien, genossen Asyl und Privilegien. Umso größer waren die Erwartungen an das neue Südafrika unter dem ANC ab 1994. Mit jedem Lynchmord, jedem geplünderten Shop, jeder niedergebrannten Hütte stirbt nun ein Stück Hoffnung, ein Stück vom panafrikanischen Traum - vom vereinten, boomenden Afrika ohne Grenzen, Zölle und Kriege.

Claus Stäcker hat jahrelang in Südafrika gelebt.