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Politik

Syrien: Düstere Aussichten für 2020

5. Januar 2020

Militärisch hat sich Präsident Assad zwar durchgesetzt. Aber befriedet ist Syrien nicht. Vielmehr dürfte es künftig noch autoritärer regiert werden. Europa wird durch die Entwicklung weiterhin gefordert sein.

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Syrien Konflikt l Zahlreiche Tote nach Kämpfen in Idlib
Bild: Getty Images/O. H. Kadour

Fast ein Jahrzehnt Krieg in Syrien. Fast ein Jahrzehnt, in dem über eine halbe Million Syrer gestorben und Millionen auf der Flucht sind, teils innerhalb des Landes, teils außerhalb. Fast zehn Jahre, deren politisches Fazit Präsident Baschar al-Assad nun in einem Interview mit dem italienischen Fernsehsender RAI zog. Darin gab er sich zuversichtlich und siegesgewiss. Syrien werde aus dem Krieg in eine verheißungsvolle Zukunft gehen, erklärte er. "Die Situation ist viel, viel besser, da wir aus diesem Krieg so viele Lektionen gelernt haben. ... Wir gehen aus diesem Krieg stärker hervor." 

"Wir": Das dürfte vor allem die syrische Regierung sein, die sich dank ihrer Verbündeten - Russland, Iran und der libanesischen Hisbollah - gegen die Aufständischen durchgesetzt und in den vergangenen Jahren immer weitere bislang von den Rebellen besetzte Gebiete zurückerobert hat. Inzwischen sitzt Assad wieder so fest im Sattel, dass er kaum mehr bereit sein dürfte, den verbleibenden Rebellen wie auch den auf eine Befriedung des Landes drängenden Vereinten Nationen Konzessionen zu machen.

Syrien Konflikt l Zahlreiche Tote nach Kämpfen in Idlib
Gewalt und Krieg im zehnten Jahr: Szene aus der Region Idlib, Dezember 2019Bild: Getty Images/O. H. Kadour

Düstere Aussichten für syrische Bevölkerung

"Präsident Assad und seine Entourage haben mit Russland und Iran den Krieg gewonnen", sagt André Bank, Senior Research Fellow am Hamburger GIGA Institut für Nahost-Studien. Trotz der fortwährenden Kämpfe um Idlib im Nordwesten sowie der geteilten Gebietskontrolle zwischen Russland, den USA, der Türkei sowie der syrischen Armee und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten im Nordosten zeichne sich im Land eine Art "Siegfrieden" ab. "Damit bleibt Assad auf absehbare Zeit an der Macht."

Die deutsche Regierung sieht die Zukunft Syriens düster. Einem dem "Tagesspiegel" vorliegenden vertraulichen Lagebild des Auswärtigen Amts zufolge bescheinigt sie dem Land einen katastrophalen Zustand. In keinem Teil Syriens gebe es Schutz vor politischer Verfolgung und Folter, zitiert der "Tagesspiegel" den Bericht. Die Versorgung ist demnach mangelhaft, die Wirtschaft kollabiert. Knapp zwei Drittel der Syrer - 69 Prozent der Bevölkerung - lebten in extremer Armut und müssten mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Fünf Millionen Syrer gelten als "akut hilfsbedürftig". 

Politisch sehe die Zukunft für den allergrößten Teil der Bevölkerung düster aus, bestätigt André Bank. "Für die absolute Mehrheit der Syrerinnen und Syrer bedeutet das Überleben der Diktatur mit der Dominanz der Geheimdienste, von willkürlichen Verhaftungen und Folter, dass es auch weiterhin keine nachhaltige Sicherheit und mittelfristige Lebensperspektiven gibt." Assads Sieg stehe nicht so sehr für Wiederaufbau und erste Schritte zur Versöhnung des traumatisierten Landes. "Vielmehr werden Friedhofsruhe oder Grabesstimmung festgeschrieben."

IS Fahne Syrien
Triumph über den Dschihadismus: Zusammengeknüllte Fahne des IS, März 2019 Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Alleruzzo

Renaissance der Dschihadisten

Der 2019 begonnene Kampf um die Region Idlib im Nordwesten des Landes dürfte sich im Jahr 2020 fortsetzen. Das Gebiet ist der letzte Rückzugsort dschihadistischer Gruppen wie der Hayi'at Tahrir ash-Scham ("Komitee zur Befreiung Syriens", HTS). Die syrische und russische Luftwaffe dürften versuchen, ihre Kontrolle über die Region Idlib mit massiven Bombardements auszubauen, erwartet André Bank. Dies werde auf starken Widerstand der HTS stoßen. Darum dürfte es zu hohen Opferzahlen unter den circa drei Millionen Menschen vor Ort sowie zu interner Flucht kommen, erwartet Bank.

Auch im Nordosten Syriens dürften sich die Dschihadisten, insbesondere der "Islamische Staat" wieder neu formieren. Nachdem der "IS" bereits vor Monaten militärisch besiegt schien, hat der türkische Einmarsch vom Oktober 2019 der Dschihadistenorganisation unerwartete Möglichkeiten verschafft. Im Kampf gegen die türkische Armee zogen die Kurden auch einen Teil jener Kämpfer ab, die zuvor die in kurdische Gefangenschaft geratenen IS-Kämpfer bewachten. Diese nutzten das Chaos, um mit ihren Familien aus den kurdisch kontrollierten Gefängnissen zu fliehen. Aufgrund der politisch und wirtschaftlich desaströsen Lage in Syrien dürften sie erfolgreich neue Rekruten gewinnen. "In Teilen Ostsyriens und des Westiraks gibt es weiterhin eine soziale Basis für den IS", sagt André Bank.  

Europäische Interessen

Insgesamt dürfte sich im Jahr 2020 die Position des Assad-Regimes weiter verfestigen. Zwar hat es einen Teil seiner Autonomie verloren und wird sich darum in grundsätzlichen Fragen mit seinen beiden wichtigsten Schutzmächten Russland und Iran abstimmen müssen. Aber auch die haben allein aufgrund der hohen Kosten ihrer Interventionen Interesse an einem Ende der Gewalt. Darum dürfte sich gerade Russland in den kommenden Monaten insbesondere in Europa um Hilfe für den Wiederaufbau des Landes bemühen.

Irak Flüchtlinge aus Syrien nach Militäroffensive Türkei
Auf der Flucht: Ein syrischer Junge mit seiner Familie im Flüchtlingslager Bardarash im Irak, Oktober 2019Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

Europa habe mit Blick auf Syrien allerdings eigene Interessen, sagt André Bank. Der Kontinent stehe vor der Herausforderung, sich trotz seiner aktuell geringen diplomatischen Einflussmöglichkeiten zu Syrien einer Normalisierung des Assad-Regimes zu widersetzen. Anstatt ein Wiederaufbauprogramm für Syrien zu finanzieren, das die diktatorischen und korrupten Strukturen vor Ort stärken würde, sollte sich gerade Deutschland im multilateralen Verbund auf drei andere Bereiche konzentrieren, so der Syrien-Experte: die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Syrien und deren internationale Strafverfolgung, die Aufrechterhaltung humanitärer Hilfe für Syriens Nachbarstaaten und ein offensives Eintreten für eine offene Flüchtlings- und Integrationspolitik.

Gerade mit Blick auf die Flüchtlinge dürfe Europa in seinen Bemühungen nicht nachlassen. "Denn es ist nicht auszuschließen, dass durch das Fortbestehen der Diktatur in Syrien bald noch viel mehr Menschen fliehen werden."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika