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Politik

Teherans Milizen: hörig oder autonom?

16. Januar 2020

Jahrzehntelang hat der Iran in mehreren arabischen Ländern Milizen aufgebaut und an sich gebunden. Auf sie könnte er im Falle eines Konflikts mit den USA zurückgreifen. Doch wie treu sind diese Gruppen ihrem Sponsor?

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Proteste im Libanon
Bild: Reuters/A. Taher

Bis zum letzten Moment seines Lebens war der Chef der iranischen Al-Kuds-Brigaden, Ghassem Soleimani, unterwegs. Vom Flughafen Bagdad aus, wo er von einer US-Drohne getötet wurde, war er Presseberichten zufolge offenbar im Begriff, zu einem Gespräch mit dem irakischen Premier Adel Abdel Mahdi zu reisen. Demnach wollten die beiden über Wege sprechen, die iranisch-saudischen Spannungen zu begrenzen.

Doch nur selten war Soleimani mit friedlichen Absichten unterwegs. Seit er 1998 das Kommando der Al-Kuds-Einheiten übernahm, war er, meist damit befasst, die Beziehungen des Teheraner Regimes zu relevanten, aber irregulären, nicht-staatlichen Akteuren in der arabischen Welt auszubauen. Ein wesentlicher Pfeiler dieser Beziehungen war die Konfession: der schiitische Islam. Er war das Bindeglied, über das Soleimani neue Beziehungen anbahnte oder bereist bestehende ausbaute.

Jemen | Huthi Rebellen
Teherans Verbündete im Süden: Huthi-Milizen im Jemen Bild: picture alliance/dpa/H. Al-Ansi

Kontakte zu nicht-staatlichen Akteuren pflegt die Regierung in Teheran seit langem. Der wichtigste Partner ist die 1982 gegründete Hisbollah im Libanon; über Jahre erprobte Beziehungen bestehen auch zu einer Reihe irakischer Milizen wie "Volksmobilisierungseinheiten" (Al-Hashd ash-Shabi), die mehrere Einzelgruppen umfassen; im Jemen halten die Iraner enge Kontakte zu den aufständischen Huthis, die mit den Mullahs in Teheran vor allem die Gegnerschaft zu Saudi-Arabien eint; in den vergangenen Jahren hatte Teheran zudem in Syrien ein Netz aus Gruppen aufgebaut, die dem Präsidenten Baschar al-Assad nahestehen und auch für Israel eine direkte Bedrohung darstellen.

Mit diesen Gruppen verfügt die Regierung in Teheran über ein weitverzweigtes Netz von Verbündeten, auf die sie im Konfliktfall zählen kann.

Zürnende Milizen

Doch wie loyal sind diese Gruppen? Ihre Kampfbereitschaft haben sie seit Jahren in den zentralen arabischen Konfliktherden bewiesen. Doch werden sie sich der in Teheran dekretierten Politik auch dann fügen, wenn diese zunächst, wie nach der Tötung Soleimanis, auf größere Gegenschläge verzichtet?

Am 3. Januar hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah die schiitischen Milizen aufgerufen, das US-Militär im gesamten Nahen Osten anzugreifen, und zwar auch mit Hilfe von Selbstmordattentaten. Die Amerikaner würden die Region in "Särgen" verlassen, so Nasrallah. Zugleich drohte er auch Israel. Ursprünglich, so Nasrallah, habe Israel Soleimani ermorden wollen, habe das aber entweder nicht vermocht oder nicht gewagt. An der Kampfbereitschaft seiner Miliz ließ der Hisbollah-Chef keinen Zweifel. Doch bislang hält er, wie auch die anderen dem Iran verbundenen Milizenführer, seine Truppen zurück.

Irak Bagdad Sturm auf US-Botschaft
Zorn der Schiiten: Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad, 31. Dezember 2019Bild: picture-alliance/AP/K. Mohammed

Dies tue er offenbar in Absprache mit der Führung in Teheran, sagte der Islamwissenschaftler Udo Steinbach der DW. "Die Milizen sind politisch und teils auch ökonomisch vom Iran abhängig." Die Hisbollah habe sich bislang immer nach den Vorgaben aus Teheran gerichtet, auch die jemenitischen Huthis seien eng an den Iran angebunden. In etwas lockerer Beziehung zur iranischen Führung stehen laut Steinbach die Milizen im Irak, die zudem in die irakische Armee eingebunden seien. Insgesamt aber verhielten sich alle Gruppen loyal zu Teheran. "Es ist kaum vorstellbar, dass die Milizen politisch oder militärisch nach dem Tod Soleimanis daran dächten, ein Eigenleben zu führen."

Israels Sorgen

Allerdings hat der Tod Soleimanis insbesondere Israel in Alarmbereitschaft versetzt. Im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung verfüge die Hisbollah über enorme Schlagkraft, sagte der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, Chuck Freilich, in einem Interview mit der Zeitung "Times of Israel". Zum ersten Mal sei mit der Hisbollah ein arabischer Akteur in der Lage, durch Angriffe auf Mobilisierungszentren und Lagerhallen nicht nur den Mobilisierungsprozess, sondern auch die Offensivfähigkeiten des Landes zu stören. "Wir stehen also vor einem kritischen Jahr in einer Zeit, in der unsere politischen Führer in zahlreiche ausländische Probleme verwickelt sind", so Freilich.

Iran Teheran Pressekonferenz Ali Chamenei
Herr der iranischen Milizen? Revolutionsführer Ali ChameneiBild: picture-alliance/abaca/SalamPix

Irak: Miliz mit dringlicher Agenda

Bislang hat sich Teheran mit einer zurückhaltenden Reaktion auf die Tötung Soleimanis begnügt. Der Beschuss von irakischen Basen im Irak, die das US-Militär nutzt, hatte keine Todesopfer gefordert. Sollten die Teheran verbundenen Milizen sich damit aber nicht zufrieden geben, könnten sie auch unabhängig vom Iran aktiv werden, sagt die Politologin Dina Esfandiary von der New Yorker Century Foundation dem Magazin "Foreign Policy". Im Zweifel würden sich die Milizen dem Willen Teherans nicht unterwerfen. "Es kommt nicht darauf an, ob der Iran aufhört. Der Iran hat Suleimanis Ermordung gerächt. Die irakischen Volksmobilisierungseinheiten müssen noch die Tötung von Al-Muhandis rächen", so Esfandiary. Abu Mahdi al-Muhandis, der irakische Kommandeur der Hash-ash-Shabi-Einheiten, war zusammen mit Soleimani am Flughafen von Bagdad getötet worden.

Zu einer anderen Einschätzung kommt Udo Steinbach. Wie sich die iranisch-amerikanischen Beziehungen künftig gestalteten, darüber würde einzig in den Hauptstädten der beiden Länder entschieden: "Wenn die Iraner in Teheran der Ansicht sind, es sei an der Zeit, einen Schritt auf die USA zu zu tun, dann werden sie diese Entscheidung pragmatisch umsetzen. Darüber würde allein Ajatollah Chamenei entscheiden. Und die verbündeten Milizen werden diesem Entschluss nicht ernsthaft entgegenstehen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika