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fernschreiber

Markus Reher21. November 2006

Wenn es Nacht wird in Moskau, bleibt für den Weg nach Hause oder in die nächste Bar manchmal nur das Taxi. Und da kommt fast jedes Auto in Frage, das gerade vorbei rauscht. Unterhaltung gibt es gratis, ungefragt.

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Egal wann, egal wo - sich einfach an den Straßenrad stellen, den rechten Arm raushalten, leicht nach unten gestreckt, die Handfläche zeigt zum Boden – und schnell wird ein Wagen anhalten, ein gediegener Wolga, ein klappriger Schiguli, ein sportlicher Lada im schnittigen Design der 80er Jahre, und immer häufiger auch Autos aus Asien.

Irgendwann abends auf der Twerskaja, einer der Magistralen im Zentrum Moskaus und Shoppingmeile für die neue Mittelschicht. Unterwegs Richtung Kreml, leichter Nieselregen und lausige Temperaturen. Keine Lust mehr, zu laufen und auch die nächste Metrostation ist noch weit. Arm raus! Ein dunkelgrüner kastenförmiger Moskwitsch hält an. Schnell sind 150 Rubel, umgerechnet etwa 4 Euro, verhandelt.

Drinnen ist es mollig warm, das Heizgebläse gibt alles und der Fahrer tut es auch: Er komme aus Abchasien im Kaukasus. Er sei geflohen damals vor dem Bürgerkrieg mit Georgien und nun versuche er sich hier mit seiner Familie irgendwie durchzuschlagen. Seine Frau passe zu Hause auf die fünf Kinder auf. Reguläre Arbeit fänden sie hier keine, und dann sei gerade vorgestern auch noch seine jüngste Tochter schwer krank geworden. Er wisse gar nicht, woher er das Geld für Arzt und Medikamente nehmen solle! Und das Auto mache es wohl auch nicht mehr lange, klagt er, als die Kremlmauern in Sicht kommen. Er sorge sich schon jetzt vor dem nächsten TÜV! Doch abgemacht ist abgemacht, 150 Rubel sind sowieso schon viel für das kurze Stück.

"Schwarz“ Taxifahren ist in Russlands Großstädten für viele die wichtigste Einnahmequelle. Klar gibt es auch offizielle Taxis, die man per Telefon bestellen kann, und die laut Standesregeln mit Taxameter fahren sollten. Doch auch mit den Offiziellen handelt man den Preis meistens vorher aus. Und immer ist der mindestens doppelt so hoch wie bei den "schwarzen“ Taxis

Auf dem Rückweg vom Kreml ist es ein violetter Schiguli. Diesmal für nur 100 Rubel und mit einem Arzt. Er habe noch zu Sowjetzeiten studiert, eine hervorragende Ausbildung sei das gewesen. Aus aller Welt seien sie damals zum Studieren in seine Heimat gekommen. Doch jetzt? Von 9.000 Rubel Gehalt im Monat, umgerechnet knapp 300 Euro, könne man in Moskau einfach nicht leben. Jelzin sei Schuld daran, und Gorbatschow. Die beiden hätten das großartige Russland verraten und verkauft! Die Russen würden eben immer entweder von Deppen oder von Despoten beherrscht. Russisches Schicksal eben. Putin habe das Land wenigstens wieder im Griff.


In St. Petersburg steht an einer der breiten Prospekte eine übermannsgroße Leninstatue – Relikt einstiger Sowjetmacht. Gebieterisch hält sie den rechten Arm mit flacher Hand leicht nach unten gestreckt über die Petersburger. Ein beliebter Treffpunkt. „Lass uns da sehen, wo Lenin sich ein Taxi bestellt“, verabredet man sich unter Jugendlichen. Reiseleiter erzählen so etwas. Nachts auf der Straße vor irgendeinem Club hält diesmal ein kleiner knallroter Schiguli. Am Steuer eine Frau, etwa Mitte 40, die Lippen Ton in Ton geschminkt mit ihrem alten Auto.

Ob sie denn keine Angst habe als Frau, Taxi führen doch eigentlich nur Männer. Nein, nein, ruft sie energisch Richtung Rückbank, als ihr rechter Arm den Schaltknüppel beherzt in den nächsten Gang zwingt. Sie habe einen Sohn und eine Tochter, die studierten, und einen Mann gebe es nicht: „On guljajet!“. „Er geht spazieren“, heißt das eigentlich, aber eben auch, dass sie ihn für einen Herumtreiber und Schürzenjäger hält. Einmal habe sie allerdings ein beklommenes Gefühl gehabt. Vier Kaukasier seien eingestiegen, vor einem Restaurants nachts um vier. Alle seien sehr betrunken gewesen und irgendwie hätten sie komisch ausgesehen, als würde gleich einer von ihnen ein Messer zücken... Mehr habe sie sich nicht vorstellen mögen. Sie habe einfach angefangen zu singen, kaukasische Weisen. Und plötzlich hätten die vier Kerle gestrahlt und mit eingestimmt. Es sei noch eine sehr lustige Fahrt geworden und eine einträgliche noch dazu.

Auch für Olga Fomina in Moskau ist das Taxifahren ein lohnendes Geschäft. Die oft „südländischen“ Fahrer, wie sie es vorsichtig formuliert, seien ihr häufig nicht geheuer gewesen, gerade wenn sie nach Hause musste, spät Abends, in eine der Schlafvorstädte Moskaus. Seit zwei Monaten betreibt sie deshalb die „Pink Taxis“. Ausschließlich für Frauen, ausschließlich von Frauen. Noch fahren nur zehn Kolleginnen Frauen jeden Alters und allenfalls deren Kinder quer durch die Stadt. Doch die Nachfrage ist groß, und schon bald will Olga Fomina ihre leuchtend pinke Taxiflotte erweitern.