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"Symbolische Unterstützung reicht nicht"

Ruth Wittwer, Washington21. April 2014

Die Ukraine muss sich gegen die russischen "Invasoren" verteidigen, meint Sicherheitsexperte Barry Pavel. Er fände es gut, wenn US-Vizepräsident Biden bei seinem Besuch in Kiew Waffen im Gepäck hätte.

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Barry Pavel (Foto: Taleen Ananian)
Barry Pavel ist Vizepräsident des politisch unabhängigen Thinktanks Atlantic Council in Washington, D.C.Bild: Taleen Ananian

Vizepräsident Biden trifft in Kiew Vertreter der Übergangsregierung und Menschen aus dem Volk. Seine Mission: der Ukraine den Rücken stärken. Gemäß dem Weißen Haus will er mit seiner Reise die Unterstützung der USA für eine "vereinigte, demokratische Ukraine" betonen. Das Land sucht seit der Auflösung der Sowjetunion seinen Platz in Europa. Es wird zwischen prorussischen Kräften und proeuropäischen Strömungen aufgerieben.

Die Wirtschaft in der Ukraine ist am Boden, dazu muss sich das Land gegen heftige russische Aggressionen wehren. Der Besucher aus Washington wird deshalb wohl auch wirtschaftliche und technische Hilfe mitbringen. Biden soll außerdem erneut die Energieversorgung thematisieren. Der russische Staatskonzern Gazprom will Gasrabatte für die Ukraine streichen. Die meisten Gesprächspunkte hatte bereits Außenminister John Kerry bei seinem Besuch in Kiew Anfang März auf der Agenda. Für Joe Biden kommt jetzt noch die Präsidentschaftswahl im Mai dazu. Die USA wollen sicherstellen, dass diese Wahl in der Ukraine sicher und nach demokratischen Regeln über die Bühne geht.

Deutsche Welle: Mit Vizepräsident Biden reist bereits das zweite hohe Kabinettsmitglied der Obama-Regierung nach Kiew. Ist es denkbar, dass bald der nächste in der Rangordnung, Präsident Obama, die Ukraine besucht?

Barry Pavel: Angesichts der instabilen Lage dürfte eine Reise des US-Präsidenten in die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt sehr unwahrscheinlich sein. Außerdem kann Barack Obama nicht viel mehr als Kerry und Biden ausrichten. Es wäre ein weiteres Zeichen der Solidarität, sonst nichts.

Was kann der Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in der Ukraine bewirken?

Wenn der Vizepräsident handfeste, greifbare Maßnahmen ankündigt, dann könnte das ein sehr guter Ansatz sein, um Putin abzuschrecken. Die Ukraine braucht Waffen, um sich gegen die russischen Invasoren im Land verteidigen zu können. Wenn der Besuch nur als symbolische Unterstützung gemeint ist, dann bringt das nichts, denn wenn Biden wieder abreist, wäre alles wie vorher.

Welche Angebote könnten die USA der Ukraine machen?

Mit dem Besuch des Vizepräsidenten wollen die USA vor allem zeigen, dass sie hinter dem ukrainischen Volk stehen, was auch immer das heißt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Besuch handfestere Dinge mit sich brächte, legitime Verteidigungswaffen etwa, Luftabwehr und Kleinwaffen. Für einen souveränen Staat wäre es sehr angemessen, solche Waffen zu erhalten. Zumal das ukrainische Militär nicht genügend ausgerüstet ist. Die Ukraine braucht viel Hilfe.

Hat Biden aus Ihrer Sicht den richtigen Zeitpunkt für seine Reise nach Kiew gewählt?

Ich finde, er hätte schon zwei oder drei Wochen früher hinfliegen sollen. Und das Schlachtfeld ist anderswo, die Ostukraine sollte im Fokus sein. Wenn Biden Material mitbringt, mit welchem sich die ukrainische Übergangsregierung gegen die russische Invasion wehren kann, dann wäre das eine erfolgreiche Mission. Wenn nicht, ist sein Besuch kaum hilfreich.

Wird Vizepräsident Biden bei seinem Besuch auch die Verfassungsreform ansprechen? Russland hat ein föderalistisches Modell gefordert, das den einzelnen Regionen der Ukraine mehr Freiheiten geben soll.

Es ist möglich, dass er das thematisiert. Aber es ist aus meiner Sicht nicht ratsam, sich da einzumischen. Ich denke, es ist nicht angebracht, einem souveränen Staat eine Verfassungsform diktieren zu wollen, egal ob das von Russland oder von den USA kommt. Biden kann höchstens auf ein paar allgemeine Grundsätze hinweisen, etwa die Bekämpfung der Korruption oder dass die Wahlen offen und fair ablaufen sollen. Darüber hinaus steht Amerika keine weitere Einmischung zu. Zudem: Warum sollte es irgendwen kümmern, wenn ein souveräner Staat einem andern souveränen Staat Vorschriften über sein Verfassungsmodell machen will? Russland hat überhaupt kein Recht, eine föderalistische Ukraine zu verlangen.

Was wäre Ihrer Meinung nach das bestmögliche Vorgehen in diesem Konflikt? Für die Ukraine, die USA und die EU?

Europa ist jetzt erwacht und ich hoffe, es besteht der Wille, vor allem was Deutschland betrifft, welches eine Führungsrolle in Kontinentaleuropa innehat, die Bedrohung ernst zu nehmen. Das transatlantische Bündnis muss Wladimir Putin überzeugen, dass sich Russland aus der Ukraine zurückzieht. Punkt. Das wäre für mich die ideale Vorgehensweise.

Sie sorgen sich auch um die Stabilität in Europa?

Ja, ich bin besorgt. Wenn die Gewalt aus Russland weitergeht, wird das die Grenzen der NATO-Mitglieder unsicher machen, also zum Beispiel jene von Polen und Rumänien. Diese Staaten sind in der NATO, um sich vor solchen Gefahren zu schützen. Also ist es unsere Pflicht, ihnen zu helfen, falls die Entwicklung so weitergeht. Das würde für uns sehr teuer werden, aber wir müssten es tun.

Welche Chance geben Sie dem Deeskalationsabkommen? Vertreter Russlands, der USA, der Ukraine und der EU haben sich kürzlich darauf geeinigt, dass in der Ukraine Schritt für Schritt wieder Friede einkehren soll. Russland will die "illegalen Gruppen" in allen Regionen der Ukraine entwaffnen.

Ich kann nicht sagen, dass ich optimistisch bin. Putin hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass er trotz solcher Abkommen weiter gewaltsam in andere Länder eindringt. Im Abkommen wird von illegalen Gruppen gesprochen, die nun ihre Aktivitäten stoppen müssten. Bis dieser Ausdruck nicht näher definiert ist, wird Präsident Putin sagen, dass die ukrainische Regierung eine illegale Gruppe sei, und die USA und die EU werden sagen, dass die illegalen Gruppen von prorussischen Separatisten und Geheimdienstagenten in vielen Städten der Ukraine Unruhe und Instabilität geschürt hätten.

Barry Pavel ist Vizepräsident des politisch unabhängigen Think Tanks "Atlantic Council" in Washington, D.C. Pavel wirkt dort auch als Direktor des Brent Scowcroft Center on International Security. Sein Fachgebiet sind aufkommende sicherheitspolitische Bedrohungslagen und Verteidigungsstrategien. Pavel war Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, sowohl unter Barack Obama als auch unter George W. Bush.

Das Interview führte Ruth Wittwer.