Syrische Studenten besorgt
30. Dezember 2012Ein gutes Dutzend syrischer Studenten hat sich vor dem Hauptgebäude der Kölner Universität zusammengefunden. Zum Flashmob, einer zwar geplanten, aber nicht angekündigten Demonstration. Wie eine Schauspielergruppe stellen die jungen Leute Szenen aus Syrien dar: Einer kniet am Boden, ein anderer hält ihm ein Gewehr an den Kopf, eine Frau hält ein blutendes Baby im Arm, zwei Uniformierte drangsalieren einen Journalisten. Ein Student verteilt Handzettel mit Informationen über Syrien und das Regime dort. Doch kaum jemand bleibt stehen. Es nieselt. Die anderen Studenten eilen in die Mensa oder zur nächsten Vorlesung.
43 Syrer sind an der Kölner Universität eingeschrieben. Seit Anfang 2012 ist ein Teil von ihnen aktiv geworden. "Freie Syrische Studenten" - so nennt sich die Gruppe. "Nur etwa die Hälfte macht dabei mit", erzählt Alan Jawich. "Die anderen haben Angst, dass ihre Familien in Syrien unter Druck gesetzt werden, weil sie hier politisch aktiv sind." Alan Jawich ist einer der Aktiven, er studiert Medizin, wie die meisten Syrer die nach Deutschland kommen. Insgesamt etwa 2300 studieren hierzulande. Und wie den meisten anderen droht auch Alan die Mehrfachbelastung langsam über den Kopf zu wachsen.
Studium und schlechte Nachrichten
Da ist zum einen das anspruchsvolle Studium in einer Sprache, die er noch nicht perfekt beherrscht. "Doch dazu kommt auch die psychische Belastung. Was in Syrien passiert, tut uns immer weh. Die Videos, die wir im Internet finden, sind grausam, die Nachrichten schlecht." Facebook, Twitter, die Nachrichten in Internet und Fernsehen - Alan und seine Kommilitonen sind ständig mit Fragen wie diesen beschäftigt: Was passiert in der Heimat? Wie geht es meiner Familie? Wie meinen Freunden?
Der Kontakt per Internet oder Telefon gelingt nicht immer, und wenn, trauen sich die Menschen in Syrien nicht, offen zu sprechen. Unter der ständigen Ablenkung leide das Studium. "Die letzten zwei Semester konnte ich gar nicht lernen", klagt Alan. Hinzu kommt: Vielen ist schon lange das Geld ausgegangen. Die Studenten kommen zwar größtenteils aus Familien, die eine Ausbildung in Deutschland ursprünglich finanzieren konnten. Doch jetzt ist alles anders, durch die Lage in Syrien kann auch Ahmad Alrawis Familie kein Geld mehr schicken. "Seit einem Jahr habe ich keine Unterstützung bekommen."
Ahmad und seinen Kommilitonen bleibt nichts anderes übrig, als neben dem so aufwendigen Studium arbeiten zu gehen. Maximal 90 Tage im Jahr dürfen sie jobben, denn eigentlich sollen sie in Deutschland vor allem ihr Studium zügig beenden. Regelmäßig müssen sie der Ausländerbehörde nachweisen, dass sie genügend Geld für den Lebensunterhalt haben und die Studienleistungen erbringen, um in maximal 20 Semestern fertig zu werden.
Flexible Lösungen für syrische Studenten
Hintergrund der Vorschriften sei es zu verhindern, dass die Studenten "ins Netz des deutschen Sozialstaats" fielen, erläutert Karl-Heinz Korn vom Akademischen Auslandsamt. Doch als einige syrische Studenten Anfang des Jahres Miete, Krankenversicherung und andere wichtige Rechnungen nicht mehr zahlen konnten, wurde Korn aktiv: Er bat einen der Verantwortlichen für die Lehre an der Kölner Universität, die besondere Lage der syrischen Studenten bei Prüfungen zu berücksichtigen. Denn nach drei gescheiterten Versuchen ist an der Kölner Universität eigentlich Schluss, die Prüfung darf dann nicht mehr wiederholt werden. Daraufhin erklärten sich viele Fächer bereit, bei den Syrern flexibler und großzügiger zu sein.
Der Bund wurde ebenfalls aktiv und verfügte einen vorläufigen Abschiebestopp. "Auch bei schlechten Studienleistungen werden Syrer zurzeit nicht abgeschoben, da brauchen sie keine Angst zu haben", ergänzt Karl-Heinz Korn. Außerdem wurden Gelder zur Überbrückung der Notlage bereitgestellt: Das Auswärtige Amt gab eine Million Euro Sondermittel, der Deutsche Akademische Austauschdienst legte 500.000 Euro drauf. Über die Hochschulen, an denen die Syrer eingeschrieben sind, wurden die Gelder verteilt. Doch diese Mittel fließen nur bis Anfang Februar 2013. Wie es dann weitergeht, ist ungewiss. Alan Jawich und seine Kommilitonen wünschen sich eine dauerhafte Lösung für die Zeit danach. "Vor allem aber", hofft der Student, "dass das Regime in Syrien stürzt".