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Syriens humanitäre Katastrophe

Kersten Knipp31. März 2015

In Kuwait fand die dritte Geberkonferenz zur humanitären Hilfe für syrische Flüchtlinge statt. Die für 2015 benötigten Hilfsmittel markieren einen neuen Rekord. Denn immer mehr Syrer leiden unter dem Krieg.

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Türkei: Syrische Flüchtlinge (Foto: EPA/SEDAT SUNA)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Es fehlt an allem: an Ernährung, medizinischer Versorgung, einem Dach über dem Kopf. Viele Syrer sind nicht einmal mit dem Allernötigsten, mit so einfachen Dingen wie Decken und Kleidung, versorgt. Insgesamt, haben die Vereinten Nationen jetzt bekannt gegeben, sind über zwölf Millionen Bürger des kriegsgeplagten Landes dringend auf Unterstützung angewiesen - unter ihnen über fünfeinhalb Millionen Kinder. "Als größte humanitäre Katastrophe der Neuzeit" bezeichnete der Emir des die Konferenz austragenden Königreichs Kuwait, Scheich Sabah al-Ahmad al-Sabah, die Folgen des Krieges in Syrien.

Um ihnen im laufenden Jahr helfen zu können, veranschlagen die Vereinten Nationen sowie die beiden Hilfsorganisationen Rotes Kreuz und Roter Halbmond einen Betrag von 2,9 Milliarden US-Dollar. Zum ersten Mal haben die UN eine Kalkulation erstellt, die nicht nur Syrien, sondern auch die Nachbarländer - vor allem die Türkei, Libanon und Jordanien - umfasst. Denn diese sind mit den rund 4,3 Millionen Flüchtlingen in ihren Grenzen mehr und mehr überfordert. Um sie zu unterstützen, sind UN-Berechnungen zufolge weitere 5,5 Milliarden US-Dollar nötig. Insgesamt belaufen sich die aufzutreibenden Mittel auf rund 8,4 Milliarden US-Dollar. Deutschland hat sich seit dem Jahr 2012 mit über einer Milliarde an den internationalen Hilfszahlungen beteiligt.

Hilfsgelder bislang erst zum kleinsten Teil gesichert

Von dieser Summe sind laut Oxfam bislang aber erst rund 850 Millionen US-Dollar gesichert oder zugesagt. Das, sagt Oxfam-Nothilfereferent Robert Lindner im Gespräch mit der DW, liege daran, dass es derzeit noch relativ früh im Jahr sei und viele Gelder noch nicht eingetroffen seien. Die Geberkonferenz in Kuwait könnte das ändern. Denn Publicity spielt auch bei humanitären Angelegenheiten eine große Rolle. "Manche Staaten warten offenbar gerne, bis sie ihre Beiträge auf Geberkonferenzen wie in Kuwait öffentlichkeitswirksam verkünden können." Lindner ist im Hinblick auf weitere Summen darum optimistisch: "Da kommt dann tatsächlich auch in der Regel noch einiges mehr zusammen."

So groß die Summe auf den ersten Blick scheint, sie relativiert sich angesichts der verheerenden Bilanz, die die vier Kriegsjahre hinterlassen haben. So ist etwa die Wasserversorgung über weite Teile zusammengebrochen. Inzwischen hat das Versorgungssystem die Hälfte seiner Kapazitäten aus der Vorkriegszeit verloren. Fast 12 Millionen Menschen sind dringend auf entsprechende Hilfen angewiesen.

Auch die medizinische Versorgung ist nicht gesichert. Über die Hälfte aller syrischen Krankenhäuser ist bislang durch den Krieg zerstört worden. Das hat etwa zur Folge, dass syrische Frauen ihre Kinder unter prekärsten Umständen zur Welt bringen - bei knapp 1500 Geburten pro Tag lastet hinsichtlich der Gesundheit der Neugeborenen eine schwere Hypothek auf dem Land. Die Lage ist umso bedrückender, als dass in dem Krieg rund 1,2 Millionen Häuser beschädigt oder ganz zerstört worden sind. Über 1,6 Millionen Syrer haben kein festes Dach über dem Kopf. Hinzu kommt Lebensmittelmangel in bedrohlichem Ausmaß: Gut 7 Prozent der Syrer leiden an akuter, über zwei Prozent an schwerer Unterernährung.

Ein zerstörtes Viertel von Damaskus, 4. 3. 2015 (Foto: Reuters)
Ein zerstörtes Viertel von DamaskusBild: Reuters/Mohammed Badra

Schwierige Hilfe

Viele Organisationen stehen bereit, die Flüchtlinge zu unterstützen. Zu ihnen zählen sowohl UN- wie auch humanitäre Nichtregierungsorganisationen. Ihre Arbeitsweisen unterscheiden sich deutlich, sagt Robert Lindner. Oxfam habe eine Genehmigung der syrischen Regierung, auch innerhalb der Landesgrenzen Hilfe zu leisten. "In diesem Rahmen konzentrieren wir uns vor allem darauf, in einigen Regionen die Wasserversorgung wieder aufzubauen." Dabei komme es vor allem darauf an, möglichst viele Menschen in möglichst verschiedenen Landesteilen zu erreichen." Besonders schwierig sei die Arbeit in umkämpften Gebieten oder in und im Umfeld belagerter Städte."Allerdings arbeiten einige Organisationen auch mit lokalen Partnern zusammen, durch die sie oft auch Zugang zu diesen Zonen erhalten." Auf diese Weise erhalten auch jene knapp fünf Millionen Syrer Hilfe, die sich in den Gebieten aufhalten, die die UN als "schwer zugänglich" definiert.

Andere Hilfsorganisationen arbeiten nach dem "cross-border"-Prinzip, leisten also von den jeweiligen Nachbarländern aus Hilfe - oft auch ohne eine entsprechende Genehmigung der syrischen Regierung. So ist auch diese Arbeit nicht ohne Risiko. Zudem müssen diese Organisationen fürchten, von den verfeindeten Parteien an ihrer Arbeit gehindert zu werden.

Vollkommen ohne Unterstützung bleiben allerdings jene Menschen, die in Gebieten leben, die der "Islamische Staat" oder andere Terrororganisationen unterworfen haben. In sie können die Hilfsorganisationen nicht vordringen. Die Arbeit dort ist schlichtweg zu riskant.

Die Nusra-Front nachd er Eroberung Idlibs, 28.3. 2015 (Foto:Reuters)
Für Hilfsorganisationen unerreichbar: die Herrschatsgebiete der Dschihadisten, hier der Nusra-FrontBild: Reuters/K. Ashawi

Bedrohte Zukunft

In ihrem Strategiepapier fordern die UN eine politische Lösung des Konflikts. Ansonsten drohe sich die humanitäre Lage noch weiter zu verschlimmern. Das hätte vor allem für die jungen Syrer schlimme Folgen. Da auch ein Viertel der Schulen zerstört oder zweckentfremdet worden ist - etwa, indem sie in Schutzorte umgewandelt worden sind - wird ein Großteil der derzeit heranwachsenden Generation um fundamentale Bildungschancen gebracht. Auch dadurch steht langfristig ihre Zukunft auf dem Spiel. Und mit ihr die des ganzen Landes.