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PolitikEuropa

Tausende Ungarn protestieren für Pressefreiheit

Felix Schlagwein
25. Juli 2020

Ungarns größtes unabhängiges Medium "Index" steht vor dem Aus. Kritiker befürchten eine Übernahme des Online-Portals durch die Orbán-Regierung. Dagegen gingen in Budapest Tausende auf die Straße.

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Ungarn I Budapest I Protest gegen politische Einflussnahme auf Nachrichtenportal Index
Mitglieder der Partei Momentum, die den Protest initiiert hat, führen den Protestzug an. Auf ihrem Banner steht: "Freies Land, freie Presse"Bild: DW/F. Schlagwein

"Index stand für Presse- und Ideenfreiheit. Die Leere, die es hinterlassen wird, wird kein anderes Medium füllen können", sagt Bálint Honos. Der junge Ungar ist einer von rund 10.000, die am Freitagabend (24.7.2020) in Budapest gegen die Einflussnahme der Regierung auf das größte unabhängige Medium des Landes demonstrierten.

Auch Luca Jelli ist unter den Demonstranten: "Das erste, was ich morgens mache, ist Index lesen", sagt sie. "Ich bin so traurig über das, was hier gerade passiert."

Ungarn I Budapest I Protest gegen politische Einflussnahme auf Nachrichtenportal Index
Viel Unterstützung für "Index"Bild: DW/F. Schlagwein

Der Protestzug formierte sich nahe der Index-Redaktion. Von dort aus zogen die Demonstranten entlang der Donau bis vor den Amtssitz von Premierminister Viktor Orbán im Burgviertel. Immer wieder klatschten sie spontan Beifall für die Arbeit der Index-Journalisten. Andere riefen "Wir sind mit euch" und "freies Land, freie Medien".

Mehr als 80 Index-Mitarbeiter zurückgetreten

Hintergrund des Protests ist die Entlassung des Index-Chefredakteurs Szabolcs Dull am Mittwoch (22.7.2020). 

Bereits Ende Juni hatte der einen Artikel veröffentlicht, in dem er vor wachsender Einflussnahme regierungsnaher Unternehmer auf die Index-Redaktion warnte. Bei seiner Abschiedsrede am Mittwoch sagte Dull: "Index ist eine Festung, die sie zerstören wollen."

Ungarn | Pressefreiheit | Szabolcs Dull
Szabolcs Dull verlässt nach seiner Entlassung die Index-RedaktionBild: Reuters/B. Szabo

Nach Dulls Entlassung hatte sich die Index-Redaktion geschlossen hinter ihren Chefredakteur gestellt und seine Wiedereinstellung gefordert. Darauf ging die Geschäftsführung nicht ein.

Am Freitagmittag reichten mehr als 80 Index-Mitarbeiter ihre Kündigung ein, darunter leitende Redakteure sowie die stellvertretende Chefredakteurin Veronika Munk. Munk kündigte allerdings an, mit der ehemaligen Index-Redaktion ein neues unabhängiges Medium gründen zu wollen.

Ungarn I Budapest I Veronika Munk, stellv. Chefredakteurin von Index im Kollegenkreis
Index-Redaktion im Ausnahmezustand: Veronika Munk im KollegenkreisBild: Bődey János/Index

Langjährige Versuche politischer Einflussnahme

Mit rund 1,5 Millionen Seitenaufrufen pro Tag - bei einer Bevölkerung von 10 Millionen - ist Index das mit Abstand meistgelesene Medium in Ungarn. Seit Jahren versucht die Orbán-Regierung deshalb, Einfluss auf die oft regierungskritische Berichterstattung des Internetportals zu nehmen.

Vor drei Jahren gelangte das Betreiberunternehmen in den Besitz von Unternehmern, die Viktor Orbáns Fidesz-Partei nahestehen.

Eine zwischengeschaltete Stiftung sollte aber weiterhin die Unabhängigkeit von Index garantieren. Doch im März wurde das Anzeigengeschäft ausgegliedert und der direkten Kontrolle der Eigentümer unterstellt. Vor einem Monat forderten die Besitzer von Stiftung, Geschäftsführung und Redaktion eine regierungsfreundlichere Berichterstattung - was zum Bruch mit Chefredakteur Dull und schließlich fast der gesamten Redaktion führte.

Ungarn I Budapest I Protestzug gegen politische Einflussnahme auf Nachrichtenportal Index
Großer Protestzug gegen die Einflussnahme der Regierung auf MedienBild: DW/F. Schlagwein

Übernahme regierungskritischer Medien hat Tradition

In den vergangenen zehn Jahren hat die Orbán-Regierung so gut wie alle regierungskritischen Medien ausgeschaltet. Medienanalysten schätzen, dass bis zu 90 Prozent aller Medien unter der Kontrolle der Regierung stehen. Kritiker befürchten nun, dass Index komplett auf Regierungslinie gebracht wird - nach einem aus Sicht der Fidesz-Regierung bewährten Muster: Zuerst kaufen regierungsnahe Unternehmer kritische Medienunternehmen auf. Dann werden sie entweder auf Parteilinie gebracht oder geschlossen. 2015 wechselte auf diese Weise das bis dato größte regierungskritische Online-Portal Origo den Besitzer - heute gilt es als Sprachrohr der Orbán-Regierung. Ein Jahr später erfolgte über Nacht die Schließung der größten Tageszeitung Népszabadság.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht bereits seit 2010 unter staatlicher Kontrolle. Die meisten privaten Radio- und Fernsehsender sowie fast die gesamte Lokalpresse des Landes gehören Fidesz-nahen Unternehmern. 2018 spendeten letztere knapp 500 ihrer Medientitel an eine staatliche Stiftung. Die anhaltende Zentralisierung der ungarischen Medienlandschaft spiegelt sich in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wieder: Hier steht Ungarn inzwischen nur noch auf Platz 89 von 180.