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Politik

Kontroverse um Kramp-Karrenbauer

Maximiliane Koschyk | Ralf Bosen mit ARD, Agenturen
22. Oktober 2019

Mit ihrem Vorschlag für eine international kontrollierte Schutzzone in Syrien hat Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) auch ihre politischen Partner überrascht. Aus der Türkei gibt es Kritik.

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Syrien kurdische Flüchtlinge bei Semalka, nahe Derik
Bild: Reuters/M. Hamed

AKK für internationale Sicherheitszone in Syrien

Über Deutschlands Verantwortung in der weltweiten Sicherheitspolitik wird immer wieder gestritten. Besonders die USA werfen der Bundesrepublik vor, bei internationalen Krisen nur auf der Zuschauerbühne zu sitzen und sich nicht genügend zu beteiligen – beispielsweise mit Bundeswehreinsätzen. Der Vorstoß von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Syrienkonflikt hat auch deswegen Diskussionen über eine künftig aktivere Rolle Deutschlands ausgelöst.

In einem Interview der Deutschen Welle hatte Kramp-Karrenbauer gesagt: "Mein Vorschlag ist, dass wir eine international kontrollierte Sicherheitszone einrichten unter Einbeziehung der Türkei und unter Einbeziehung von Russland." Deutschland solle gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien und unter Berücksichtigung Russlands und der Türkei diesen Vorschlag erarbeiten, so die Ministerin.

"Wir sollten überlegen, ob wir für diesen Prozess möglicherweise einen Sonderbeauftragten einsetzen." Der Prozess könne von einer Konferenz begleitet werden. "Ich glaube, das wäre eine starke politische und diplomatische Antwort der Europäer in der NATO." Eine Beteiligung des NATO-Partners USA erwähnte Kramp-Karrenbauer nicht.  Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich hinter den Vorstoß ihrer Verteidigungsministerin. "Der Gedanke, Schutzzonen einzurichten, sei sehr vielversprechend", erklärte sie. Die Pläne sollen nun in der Koalition besprochen werden. 

SMS an Auswärtiges Amt

Mit dem Vorschlag sorgte die Verteidigungsministerin für einen Paukenschlag. Aus dem von SPD-Außenminister Heiko Maas geführten Auswärtigen Amt hieß es, es bestehe Diskussionsbedarf. Die CDU-Chefin hatte Maas vor ihren öffentlichen Äußerungen laut eigener Aussage per SMS informiert. 

Er sei überrascht vom Vorstoß der Bundesverteidigungsministerin, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Fritz Felgentreu im Deutschlandfunk. Die Forderung nach einer international kontrollierten Schutzzone in Nordsyrien sei mit seiner Partei nicht abgesprochen gewesen, erklärte der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Wie die Beteiligung von Deutschland konkret aussehen würde, müsse noch geklärt werden, so Felgentreu. Er wisse zum Beispiel nicht, wo die Soldaten für einen möglichen Einsatz herkommen sollten. Die Bundeswehr sei darauf nicht vorbereitet - sie befinde sich derzeit an ihrer Belastungsgrenze.

Felgentreus Parteikollegin Katarina Barley äußerte sich gegenüber der Deutschen Welle ebenfalls eher zurückhaltend. Der Vorschlag der Verteidigungsministerin sei als "völlige Überraschung" bei den Parlamentariern und dem deutschen Außenminister aufgeschlagen. Dies sei nicht der übliche Weg, irgendeine diplomatische oder militärische Mission einzuführen, sagte die Vize-Chefin des EU-Parlaments. Zugleich begrüßte Barley "alles, was der kurdischen Bevölkerung hilft", da die Kurden diejenigen seien, die leiden würden. Es sei aber überhaupt nicht klar, ob der Vorschlag Kramp-Karrenbauers den Kurden am Ende helfe oder nicht.

Vorwürfe von der Opposition

FDP-Chef Christian Lindner bewertete den Vorschlag als nicht genügend durchdacht. Es entstehe der Eindruck, "hier geht es um Profilierungsbemühungen einzelner Kabinettsmitglieder." Offensichtlich sei der Vorstoß noch nicht einmal innerhalb der Bundesregierung vollständig abgestimmt gewesen. In einer so sensiblen internationalen Frage wäre die Erwartung, dass die
Regierung erst dann an die Öffentlichkeit geht, "wenn sie selbst bereits eine gefestigte, abgestimmte interne Position hat", sagte Lindner. Inhaltlich zeigte er sich für den Vorstoß offen, sofern es um ein internationales Mandat unter dem Dach der Vereinten
Nationen gehe.

Die stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Sevim Dagdelen, warf Kramp-Karrenbauer eine "politische Geisterfahrt ohnegleichen" vor. Die Verteidigungsministerin wolle "den Völkerrechtsbruch an der Seite Erdogans verwalten und deutsche Soldaten zu Hilfstruppen des Despoten machen." Dagdelens Parteikollege und EU-Parlamentarier Özlem Demirel zeigte sich gegenüber der Deutschen Welle verwundert, "denn die Bundesregierung hat nicht alle diplomatischen Mittel eingesetzt, hat nicht alle Waffenexporte gestoppt." Demirel ergänzte, die deutsche Geschichte habe gelehrt, "dass militärische Operationen nicht den Frieden nachhaltig sichern." 

Türkische Opposition geht auf Distanz

Der Syrien-Vorschlag Kramp-Karrenbauers stieß in der Türkei ebenfalls auf Befremden bis Ablehnung. Unal Ceviköz, Chefberater für Außenpolitik der größten türkischen Oppositionspartei CHP, sagte der Türkisch-Redaktion der Deutschen Welle, man respektiere die territoriale Integrität Syriens, "daher bevorzugen wir es, wenn Syrien die Verantwortung für seine Sicherheit selber übernimmt. Wir sind dafür, dass sich in der Region so wenig ausländische Streitkräfte wie möglich aufhalten." 

Syrien Türkische Soldaten in Tal Abyad
Einmarsch: Türkische Soldaten rücken in Nordsyrien vorBild: picture-alliance/Xinhua

Die Rolle Russlands thematisierte die nationalistisch-konservative IYI-Partei. Deren Parteivorstandsmitglied Aydin Sezgin äußerte gegenüber der Deutschen Welle sein Unverständnis darüber, dass "Deutschland dieses Angebot an die Türkei gemacht hat. Wenn diese Region zum Einflussbereich von Russland gehört, wie kann die NATO sich auch dort aufhalten?"

Von der prokurdischen HDP, die als einzige Oppositionspartei des türkischen Parlaments die Offensive in Nordsyrien ablehnt, kommen naturgemäß freundlichere Töne. Wenngleich es Zweifel an der konkreten Umsetzbarkeit des deutschen Vorschlags gibt. "Nur eine Sicherheitszone kann die politischen Probleme nicht lösen", sagte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan. Er sieht vor allem die EU in der Pflicht. Aber: "Europa ergreift nicht die Initiative, wenn es darum geht, eine Syrien-Lösung zu finden, denn sie fürchten sich vor Flüchtlingen." Europa müsse klarere Lösungsvorschlägen liefern, fordert Paylan.

Eine Stellungnahme der türkischen Regierungspartei AKP ist bisher nicht bekannt.

Eher Ablehnung auch aus Russland

In Russland, dem vielleicht einflussreichsten Akteur im Syrienkonflikt, hat die Initiative bisher nur verhaltene Reaktionen ausgelöst. "Es ist eine neue Initiative, es gibt keine klare Haltung dazu. Man muss sich das anschauen", sagte der Pressesprecher des Kremls, Dmitri Peskow.

Infografik Karte Syrische Sicherheitszonen, ganz Syrien DE

Der außenpolitische Experte der Moskauer Denkfabrik “Russischer Rat für Außenpolitik“, Ruslan Mamedow, sprach gegenüber der DW immerhin von einem interessanten Vorschlag. Allerdings zweifelt Mamedow an der Verwirklichung einer Sicherheitszone. “Die offizielle russische Haltung dazu lautet: Alle ausländischen Truppen müssen Syrien verlassen. Ich glaube nicht, dass es irgendeine internationale Sicherheitszone unter gemeinsamer Kontrolle der EU-Länder und Russlands geben wird.“

Rückhalt aus der eigenen Partei

Unterstützung im deutschen Inland hat die Verteidigungsministerin erwartungsgemäß von der Spitze der Unionsfraktion bekommen. Ihr außenpolitischer Sprecher Jürgen Hardt erklärte, die weitere Entwicklung in Syrien habe unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität Europas. "Gerade nachdem die USA auf ihre gestaltende Kraft in Syrien verzichtet haben, ist es nur folgerichtig, dass Europa sich stärker einbringt." Kramp-Karrenbauer ziele mit ihrem Vorstoß genau auf diese Rolle Europas. In engem Schulterschluss mit den europäischen Partnern müsste eine Initiative in den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht werden.

Hardt betonte, dass dafür auch Gespräche mit Russland geführt werden sollten, "das Mitverantwortung für das tausendfache Leid in Syrien trägt". Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion sieht Deutschland in einer aktiven Rolle. Wenn es zu einer solchen Schutzzone komme, dann müsse diese auch durchgesetzt werden. "Das bedeutet, Deutschland kann nicht an der Seite stehen, sondern muss sich aktiv beteiligen."

"Eine starke europäische Initiative"

Eine solche Sicherheitszone, so Kramp-Karrenbauers Plan, solle das Ziel haben, den seit der türkischen Offensive in Nordsyrien zum Erliegen gekommenen Kampf gegen den islamistischen Terror wieder aufzunehmen. "Dazu bedarf es aus meiner Sicht einer starken europäischen Initiative." Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits ein gemeinsames Treffen mit Frankreich, Großbritannien und der Türkei vorgeschlagen. Kramp-Karrenbauer forderte, dass der deutsch-französische Verteidigungsrat unter Einbeziehung der Briten Details ausarbeiten solle.

AKK für Sicherheitszone

Parallel will die Ministerin sowohl die Türkei als auch Russland aktiv in ihre Pläne einbeziehen. "Russland ist einer der wichtigsten Akteure in Syrien", sagte Kramp-Karrenbauer. "Das kann einem gefallen oder nicht, aber es ist ein Fakt und damit müssen wir umgehen." Sie wolle Deutschlands derzeitigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für Verhandlungen ebenso nutzen wie bilaterale Gespräche mit beiden Seiten. "Die Alternative dazu wäre jetzt, als Europäer und auch als NATO einfach zuzuschauen, wie mögliche Gespräche zwischen der Türkei und Russland weiterlaufen."

Laut der Publizistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg könnte derzeit ein diplomatisches Fenster für Russland und Europa entstehen. "Putin kann Syrien auf Dauer nicht alleine stabilisieren, weil er nicht die wirtschaftlichen Mittel dazu hat. Er braucht das Geld aus dem Westen für den Wiederaufbau", sagte Helberg der DW. "In einer solchen international überwachten Zone könnten beide Seiten erstmals in Syrien zusammenarbeiten."

Bundeswehr-Beteiligung nicht ausgeschlossen

Ob und wie Soldaten der deutschen Bundeswehr in der von ihr vorgeschlagenen Schutzzone zum Einsatz kommen sollten, darauf wollte sich die Verteidigungsministerin nicht festlegen: "Die Frage, wie wir als Deutschland politisch damit umgehen und was das möglicherweise für die Bundeswehr bedeutet, ist eine Frage, die im Bundestag entschieden werden muss."

Eine solche Sicherheitszone, so Kramp-Karrenbauers Plan, solle das Ziel haben, den seit der türkischen Offensive in Nordsyrien zum Erliegen gekommenen Kampf gegen den islamistischen Terror wieder aufzunehmen. Dazu bedürfe es aus ihrer Sicht einer starken europäischen Initiative. "Die Alternative dazu wäre jetzt, als Europäer und auch als NATO einfach zuzuschauen, wie mögliche Gespräche zwischen der Türkei und Russland weiterlaufen." 

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur