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Politik

Syrienkrieg: Neue Runde nicht ausgeschlossen

12. März 2018

Der Einmarsch der Türkei in Syrien könnte dem Krieg neuen Schub geben. Schon jetzt kämpfen sunnitische Araber in den Reihen der türkischen Armee. Sollten weitere folgen, könnte das zu einem Flächenbrand führen.

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Türkei Syrien Afrin
Bild: picture-alliance/AA/B. Milli

407 Fassbomben ließ das Assad-Regime im Februar auf syrische Zivilisten fallen. Die gefährlichen Behälter, gefüllt mit Benzin, Nägeln und Stahlsplittern, brachten mindesten 27 Menschen ums Leben. Seitdem sich Russland vor gut zweieinhalb Jahren in den Krieg einschaltete, ließ das Regime gut 23.800 dieser Bomben vom Himmel fallen, so die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Angaben sind nicht überprüfbar, allerdings wurden die Angaben der Institution in den Jahren seit Beginn des Aufstandes nie widerlegt.

Ein erheblicher Teil - rund 300 - der im Februar eingesetzten Bomben ging über der Region Ost-Ghuta nieder. Dort bekämpft das Regime die Aufständischen mit aller Härte. Leidtragende sind die Zivilisten. Aber auch die - überwiegend dschihadistischen - Assad-Gegner werden schwer getroffen. Inzwischen seien sie vor allem damit beschäftigt, um ihr eigenes Überleben zu kämpfen, so die Syrien-Expertin Kristin Helberg im Gespräch mit der DW. Medienagenturen melden zudem den Beschuss mit weiteren Waffen, vor allem schwerer Artillerie.

Auch das ebenfalls von Rebellen gehaltene Idlib wird massiv attackiert. Auch dort setzt das syrische Militär Fassbomben ein. Unbestätigten Informationen zufolge enthielten zwei von ihnen auch Giftgas.

Eskalation in Afrin

Während die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete massiv beschossen werden, rücken im Nordosten des Landes türkische Truppen immer weiter gegen die kurdische Enklave rund um Afrin vor. Medienberichten zufolge haben sie die Stadt nahezu vollständig umzingelt.

Syria Krieg
Den Sieg fast vor Augen: Syrische Soldaten patrouillieren in Ost-GhoutaBild: picture-alliance/Photoshot/A. Safarjalani

Für das Assad-Regime ist die türkische Offensive trotz der eigenen Erfolge in Ost-Ghuta ein herber Rückschlag. Nachdem es dank der Hilfe seiner russischen und iranischen Verbündeten in den letzten Monaten immer mehr Terrain hatte zurückerobern können, sieht es seine Macht nun wieder massiv in Frage gestellt. Denn in Afrin sind nicht nur türkische Truppen aufmarschiert. In ihren Reihen kämpfen auch sunnitische Araber mit - überwiegend Milizen der so genannten "Freien Syrischen Armee" (FSA). Die hatte ursprünglich als überwiegend säkulare Bewegung begonnen. Viele ihrer Kämpfer haben sich über die Jahre aber konfessionell radikalisiert und extremistische Positionen angenommen.

Eine Gleichung, die nicht aufgeht

Das aber heißt: Die Gleichung Türken gegen (kurdische) Syrer geht propagandistisch nicht auf. Die sunnitischen Anti-Assad-Kämpfer, vom syrischen Militär auf das Äußerste bedrängt, könnten in der Türkei ihren kommenden Verbündeten sehen. Tatsächlich spricht sich Erdogan seit Jahren für das politische Ende Assads aus. Zu diesem Zweck unterstützt Ankara sunnitische Kämpfer. Nun befindet sich das türkische Militär in Afrin in unmittelbarer Konfrontation zwar nicht mehr mit der syrischen Armee, wohl aber mit dem Regime verbundenen Truppen. Die verbleibenden sunnitischen Kämpfer könnten versucht sein, sich den türkischen Truppen anzuschließen.

Syrien | 'Operation Olive Branch' der FSA in Afrin
Auch propagandistisch wertvoll für die Türkei: Kämpfer der Freien Syrischen Armee vor AfrinBild: picture-alliance/AA/H. Nasir

Darauf, so der Polit-Analyst Metin Gurcan im Internet-Magazin Al-Monitor, könnte sich Ankara durchaus einlassen. "Die Türkei wird darauf hinarbeiten, eine eher moderate dschihadistische Mobilisierung zu erreichen, indem sie die sunnitischen Oppositionsgruppen in Idlib dazu bringt, sich von den radikalen Dschihadisten zu trennen und sich mit den von der Türkei gestützten Kämpfern der FSA zu vereinen."

Neue Frontlinien

So stünde das Assad-Regime vor einer ganz neuen Lage: Der sunnitische Widerstand könnte neuen Schwung gewinnen und durch die türkische Armee militärisch wirkungsvoll verstärkt werden. Das würde zunächst zwar nur für den Nordosten des Landes gelten. Doch bestünde auch die Gefahr einer unkontrollierten Ausweitung der Kämpfe. 

Die Vielzahl der Akteure könnte auf diese Weise dazu führen, dass der Krieg noch komplexer wird, die Fronten sich ausweiten und einen ganz neuen Verlauf nehmen. Schien der Krieg bis vor einigen Wochen auf die langsame Vernichtung der Assad-Gegner, erkauft mit sehr hohen Opferzahlen unter Zivilisten, hinauszulaufen, so könnte er nun in eine neue, noch einmal zusätzlich internationalisierte Phase laufen.

Alltag in der Hölle: Bericht aus Ost-Ghuta

Die Ohnmacht Russlands

Je nachdem, wie sehr Ankara die sunnitischen Kämpfer unterstützt, könnte das auch die USA provozieren, die den Kurden in lockerer, nicht immer zuverlässiger Partnerschaft verbunden sind. Zugleich hat sich Washington bislang den sunnitischen Milizen gegenüber als höchst zurückhaltend erwiesen. So könnte der Krieg auch aus dieser Richtung neuen Schub enthalten.

All dies, so die Syrien-Expertin Kristin Helberg im Gespräch mit der DW, dürfte den Russen nicht gefallen. Zusammen mit Teheran gehe es Moskau darum, in Syrien eine das Land irgendwann wieder straff kontrollierende Regierung an der Macht zu wissen. Dieses Ziel schien weitgehend erreicht. "Wladimir Putin will diesen für Russland extrem teuren Krieg endlich beenden und das militärische Ergebnis diplomatisch besiegeln. Dafür soll Assad für den Rest der Welt wieder zum legitimen Herrscher und Ansprechpartner in Sachen Wiederaufbau werden."

Genau dieser Plan steht nun aber wieder in Frage. Der Krieg in Syrien könnte in eine neue Runde gehen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika