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PolitikNahost

Assad: Schrittweise Rückkehr auf die internationale Bühne?

11. Januar 2023

Baschar al-Assad wird für einige Regierungen der Region - besonders die der Türkei - als Gesprächspartner wieder interessant. Militärisch sitzt Assad fest im Sattel. Doch er herrscht mit Gewalt über ein zerrüttetes Land.

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Syrien Präsident Bashar al-Assad
Syriens Präsident Baschar al-AssadBild: Joseph Eid/AFP/Getty Images

Über Jahre standen sie sich unversöhnlich gegenüber, nun könnten sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein syrischer Amtskollege Baschar al-Assad einander wieder annähern. So deutete es Erdogan Ende vergangener Woche an. Ein Treffen mit Assad schließe er nicht mehr aus, erklärte er. Mit Blick auf Syrien sprach er von einem neuen Friedensprozess, an dem neben der Türkei und Syrien auch Russland beteiligt sei.

Erst gab es ein Treffen der Geheimdienstchefs und Verteidigungsminister in Moskau. Nun sollten sich die Außenminister der drei Länder treffen, so Erdogan - laut einigen Medienberichten könnte dies bereits am Mittwoch (11.01.) geschehen.

Assad erhofft sich politische Aufwertung

Assad dürften die politischen Annäherungsversuche seines langjährigen Rivalen Erdogan gelegen kommen, meint Bente Scheller, Referatsleiterin und Nahost-Expertin der Heinrich-Böll-Stiftung. "Dadurch erhofft er sich natürlich eine diplomatische Aufwertung." Kritiker sehen bereits die Gefahr einer schrittweise ablaufenden Rückkehr Assads auf die internationale Bühne, syrische Regierungsgegner fühlen sich von Erdogan verraten und protestieren seit Tagen gegen die geplante Annäherung.

Doch wie weit würde diese gehen? Eine zweite Hoffnung Assads dürfte sich jedenfalls so schnell nicht erfüllen, nämlich die auf materielle Zuwendungen, auf die das vollkommen zerstörte Land unbedingt angewiesen ist. Kaum ein Staat dürfte derzeit bereit sein, in Syrien zu investieren, analysiert Scheller.

Klar scheint: Durch die Realitäten im Lande sind auch jeglicher politischen Aufwertung Grenzen gesetzt. Dennoch sei Assad inzwischen in einer vergleichsweise starken Position, sagt der Politologe Christopher Phillips von der Queen Mary University in London. "Er hat den Krieg insofern gewonnen, als er die größten Teile des Landes kontrolliert, wenngleich längst nicht alle." Zwar handele es sich um einen Pyrrhussieg, da das Land zerstört sei. "Aber in militärischer Hinsicht stellt die Opposition keine ernsthafte Alternative zu Assad mehr dar."

Unterschiedliche türkische Interessen

Auch deshalb scheint Erdogan interessiert, sein Verhältnis zu Assad neu zu ordnen. Dabei war die Türkei lange einer der wichtigsten Unterstützerstaaten der bewaffneten syrischen Opposition und beteuert bis heute, die politischen Gegner Assads nicht fallen zu lassen zu wollen. Nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 hatte Erdogan freilich lange Zeit auf eine Zukunft des Nachbarlandes ohne Assad im Präsidentenamt gesetzt und jeden Kontakt mit ihm ausgeschlossen. Von diesem Kurs ist er nun deutlich abgewichen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der syrische Präsident Baschar al-Assad schütteln einander die Hände, Szene aus dem Jahr 2009
Bald wieder ein Handshake? Der türkische Präsident Erdogan (l.) und Syriens Machthaber Assad bei einem Treffen 2009 (Archivbild)Bild: BULENT KILIC/AFP/Getty Images

Denn nun sieht Erdogan in Assad offenkundig einen Partner, mit dem sich einige seiner eigenen politischen Ziele besser erreichen lassen. So bemüht er sich seit Jahren darum, die syrisch-kurdische Partei PYD und deren "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet zurückzudrängen. Beide gelten als eng verbunden mit der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die Ankara als Staatsfeind Nummer Eins betrachtet. Um  PKK-nahe Kräfte aus dem Grenzgebiet zu vertreiben, hatte er im vergangenen Jahr Teile des nordöstlichen Syriens militärisch attackieren lassen, eine Invasionsdrohung steht immer noch im Raum. Die Vertreibung kurdischer Milizen hofft Erdogan offenbar leichter zu erreichen, wenn Assad mit im Boot ist.

Offen sei aber, ob diese Rechnung aufgehe, sagt Bente Scheller. Zwar habe Assad keine sonderlichen Sympathien für kurdische Autonomiebestrebungen. Allerdings seien deren Repräsentanten für ihn die wichtigsten Verbindungspartner im Nordosten des Landes. "Darum bin ich nicht sicher, ob Assad und Erdogan sich hinsichtlich der Kurden auf einen gemeinsamen Kurs einigen können."

Zudem sucht Erdogan eine Lösung für die rund vier Millionen syrischen Flüchtlinge, die die Türkei zurzeit beherbergt. Die schutzbedürftigen Menschen werden für den Staat angesichts der galoppierenden Inflation - im Oktober lag sie bei über 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr - zu einer immer größeren Belastung, offenbar auch aus Sicht vieler türkischer Bürger. Dies könnte sich auf die türkischen Präsidentschaftswahlen im Juni auswirken. Erdogan hat ein Interesse daran, dass die Geflüchteten möglichst schnell nach Syrien zurückkehren.

An einer umfangreichen Rückkehr der Geflüchteten habe das Assad-Regime allerdings kein Interesse, sagt Bente Scheller. "Deswegen dürfte es auch in diesem Punkt keine wirkliche Einigkeit zwischen Erdogan und Assad geben."

Annäherungsversuch aus der Golfregion

Neben der Türkei sehen aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) offenkundig Anlass, Kontakt zur lange isolierten syrischen Staatsführung zu suchen. So reiste Mitte der vergangenen Woche der Außenminister der VAE, Abdullah bin Zayed Al-Nahyan, nach Damaskus, wo er auch Assad traf. Die VAE sind zusammen mit Saudi-Arabien der große Gegenspielers Irans in der Region. Ihnen dürfte es - neben der realpolitischen Erkenntnis, dass in Syrien bis auf Weiteres kaum ein Weg an Assad vorbeiführen dürfte - nicht zuletzt darum gehen, den Einfluss Irans in Syrien so weit wie möglich einzuschränken. Es scheint aber fraglich, ob es den VAE gelingen könnte, die Präsenz der libanesischen Hisbollah-Miliz und anderer iranisch unterstützter Kräfte und Milizen zu begrenzen. Denn diese unterstützen das Assad-Regime in einem Maß, das die VAE, selbst wenn sie wollten, wohl gar nicht leisten könnten. Assad ist abhängig von ihnen. Indem Assad die Hisbollah in Syrien beherbergt, stärkt er freilich deren Schlagkraft - etwa gegen Israel - und damit auch die Irans. Insofern müssen sich die diplomatischen Vertreter der VAE wohl auf weitere schwierige Gespräche einstellen.

Ein ukrainischer Panzer in der Stadt Bachmut, Dezember 2022
Indirekte Auswirkungen bis nach Syrien: der russische Angriffe auf die Ukraine. Hier eine Straße in Bachmut, Dezember 2022. Bild: Libkos/AP/picture alliance

Russlands Einfluss in Bewegung

Spannend dürfte sein, wie sich der russische Einfluss in Syrien entwickelt. Zwar bewahrte das militärische Engagement Russlands an der Seite Assads diesen seinerzeit unbestritten vor einer militärischen Niederlage. Inzwischen scheinen Russlands Kräfte aber durch dessen anders als geplant verlaufenden Angriffskrieg auf die Ukraine geschwächt. Und diplomatisch ist Russland seitdem erst recht weitgehend isoliert. In dieser Lage dürfe es Moskau schwerer als bislang fallen, seinen Einfluss in Syrien konstant zu halten und nicht zunehmend an den politischen Partner, aber durchaus auch Konkurrenten Iran zu verlieren. 

Zugleich allerdings muss Assad nach wie vor seinen eigenen Machterhalt in Syrien immer wieder neu organisieren und absichern - und dafür braucht er Russland und den Iran. Für Assad sei die Absicherung der eigenen Macht gar nicht einfach, erläutert Syrien-Expertin Bente Scheller unter Verweis auf immer wieder aufflammende Kämpfe zwischen Regimekräften und Opposition wie auch zwischen verschiedenen Regimemilizen im Süden Syriens. Dort gebe es auch wieder verstärkt öffentliche Kundgebungen gegen Assad, die durchaus in Gewaltaktionen münden könnten. "Zwar erscheint Assads Macht auf den ersten Blick gefestigt. Tatsächlich aber wird das offiziell von ihm regierte Land vielerorts von vielen einzelnen Mafia-artigen Milizen kontrolliert. Und die haben natürlich freiere Hand, wenn Iran und Russland hier nicht regulierend eingreifen."

Zerstörtes Gebäude in dem syrischen Flüchtlingslager "Maram" nahe Idlib nach einem Angriff des Assad-Regimes, November 2022
Elend ohne Perspektive: Szene aus dem syrischen Flüchtlingslager "Maram" nahe Idlib nach einem Angriff des Assad-Regimes, November 2022 Bild: Izzeddin Kasim/AA/picture alliance

Westliche Staaten bisher ablehnend

Und die westlichen Staaten? Derzeit haben sie Syrien mit Sanktionen belegt. Für sie seien Gespräche mit Assad ausgesprochen schwierig vorstellbar, sagt Christopher Phillips von der Queen Mary University in London, die meisten westlichen Staaten sehen Assad unverändert als Kriegsverbrecher. Zwar sind auch für sie viele Probleme ohne offiziellen Ansprechpartner in Syrien kaum zu lösen, allen voran das Flüchtlingsthema wie auch generell der Stopp von Tod und Gewalt. Dennoch erscheinen direkte Gespräche westlicher Politiker mit Assad bis auf Weiteres nicht vorstellbar, außer vielleicht, wenn dieser bisher völlig unvorstellbare Zugeständnisse machen würde. Wie diese aussehen könnten, sei derzeit jedoch völlig unklar, meint Christopher Phillips. Doch sei realpolitisch keineswegs auszuschließen, dass der Westen Assad irgendwann wieder benötigen könnte. Dessen sei sich Assad auch bewusst.

Syrische Flüchtlinge ohne Perspektive

Bente Scheller hat hierzu eine klare Meinung: Eine schleichende politische Rehabilitierung und damit ein dauerhafter Verbleib Assads an der Macht wäre für die politische Kultur innerhalb wie außerhalb der Region eine Katastrophe, sagt sie. "Denn vieles, was Assad erreicht hat, war nur möglich durch einen massiven Bruch internationaler Normen. Denn es ist natürlich ein gefährlicher Vorläufer für alle anderen Konflikte, wenn der Stärkere oder der vermeintlich Stärkere sich hier unter Bruch des gängigen und geltenden Rechts durchsetzt."

Düster sieht deshalb auch weiterhin Situation für viele syrische Flüchtlinge aus. Viele von ihnen könnten in ein von Assad beherrschtes Syrien nicht zurück, da ihnen dort politische Verfolgung und damit Gefahr für Leib und Leben drohen. In den Ländern, in die sie geflohen sind, fühlen sie sich in vielen Fällen - nicht zuletzt in der Türkei - aber auch kaum noch willkommen. Bleibt Assad an der Macht, fehlt vielen von ihnen jegliche Zukunftsperspektive.

Mitarbeit: Cathrin Schaer

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika