Töten für Gerechtigkeit?
9. Juli 2014Kristin Froehlich ringt um Fassung, als sie vom Mord an ihrem Bruder David erzählt. 19 Jahre ist es her, dass David und vier seiner Freunde von ihrem Vermieter im Bundesstaat Connecticut ermordet wurden – und noch immer fällt es Kristin Froehlich schwer, darüber zu reden. Doch heute muss sie die richtigen Worte finden. Sie ist extra nach Washington D.C. gereist, um über ihre Erfahrungen zu sprechen. Über das Ohnmachtsgefühl. Über die Trauer. Aber auch über die Todesstrafe.
"Opfer brauchen andere Mittel, damit ihre Wunden verheilen und sie mit ihrem Leben weitermachen können als eine Hinrichtung oder ein Todesurteil", sagt sie. Die Sozialarbeiterin blickt auf eine Gruppe von Demonstranten, die bei ihren Worten in Jubel ausbricht. Froehlich steht an einem Mikrofon vor den Treppen zum Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA. Es ist die einzige Behörde auf Staatsebene, die sämtliche Todesurteile aufheben kann. Der Präsident hat in Sonderfällen Begnadigungsrecht. In den Vereinigten Staaten ist die Todesstrafe Ländersache. In Delaware, wo Froehlich wohnt, sind Hinrichtungen erlaubt. Noch.
Mehr Kritiker und Verbote
Denn die Zahl der Kritiker wächst im Land. Laut neuester Umfrage des Pew Research Centers sprechen sich zwar immer noch 55 Prozent der US-Amerikaner für die Todesstrafe aus. Das sind aber weitaus weniger als in den 1990er Jahren: Damals befürworteten sie 78 Prozent der Bürger. Gleichzeitig steigt die Zahl der Staaten, in denen Hinrichtungen verboten werden. In den vergangenen sieben Jahren hoben New Jersey, New Mexico, Illinois, Connecticut und Maryland die Todesstrafe auf. Weitere Volksbegehren stehen bevor, darunter in Colorado, Kalifornien und Delaware. Für Abraham Bonowitz ist das ein gutes Zeichen.
Bonowitz gehört dem "Abolition Action Committee" an, das sich für ein landesweites Exekutionsverbot stark macht. Bis jetzt werden Hinrichtungen noch in 32 US-Staaten praktiziert. Die nächsten Exekutionen sind am 10. Juli in Georgia und in Florida. Dann sollen Tommy Lee Waldrip und Eddie Davis hingerichtet werden. Beide wurden für Morde Anfang der 1990er Jahre verurteilt - Waldrip für die Ermordung eines Mannes, der gegen seinen Sohn aussagen wollte, Davis für die Tötung der elfjährigen Tochter seiner Ex-Freundin.
Früher hätte Aktivist Bonowitz solche Maßnahmen für legitim erklärt. Doch dann änderte der Republikaner seine Meinung – vom Befürworter zum Gegner. "Irgendwann habe ich verstanden, dass man nicht alle Mörder umbringen kann. Doch wie soll man entscheiden, welcher Verbrecher hingerichtet wird? Ich habe bemerkt, dass wir am häufigsten die Menschen auswählen, die arm sind, die sich keinen Anwalt leisten können, die einen Weißen umgebracht haben." Mit Gerechtigkeit hätte das nichts mehr zu tun.
"Hungern für Gerechtigkeit"
Abraham Bonowitz trägt ein weißes T-Shirt, auf das das Gebäude des Supreme Court gedruckt ist. Auf der Rückseite prangt der Schriftzug "Hungern für Gerechtigkeit". Genau das macht der Aktivist in Washington: Jedes Jahr Anfang Juli kommt er in die US-Hauptstadt, um für einige Tage zu fasten. Er stellt Infowände auf und versucht, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Unter anderem mit Vorträgen wie der Rede von Kristin Froehlich. "Immer mehr Menschen fühlen sich unwohl mit der Todesstrafe", sagt er. "Das heißt nicht sofort, dass sie dagegen sind. Aber wenn man ihnen Alternativen anbietet, etwa eine lebenslange Gefängnisstrafe, dann bevorzugen sie diese Möglichkeit."
Ein Grund für das steigende Misstrauen sei die Zahl der Fehlurteile, sagt Sarah Croft von der Non-Profit-Organisation "Equal Justice USA". Croft hat sich den Demonstranten vor dem Supreme Court angeschlossen. "Es gibt immer mehr Geschichten über Menschen, die unschuldig zum Tode verurteilt wurden und dann wieder frei kamen", sagt sie. Das "Death Penalty Information Center" geht aktuell von 144 Entlastungsfällen aus. Die Zahl der immer noch unschuldig im Gefängnis Sitzenden sei weitaus höher, sagt Croft. Die Aktivistin hofft, dass solche Auskünfte die Bevölkerung dazu bringen, sich gegen die Todesstrafe auszusprechen.
Abschreckung oder Wiedergutmachung?
Wenige Meter von den Demonstranten entfernt steht Eric Christiansen. Der Ingenieur aus Texas ist auf Familienausflug in der Hauptstadt und kann sich mit den Ideen der Abolitionisten nicht anfreunden. "Ich bin für die Todesstrafe. Ich würde mir nur wünschen, dass sie eine noch abschreckendere Wirkung hätte", sagt der 44-jährige Republikaner.
Mit seiner Meinung steht Christiansen nicht alleine da. "Man muss an die Familien der Ermordeten denken", sagt der 18-jährige Jacob Sullic. "Wenn sie die Todesstrafe wollen, dann muss man ihnen dieses Recht zusprechen." Sein älterer Bruder Trent sieht es ähnlich: "Ich wäre nicht gerne der Mensch, der auf den Knopf drückt, um einen anderen zu töten. Aber wenn jemand ein Mitglied aus meiner Familie umgebracht hätte, würde ich wahrscheinlich nicht zögern."
Oklahoma, aus dem das Bruderpaar stammt, hat in diesem Jahr wegen einer missglückten Hinrichtung traurige Berühmtheit erlangt: Ein Giftgemisch wirkte nicht, der Verurteilte litt mehr als 40 Minuten lang Qualen. Fälle wie diese hätten die Einstellung der US-Amerikaner verändert, meint Sarah Croft. "Die Diskussion ist seit der verpfuschten Hinrichtung in Gang gesetzt. Und sie hat vielen Menschen ermöglicht, öffentlich ihre Bedenken zu äußern." Etwa am Infostand von Abraham Bonowitz.
Sieg in 15 Jahren
Bonowitz meint, dass in diesem Jahr weitaus mehr Bürger ein Gespräch suchen würden als sonst. Das macht ihm Mut für die Zukunft. "In zehn bis 15 Jahren haben so viele Staaten die Todesstrafe abgeschafft, dass der Supreme Court handeln muss." Genau so wäre es auch bei der Hinrichtung von Minderjährigen gewesen, die seit 2005 illegal ist. "Es sind nur kleine Schritte, die wir machen. Aber wir werden siegen." Bis dahin will Bonowitz jedes Jahr weiter fasten.