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Tanzmann: "Wir brauchen eine nachhaltige Agrarforschung"

Karin Jäger17. Januar 2015

Aus Anlass der Grünen Woche in Berlin, bei der sich die Nahrungsmittelbranche präsentiert, sagt Brot für die Welt: "Satt ist nicht genug". Stig Tanzmann, Agrarexperte des Hilfswerk, mahnt eine ausgewogene Ernährung an.

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Sojafeld in Paraguay (Foto: Getty Images)
So weit das Auge reicht: Soja-Monokultur in ParaguayBild: Duarte/AFP/GettyImages

Deutsche Welle: Herr Tanzmann, warum engagiert sich Brot für die Welt, das Hilfswerk der Evangelischen Kirche, bei der Kampagne "Wir haben es satt"?

Stig Tanzmann: Wir engagieren uns, weil es notwendig ist, auf viele Themen aufmerksam zu machen, die von der "Wir haben es satt"-Bewegung aufgenommen wird - wie die Handelsproblematik, die Fleischexportproblematik, die Tierhaltungsproblematik, das Recht auf Nahrung. Mit "Wir haben es satt" können wir die Probleme unsere Partner in Lateinamerika, Afrika, Osteuropa und Südostasien verstärkt in die Öffentlichkeit bringen.

Satt sein durch Brot allein reicht ja nicht. Das wäre zu einseitig. Was tun sie, damit ihre Partner satt und dabei nicht mangelernährt sind?

Das bedarf auch einer Neuausrichtung der Politik und der Forschung. Dafür setzen wir uns ein - auch im Rahmen von "Wir haben es satt", aber auch mit unserem Schwerpunktthema "Satt ist nicht genug".

Wir beschäftigen uns damit, dass die Leute nicht nur durch Kalorien gesättigt werden, sondern genügend Mikronährstoffe in einer vielseitigen Ernährung aufnehmen. Dafür braucht es aber auch eine Politikveränderung.

Bisher hat man immer darüber gesprochen, wie viele Tonnen Ertrag man durch die Ernte bekommt. Wir müssen darüber reden, was auf den Äckern produziert wird. Wenn viele Kleinbauern, wie bisher weiterhin nur ein Produkt wie Reis anbauen, um zu überleben, werden sie irgendwann an Mangelernährung leiden. Aber wenn sie vielseitig auf ihrer kleinen Fläche produzieren, können sie sich ganzheitlich ernähren und haben keinen Mangel mehr - und vielleicht bleibt von den Erzeugnissen noch etwas für den Verkauf und damit als Einkommen übrig.

Stig Tanzmann von Deutschland Brot für die Welt (Foto: Hermann Bredehorst/Brot für die Welt).
Stig Tanzmann: " Monokulturen schaden"Bild: Hermann Bredehorst/Brot für die Welt

Welche Zusammenhänge gibt es zwischen der Politik in Deutschland und der Ernährung in den armen Ländern des Südens?

Deutschland als großer Player in der Entwicklungszusammenarbeit fördert endlich wieder die Produktion von Grundnahrungsmitteln stärker über die grünen Innovationszentren ( Einsatz von moderner Bewässerung, Landtechnik, Pflanzenschutz und Saatgut zur Steigerung der Produktion, Mittel und Knowhow zur Verarbeitung, Lagerung und Logistik, damit die Erträge nicht verrotten.) Aber gefördert werden Wertschöpfungsketten für Reis oder Mais oder Soja - also einzelne Wertschöpfungsketten.

Was wir wollen, sind multifunktionale Wertschöpfungsketten, mit dem Ansatz, dass die Ernährung der Menschen in den Fokus genommen wird und nicht die Produktion. Wir brauchen eine vielseitige Produktion und auch Forschung, im Sinne der Höfe im Süden und deren Problemen.

Wenn aber aus Deutschland beispielsweise immer mehr Sojafuttermittel aus Südamerika nachgefragt werden, dann entsteht dort eine einseitige Produktion für den Export. Und weil man dafür große Flächen benötigt, werden Menschen von ihrem Land vertrieben. Wir raten unseren Partnern, Soja, wenn überhaupt, für den eigenen Konsum anzubauen. Er sollte nicht gentechnisch verändert sein. Generell raten wir von Monokulturen ab, weil das im Widerspruch zur Nachhaltigkeit steht, was zum Beispiel in Brasilien schon passiert.

Wir unterstützen dort den Anbau vielseitiger Feldfrüchte, wir fördern das staatliche Schulessen und können dort die Vielfalt der Produkte absetzen, die wir auf unserem eigenen Betrieb anbauen. In Brasilien müssen 30 Prozent des Schulessens von lokalen Kleinbauern gekauft werden. So wird per Gesetz die Art der Produktion und des Absatzes vorgegeben.

Der Bedarf an Nahrungsmitteln wird steigen, da sich die Weltbevölkerung bis 2050 verdoppelt haben wird. Müssen sich die Erträge nicht deutlich steigen, um den Hunger weltweit zu stillen?

Die Frage ist, ob in den Industrieländern weiterhin soviel Fleisch gegessen werden muss. Dadurch, dass viel Fläche für Futtermittel zur Tiermast verbraucht wird, fällt diese für den Anbau an vegetarischen Nahrungsmitteln weg. Gleichzeitig wird das Fleisch, das hier nicht mehr gegessen wird, also die Reste, nach Afrika exportiert, dann bricht dort die Tierhaltung zusammen. Das ist schlecht für die Ernährung und schlecht im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft, zu der die Tierproduktion als wichtiger Bestandteil gehört.

Man muss auch die Lebensmittelverschwendung angehen - ein großes Problem. Bei langen Lieferketten zum Beispiel verderben viele Lebensmittel, auch, weil die Lager in den Ländern des Südens nicht geeignet sind.

Außerdem muss man sich fragen, wie man die Produktion steigern kann. Gerade in tropischen Ländern kann man durch die entsprechende Agrarökologie viel erreichen, durch den Anbau von Pflanzen, die sich gegenseitig günstig beeinflussen. Wir wagen zu bezweifeln, dass es die großen Produktionsketten sein werden, die große Steigerungen nachhaltig erreichen können - im Sinne der Endlichkeit der Ressourcen und des Klimawandels.

Es wird einen zunehmend größeren Klimastress geben. Und wir haben nicht die Möglichkeit, unendlich viele Düngemittel einzusetzen. Und über eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Agrarforschung kann man noch viel erreichen. Das sind Aspekte, auf die wir aufmerksam machen wollen und da fordern wir eine Umkehr in der Forschung und der Förderungspolitik erfolgen. Gerade auch in Deutschland.

Das Gespräch führte Karin Jäger.

Stig Tanzmann ist Experte für Ernährung, Landwirtschaft und Lebensmittelverschwendung bei "Brot für die Welt", dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche.