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PolitikSyrien

Syrien - sicher genug für Abschiebungen?

3. September 2024

In Deutschland wird über Abschiebungen von zumindest straffällig gewordenen Flüchtlingen nach Syrien diskutiert. Doch ist das Land sicher genug? Experten haben Zweifel.

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Ein Konvoi syrischer Flüchtlinge verlässt den Libanon in Richtung Syrien, Mai 2024
Auf dem Weg in ein ungewisses Schicksal: Syrische Flüchtlinge verlassen den Libanon in Richtung ihrer ehemaligen HeimatBild: AFP

Syrische Straftäter abschieden in ihr Heimatland, ja oder nein? Die Debatte darüber ist in Deutschland nach demmutmaßlich dschihadistischen Messer-Angriff eines Mannes syrischer Herkunft in der westdeutschen Stadt Solingen sowie dem Triumph der teils rechtsextremistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) bei den Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen neu entbrannt - vor allem, aber nicht nur bezüglich straffällig gewordener Asylbewerber. Auch Medienberichte über Flüchtlinge, die angeblich in der Heimat Urlaub machen, haben die Diskussionen weiter angefacht. Wie aber stellt sich die Lage in Syrien selbst dar? 

Syrien ist derzeit in vier verschiedene Herrschaftsgebiete unterteilt. Der größte Teil des Landes - rund 60 Prozent - wird vom Regime des Präsidenten Baschar al-Assad kontrolliert. Ein kleiner Zipfel im Nordwesten steht unter Herrschaft der radikal-islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Nördlich davon hält die Türkei zwei direkt an ihr Staatsgebiet grenzende Zipfel unter ihrer Kontrolle. Der Nordosten hingegen wird mehrheitlich von kurdischen Kräften regiert. 

Sicherheit biete keine dieser vier Regionen, betont der Politologe André Bank vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA), zusammen mit der Nahost-Expertin Ronja Herrschner Autor einer soeben erschienen Studiezur Sicherheitslage in Syrien. "Aus meiner Sicht verbieten sich derzeit Abschiebungen in sämtliche vier Regionen des Landes", so Bank im DW-Gespräch.

"Eines der repressivsten Regime der Welt"

In dem von Assad beherrschten Landesteil leben rund 9,6 Millionen Menschen, informiert die Studie. Das Assad-Regime, laut Studie "eines der repressivsten Regime der Welt", praktiziere weiterhin in großem Umfang Zwangsverschleppungen, Militärprozesse und Folter. Das Regime weigere sich außerdem, Informationen über das Schicksal von mehr als 125.000 Gefangenen bereitzustellen. 

Es seien Fälle aus dem Libanon abgeschobener Syrer bekannt, die nach dem Grenzübertritt nach Syrien spurlos verschwunden seien, sagt der Nahost-Experte und Politik-Berater Carsten Wieland im DW-Gespräch. "Vermutlich wurden sie von einem der Geheimdienste verhaftet und womöglich gefoltert oder auch getötet. Es sind eine ganze Reihe entsprechender Vermisstenfälle dokumentiert."

Auch der Umstand, dass viele Geflüchtete es vorzögen, unter elenden Bedingungen in Lagern im Libanon oder in Jordanien zu leben als in die Heimat zurückzukehren, sei ein Indiz dafür, womit sie im Falle einer Rückkehr rechneten: "Sie sorgen sich nicht etwa, dass sie es in Syrien nicht zurück in ein geregeltes Leben schaffen würden. Sie fürchten vielmehr um Leib und Leben", so Wieland.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad, bekannt als autoritärer Herrscher, gibt seine Stimme bei den Parlamentswahlen ab, Juli 2024
An der Spitze eines unberechenbaren Regimes: der syrische Präsident Baschar al-AssadBild: SANA/dpa/picture alliance

Radikale Islamisten und russische Luftangriffe 

Kaum besser ist die Lage in Idlib im Nordwesten Syriens. In der von der radikal-islamistischen Organisation Hayat Tahrir al-Scham kontrollierten Region leben rund drei Millionen Menschen - 1,7 Millionen von ihnen als Binnenvertriebene. Der Lebensunterhalt nahezu aller Bewohner hängt fast vollständig von externen Hilfen der UN ab. Über 80 Prozent der Menschen hätten keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser, sanitären Einrichtungen und Abfallbehandlung, heißt es in der von Bank und Herrschner verfassten Studie. 

Zudem sind der südliche und der östliche Teil der Region immer wieder Ziel russischer Luftangriffe. Moskau unterstützt das Assad-Regime seit langem. Diese Angriffe haben sich seit Beginn des Gaza-Kriegs noch einmal gesteigert. Dadurch seien allein zwischen Oktober und Dezember 2023 etwa 160.000 Menschen innerhalb des Nordwestens vertrieben worden, oft zum zweiten oder dritten Mal, so die Studie.

Hinzu komme die autoritäre Herrschaft der aus dem Umfeld von El Kaida hervorgegangenen Dschihadisten selbst, sagt Syrien-Kenner Carsten Wieland. Die Radikal-Islamisten hätten ihre Ideologie zwar etwas gemäßigt. "Aber natürlich geht es ihnen weiterhin um Kontrolle - ganz wesentlich von Frauen, deren Rechte rigoros eingeschränkt werden." Auch Andersdenkende seien gefährdet, sagt der Experte: "Aufzubegehren ist lebensgefährlich". 

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"Offensichtliche Kriegsverbrechen" unter türkischer Kontrolle

Auch in dem von der Türkei kontrollierten Gebiet im Nordosten leben die rund 2,1 Millionen Menschen -  darunter auch aus der Türkei abgeschobene syrische Flüchtlinge - keineswegs sicher. So hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zahlreiche Übergriffe der gegen Assad gerichteten sogenannten "Syrian National Army" wie auch der mit ihr kooperierenden offiziellen türkischen Armee dokumentiert. "Die anhaltenden Übergriffe, darunter Folter und erzwungenes Verschwindenlassen derjenigen, die unter türkischer Herrschaft in Nordsyrien leben, werden weitergehen - es sei denn, die Türkei selbst stoppt sie ", sagt Adam Coogle, stellvertretender Direktor von Human Rights Watch, im Vorworteiner Studie der Organisation: "Türkische Beamte sind nicht nur Zuschauer der Übergriffe, sondern tragen als Besatzungsmacht Verantwortung und waren in einigen Fällen direkt an offensichtlichen Kriegsverbrechen beteiligt."

Ein Mann steht vor einem brennenden LKW. Szene bei Protesten gegen die türkische Präsenz in der Nähe von Aleppo, Juli 2024
Protest gegen die türkische Präsenz. Szene in der Nähe von Aleppo, Juli 2024Bild: Bakr Alkasem/AFP/Getty Images

Repressionen auch im Kurdengebiet

Auch in dem von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) regierten weitgehend autonomen Nordostsyrien herrscht keine vollkommene Sicherheit. Die der PYD und auch der unter anderem in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbundenen "Volksverteidigungseinheiten" (PYG) hatten in der Vergangenheit den "Islamischen Staat" (IS) bekämpft. Derzeit sind die PYG in bewaffnete Konflikte unter anderem mit der türkischen Armee wie auch mit Iran-treuen Kräften verwickelt. Zudem konkurrieren kurdische und arabische Gruppen in der Region um Macht und Einfluss. 

All dies habe das dort die herrschenden Kräfte veranlasst, Repressionen gegen politische Gegner zu verstärken, heißt es in der Studie von Bank und Herrschner. So würden ihnen Zwangsrekrutierungen, außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen sowie Folter in Haftanstalten vorgeworfen.

Syrien sei in keiner Region sicher, so das Fazit der Studie. Ebenso sieht es Carsten Wieland: "Die Frage, ob Syrien ein sicheres Land ist, würde ich eindeutig mit 'Nein' beantworten - und zwar mit Blick auf alle vier Regionen."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika