Zimmermann erhält Ernst von Siemens Preis
23. Januar 2020Sie begann in Alter von drei Jahren, Bratsche zu spielen und war einst die jüngste Professorin Deutschlands. Sie hat die Werke zahlreicher zeitgenössischer Komponisten aus der Taufe gehoben. Auf ihrer Homepage umfasst ihre Repertoireliste 60 Werke; ihr Name steht auf rund 50 CDs.
Die Kunst der deutschen Bratschistin Tabea Zimmermann äußert sich aber in einer Sprache jenseits der Zahlen, etwa in Formulierungen von Musikjournalisten wie "Lust und verinnerlichte Kraft" oder "intensiv und sinnlich". Bei der schweizerische Tageszeitung "Le Temps" hieß es 2016: "Manchmal braucht man nicht mehr als eine Bratsche, um das Publikum sprachlos zu machen." Ein Kritiker der Hannoversche Allgemeine Zeitung schrieb 2018: "Wenn Zimmermann spielt, hört man auch mit dem Magen, den Zähnen, und den Haarspitzen", und man bekäme "als Zuhörer eine Ahnung davon, was musikalische Perfektion sein kann".
Viele Preise in guter Gesellschaft
Nach dem Bundesverdienstkreuz, dem Frankfurter Musikpreis, dem Hessischen Kulturpreis und einigen Auszeichnungen mehr wird der 53-jährigen Tabea Zimmermann nun der Ernst von Siemens Musikpreis zuerkannt.
Die mit 250.000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als "Nobelpreis der Musik" und erkennt seit 1973 alljährlich herausragende Leistungen von Komponisten, Interpreten oder Musikwissenschaftlern an. Zu den bisherigen Gewinnern gehören die Komponisten Benjamin Britten, Olivier Messiaen, Witold Lutoslawski und György Ligeti; die Dirigenten Claudio Abbado, Daniel Barenboim und Mariss Jansons oder die Instrumentalisten Mstislav Rostropovich und Maurizio Pollini.
Nach Tabea Zimmermanns Ausbildung an der Musikhochschule Freiburg schloss sich ein kurzes, intensives Studium beim legendären Dirigenten und Violinisten Sandor Végh am Mozarteum in Salzburg an. Wettbewerbserfolgen und drei Professuren folgten, seit Oktober 2002 an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin.
Als Kammermusikerin gefragt, spielt Zimmermann im eigenen Streichquartett. Zudem hat sie mit Spitzenorchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Orchestre de Paris, dem London Symphony Orchestra, dem Israel Philharmonic Orchestra und der Tschechischen Philharmonie zusammen gearbeitet. In der Saison 2019/2020 ist Tabea Zimmermann "Artist in Residence" beim Concertgebouw Orchestra in Amsterdam. Sie unterhält auch eine langjährige, enge Zusammenarbeit mit dem Ensemble Resonanz.
Musikerwitze und Bratschenglanz
Die Bratsche – das Objekt vieler Musikerwitze – gehört ins Mittelfeld der Tonhöhen: tiefer als die Geige, höher als das Cello. Dementsprechend sitzen Bratschistinnen und Bratschisten eher mitten im Orchester oder im Streichquartett. Ihr gehören weder die schrillen Töne noch das harmonische Fundament an, sondern eher das Unterstützende und Ausgleichende. Für Tabea Zimmermann bedeutet das: "Ich kann gut vermitteln zwischen den äußeren Stimmen, was aber nicht heißt, dass ich mich beim Proben sehr zurückhalte… Ich kann mich gut anpassen, wenn ich es musikalisch richtig finde."
Das unscheinbare Image der Bratsche hat diese Künstlerin jedoch sehr aufpoliert: Sie hat nicht nur viele Jugendliche für das Instrument interessieren können sondern mehrere Tonsetzer angeregt, für sie Werke aufzusetzen, darunter die Komponisten Wolfgang Rihm, György Ligeti, Heinz Holliger und Enno Poppe.
Zimmermanns Handschrift im Beethovenjahr
Im Juli 2013 wurde Tabea Zimmermann zur Vorstandsvorsitzenden des Vereins Beethoven-Haus Bonn ernannt und ist seitdem künstlerische Leiterin der in Januar stattfindenden Beethoven Woche. Auf die diesjährige, mehrwöchige Ausgabe hat sie jahrelang hingearbeitet, geht es um nichts weniger als die Aufführung sämtlicher Kammermusik Ludwig van Beethovens – ein Projekt, das es in diesem Ausmaß wohl kaum vorher gegeben hat.
Die Mutter von drei Kindern gilt als vielleicht weltbekannteste Bratschistin, ist jedoch den großen Glamour-Events abgeneigt. "Für mich ist die Nische interessanter als die große Szene", erklärte Tabea Zimmermann der DW im Jahr 2018: "Wir Künstler müssen lernen, wählerisch zu sein. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle sich für echte Musik interessieren. Wenn man bei den großen, geschäftsorientierten Konzertserien und Festivals spielt, sein Ganzes als Musiker gibt – der Partitur und den Kollegen zuliebe – und wenn man dann von eher gleichgültigen Zuhörern den Eindruck bekommt, sie sind nur da, um ihren Luxus zur Schau zu stellen: Das ist sehr frustrierend."
In musikalischer Sprache äußert Zimmermann sich zwar auf spektakuläre Weise, dafür in Worten eher bescheiden. "Ich habe durch die Musik gelernt", sagt Zimmermann. "Am besten sollte man in allen möglichen Konfliktgegenden die Kinder zum Quartettspiel bringen, weil man so lernt, einen eigenen Standpunkt zwar zu vertreten, aber diesen im Ernstfall auch einer gemeinsamen Idee unterzuordnen."