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Syrien: Das Land, in dem der Schrecken herrscht

Anne Allmeling28. April 2015

Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen haben Millionen Syrer in die Flucht getrieben. Hinzu kommt die Bedrohung durch den "Islamischen Staat". Wer kann, verlässt das Land so schnell wie möglich.

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Ein Mann trägt zwei weinende Kinder aus einem zerstörten Straßenzug nach der Bombadierung der syrischen Stadt Idlib al-Thawra. (Photo: REUTERS/Ammar Abdullah)
Bild: Reuters/Ammar Abdullah

Gemeinsam kochen, Arabisch sprechen, Nachrichten aus Syrien austauschen – für Dewran sind das die schönsten Momente der Woche. Seit zweieinhalb Jahren lebt der 25-jährige Kurde in Bochum – fern von seiner Familie und allem, was er von früher kennt. Seinen vollen Namen möchte Dewran nicht nennen und auch ein Photo möchte er von sich nicht machen lassen. Dewran hat seine Heimat Syrien verlassen, als es dort für ihn zu gefährlich wurde. Denn der Student hatte sich an Protesten gegen das Regime von Baschar Al-Assad beteiligt. Als die Menschen in der Stadt Qamshli im Nordosten Syriens auf die Straße gingen, machte er Fotos. Wenige Tage später wurde er verhaftet.

"Sie haben mich geschlagen, bis ich bewusstlos war“, erzählt Dewran über seine Zeit im Gefängnis. 16 Tage lang wurde er festgehalten. Dann durfte er zurück nach Huase. Doch die staatlichen Sicherheitskräfte schikanierten ihn weiter. In Qamshli, aber auch in Aleppo, wo er Umwelttechnik studierte. Bald war Dewran klar: Er muss das Land verlassen – und zwar so schnell wie möglich.

Flucht in die Türkei

Sein Vater organisierte mit Hilfe eines Schleppers die Flucht. Mitten in der Nacht wurde Dewran zur türkischen Grenze gebracht. Nach stundenlangem Warten kletterte er zusammen mit anderen Flüchtlingen durch ein Loch im Grenzzaun zur Türkei. Zum ersten Mal in seinem Leben verließ er sein Heimatland – ohne zu wissen, ob er jemals zurückkommen würde.

Flüchtlinge aus Syrien überqueren mit ihrem Hab und Gut zu Fuß die türkische Grenze bei Kobane. (Photo by Stringer/Getty Images)
Millionen Menschen haben Syrien verlassenBild: Getty Images/Str

Über die kurdische Stadt Kiziltebe wurde Dewran nach Istanbul gebracht. Dort musste er einen Monat lang warten, bis er an der Reihe war: Mit drei anderen Männern pferchte man ihn zwischen Kartons in einen Lkw. Auf engstem Raum wurde er vier Tage quer durch Europa gefahren – begleitet von der Angst, zu früh entdeckt zu werden. Denn Dewran wollte unbedingt nach Deutschland: Dort lebte bereits ein Bruder.

Bedrohung durch den Bürgerkrieg

Dewran hatte Glück: Er blieb unentdeckt. In Deutschland angekommen, half ihm der Lkw-Fahrer, den Weg nach Bielefeld zu finden. Im Aufnahmelager stellte Dewran einen Antrag auf Asyl. Er gehört zu den mehr als 105.000 Syrern, die seit dem 1. Januar 2011 nach Deutschland eingereist sind. Ihre Zahl steigt täglich.

Seit der so genannte Arabische Frühling im Jahr 2011 auch Syrien erreicht hat, versinkt das Land in einem Bürgerkrieg. Bei den Gefechten zwischen Regierungstruppen und Aufständischen sind Hunderttausende Menschen zwischen die Fronten geraten. Hinzu kommt die Bedrohung durch die sunnitische Terrormiliz "Islamischer Staat“. Sie geht mit brutaler Gewalt gegen Andersgläubige vor und hat in den vergangenen Monaten weite Gebiete im Irak und in Syrien unter ihre Kontrolle gebracht.

Millionen Menschen auf der Flucht

"Wir haben die größten Flüchtlingskrise seit vielen Jahrzehnten, im Grund haben wir Verhältnisse wie Ende der Dreißiger Jahre, in Zeiten der Verfolgung zum Beispiel durch das Nazi-Regime oder nach dem Zweiten Weltkrieg", sagt Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation ProAsyl in Frankfurt, im Gespräch mit der DW. Knapp vier Millionen Menschen haben ihrem Land in den vergangenen vier Jahren den Rücken gekehrt. In Syrien selbst sind geschätzte weitere sechs Millionen Menschen auf der Flucht.

Jahrzehnte lang hatten dort Muslime, Christen, Drusen und zahlreiche weitere religiöse Minderheiten friedlich zusammen gelebt. Doch der Bürgerkrieg hat längst zu einer konfessionellen und ethnischen Entmischung geführt. Die Achse von Aleppo bis nach Damaskus wird größtenteils von Anhängern des Assad-Regimes kontrolliert. Sie bekommen Unterstützung von ethnischen Minderheiten und Teilen der sunnitischen Mittel- und Oberschicht. Auch der Iran und die libanesische Hisbollah-Miliz stehen dem Regime zur Seite, das längst nicht mehr das ganze Land beherrscht.

Kampf ums Überleben

Im Norden und Osten kontrolliert die IS-Terrormiliz weite Gebiete. Sie kämpft gegen die Kurden und alle, die sich ihr in den Weg stellen. Zu ihren Gegnern gehört auch die islamistische Al-Nusra-Front, die als Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida gilt und ebenfalls das syrische Regime bekämpft. Im Süden kämpfen gemäßigtere Kräfte wie die Freie Syrische Armee (FSA), aber auch die Al-Nusra-Front gegen den IS – unterstützt von unzähligen weiteren Milizen. Die anhaltenden Kämpfe in Syrien haben nicht nur die soziale Struktur des Landes zerstört, sondern auch seine wirtschaftliche Basis. Hunderttausende Syrer kämpfen ums Überleben.

Syrien Idlib Einnahme Rebellen al-Nusra Front (Photo: REUTERS/Khalil Ashawi)
Im Land herrschen Terrormilizen - hier hat die al-Nusra Front die Stadt Idlib erobertBild: Reuters/K. Ashawi

Dewran, der sich vor zwei Jahren nach Deutschland durchschlug, hatte Glück. Er wurde als Flüchtling anerkannt und darf nun in Deutschland bleiben. Seit einigen Monaten besucht er einen Sprachkurs und arbeitet in einem arabischen Café. Der Neuanfang in Deutschland sei ihm alles andere als leicht gefallen, erzählt er. "Die Sprache ist anders, die Leute sind anders – auch die Gebäude, die Straßen, alles. Aber der Integrationskurs, den Deutschland für Ausländer anbietet, macht es ein bisschen leichter.“

Angst vor dem „Islamischen Staat“

Trotz der Strapazen würde sich Dewran wieder für die Flucht entschieden. "Alle Kurden, alle Syrer haben jetzt Angst vor dem `Islamischen Staat‘“, erzählt er. "Die Terroristen zerstören die Städte, verschleppen die Frauen und Kinder, ermorden die Männer. Ich konnte dort nicht bleiben. Ich hatte nur die Wahl: Entweder greife ich zu den Waffen und kämpfe gegen den IS und das Regime – oder ich muss fliehen.“