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Von den Nazis zerstört: Synagoge in München wiederentdeckt

6. Juli 2023

Im Flussbett der Isar bei München stießen Bauarbeiter auf Überreste der einstigen Hauptsynagoge. Hitler hatte 1938 ihre Zerstörung verlangt. Reißt der Sensationsfund alte Wunden auf?

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Sensationsfund in München: Reste der alten Hauptsynagoge
Sensationsfund in der Isar: Reste der alten Hauptsynagoge in MünchenBild: Jüdisches Museum München

Sie gehörte fest zum Münchner Stadtbild, bis Adolf Hitler persönlich ihre Zerstörung anordnete. Alte Bilder zeigen die 1887 eingeweihte Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße am heutigen Lenbachplatz. Das damals drittgrößte jüdische Gotteshaus Deutschlands fügte sich - direkt neben dem katholischen Dom - perfekt in die Münchner Altstadt ein, es war ein "Symbol für die lange und hart erkämpfte jüdische Gleichberechtigung", wie das Jüdische Museum München in einem Blogbeitrag schreibt. Wohl deshalb war es den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Auf Befehl Hitlers wurde die Synagoge am 9. Juni 1938 abgerissen.

85 Jahre später sind Überreste des Gebäudes jetzt wieder aufgetaucht. Blüten aus Stein, kunstvolle Friese, eine Gesetzestafel: Bei Bauarbeiten am Isarwehr nahe der Großhesseloher Brücke stießen Bagger in zwei bis acht Metern Tiefe mitten im Fluss auf die Steinfragmente, insgesamt 150 Tonnen.

Museumschef überrascht

Ein Sensationsfund, der ihn förmlich "vom Stuhl gerissen" habe, sagt Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München. Als erstes hat Purin die alte Gesetzestafel identifiziert, die in der Synagoge über dem Tora-Schrein gestanden hat. Sie zeigt die Zehn Gebote in hebräischer Schrift.

Ein Stich mit der Innenansicht der Münchener Hauptsynagoge
Einen Blick in die nach Plänen von Albert Schmidt errichtete Münchener Hauptsynagoge erlaubt der Holzstich von P. MeurerBild: Jüdisches Museum München

Ein Grund für die allgemeine Überraschung: All die Jahre gab es offenbar keinerlei Hinweise auf den Verbleib des Synagogen-Bauschutts. Das könnte daran liegen, dass München, wie Kulturwissenschaftler Purin vermutet, seine NS-Geschichte länger als andere Städte verdrängte und sich nach Kriegsende 1945 zunächst stark über die "heitere Bierseligkeit des Oktoberfestes definierte".

Tatsächlich errichteten die Münchener erst 1969 ein Mahnmal für die zerstörte Hauptsynagoge, ein Granitdenkmal des Bildhauers Herbert Preis. Seit 2006 steht die neue Hauptsynagoge "Ohel Jakob" auf dem St. Jakob-Platz inmitten der Münchner Altstadt. 2007 entstand das Jüdische Museum, 2015 das Münchner NS-Dokumentationszentrum. Heute ist die Erinnerung an die NS-Vergangenheit, wie Purin sagt in München "common sense".

Testlauf für die Reichspogromnacht

Die Münchner Hauptsynagoge wurde bereits im Juni 1938 zerstört, Monate vor der Reichspogromnacht im November 1938, in der auf Geheiß der Nationalsozialisten in ganz Deutschland jüdische Gotteshäuser brannten, jüdische Menschen verfolgt, misshandelt, verhaftet und getötet wurden. "Da konnte man schon mal testen, wie die Bevölkerung reagiert, wenn man Synagogen demoliert", kommentiert Purin den frühen Abriss.

Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München
Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums MünchenBild: Daniel Schvarcz

Den Auftrag zum Abriss erhielt die Münchener Baufirma Leonhard Moll. Ein Unternehmen, das wie andere deutsche Baufirmen von Aufträgen des nationalsozialistischen Regimes profitierte, etwa zum Bau des Hauses der Deutschen Kunst in München oder beim Bau des West-Walls. Insbesondere in den letzten Kriegsjahren kamen hier auch Zwangsarbeiter zum Einsatz. Nach dem Abbruch lagerte das Unternehmen die riesigen Steinmengen der Hauptsynagoge zunächst auf seinem Bauhofgelände, bis es 1956 mit der Reparatur des Stauwerks in der Isar betraut wurde. Das Abbruchmaterial wurde dabei offenbar tonnenweise in den Fluss gekippt.

Und auch das gehört zur Geschichte des Verdrängens: In den 1970er Jahren kaufte die Stadt München das riesige Gelände der Baufirma Moll, bevor man es für die Bundesgartenschau 1983 umgestaltete. "1,5 Millionen Kubikmeter Erde wurden bewegt, um der Landschaft eine Form zu verleihen. Zusätzlich wurden 6.000 große Bäume gepflanzt", erinnert die Bundesgartenschaugesellschaft auf ihrer Webseite. Heute erstreckt sich hier der Westpark, eine Hügellandschaft durchsetzt mit Spiel- und Sportplätzen, Grillgelegenheiten, sowie Spazier- und Fahrradwegen, mit Biergarten und Wirtshaus. Gut möglich, dass unter manchem Hügel noch andere Teile der Hauptsynagoge liegen.

Marmortafel mit den zehn Geboten in hebräischer Schrift
Fragmente des Tora-Schreins: Die Marmortafel zeigt die zehn Gebote in hebräischer SchriftBild: Jüdisches Museum München

Was passiert jetzt mit dem Sensationsfund aus der Isar? Das Landesamt für Denkmalpflege hat mit dem Abtransport der tonnenschweren Gesteinsbrocken an einen anderen Lagerort begonnen. Ein bis zwei Jahre dürfte die Untersuchung des Materials dauern, schätzt Museumsleiter Purin. Bei der Zuordnung hilft das Jüdische Museum, das in seiner Sammlung bereits Steinfragmente und Glasscherben von den Fenstern der ehemaligen Hauptsynagoge verwahrt.