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Teil der serbischen Nationalideologie: Der Mythos Kosovo

6. Dezember 2007

Geographisch betrachtet ist das Kosovo eher klein, seine ideologische Bedeutung für die Serben ist allerdings gewaltig. Im Mittelpunkt der kollektiven Erinnerung steht ein Ereignis, das mehr als 600 Jahre zurückliegt.

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Das sagenumwobene Kosovo Polje heuteBild: AP

11.000 Quadratkilometer klein ist das Kosovo, nicht mehr als die Fläche des Bundeslandes Thüringen. Rund zwei Millionen Albaner leben in der südserbischen Provinz. Maximal 100.000 Serben sind auf dem Kosovo noch zu Hause. Wie viele genau, weiß niemand, denn der Exodus der Serben hält an und straft jede Statistik schon im Augenblick der Veröffentlichung Lügen. Wirtschaftlich ist das Kosovo auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Die Arbeitslosenquote liegt bei bis zu 50 Prozent, der durchschnittliche Verdienst beträgt 150 Euro, der Außenhandel ist kaum messbar. Die Provinz wird allein von der Schattenwirtschaft getragen.

Um so mehr ist das Kosovo politisch von Bedeutung. Die wahrscheinliche Abspaltung der Provinz von Serbien birgt ungeheure Sprengkraft, die weit über die serbischen Grenzen hinaus reichen könnte. In Bosnien-Herzegowina hat sich die sowieso schon fragile innere Statik seit Monaten verschlechtert. Auch in Frankreich, Spanien und der Slowakei – sie alle Staaten mit nationalen Minderheiten – wächst die Unruhe vor einer wahrscheinlichen Unabhängigkeit der Kosovo-Albaner. Ein neuer Präzedenzfall droht.

Niederlage umgedeutet zum "spirituellen Sieg"

Historisch gesehen ist die Region im Süden Serbiens und umgeben von den Grenzen zu Montenegro, Albanien und Mazedonien ein Ort der Erinnerung an die Vergangenheit – zumindest aus serbischer Sicht. Hier war einmal das Zentrum des mittelalterlichen Serbien. Wenn von "Altserbien" anstatt Kosovo die Rede ist, dann wird dadurch ein Besitzanspruch zum Ausdruck gebracht. Die Bedeutung des serbischen mittelalterlichen Reiches wird durch ein einziges Datum überhöht: den 28. Juni 1389, den Vidovdan, den sogenannten Sankt Veitstag. An diesem Tag vor mehr als 600 Jahren wurden die Serben, die an der Spitze eines christlichen Heeres kämpften, von den Osmanen besiegt. Es war der Beginn des Untergangs des serbischen Reiches. Die verlorene Schlacht auf dem Kosovo wurde seitdem als spiritueller Sieg umgedeutet. Vergessen wird dabei auf serbischer Seite, dass auch Albaner auf Seiten des christlichen Heeres kämpften.

Kosovo als Ort der kollektiven Erinnerung

Obwohl nur durch Legenden und Sagen gespeist, wird das Kosovo fortan als "serbisches Jerusalem" stilisiert und dient seitdem als zentrales Element der serbischen Nationalideologie. Seit dem 19. Jahrhundert hielt der Kosovo-Mythos Einzug in die Nationalkultur, in die Prosa, die Lyrik und vor allem in die Malerei. Der Kosovo-Kult steigerte sich umso mehr, als sich das serbische Siedlungsgebiet in der frühen Neuzeit weg vom Kosovo, dem Kernland, nach Norden verlagerte. Erst 1912/13, während der Balkankriege, konnten die Serben die Türken wieder vertreiben, so dass nach mehr als 500 Jahren das Kosovo wieder unter serbische Kontrolle kam. Dennoch: Das Kosovo war über all die Jahrhunderte National-Kult und Ort der kollektiven Erinnerung. Eine Last für die Serben, findet Holm Sundhausen, Professor für osteuropäische Geschichte in Berlin: "Man sollte nicht nur davon sprechen, ob Kosovo 1912/13 befreit wurde, sondern was im Augenblick und für die Zukunft sehr viel wichtiger ist, ist die Frage, wann wird sich Serbien von Kosovo befreien? Es ist sicher ein schwieriger Prozess, weil sich eben mit Kosovo so viele Mythen verbinden."

Geburtsstunde des serbischen Nationalismus

Im Jugoslawien der Ära Tito war der Kosovo-Mythos offiziell tabu. Parallel dazu gab es Versuche der Re-Serbisierung im Kosovo. Ein politischer Versuch, der zum Scheitern verurteilt war, da sich aufgrund der schlechten Wirtschaftslage nie so viele Serben in der südlichen Provinz ansiedeln wollten, um die hohe Geburtenrate der Albaner – die höchste in Europa! – auszugleichen. Mit dem Ende Jugoslawiens und den aufkommenden Nationalismen rückte die Kosovo-Frage spätestens 1989 wieder in den Blickpunkt. Der 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) bot dem damals im Ausland noch unbekannten Slobodan Milosevic eine ideale Bühne, um den serbischen Anspruch auf die Region neu und machtvoll zu formulieren. Rund eine Million Serben kamen auf das Amselfeld, um der verlorenen Schlacht zu gedenken, die tatsächlich eine Niederlage war. Es war der Beginn des Aufstiegs Milosevics und die Geburtsstunde des serbischen Nationalismus.

Das Jahrzehnt zwischen 1989 und 1999 gilt als Anfang und Ende der Kosovo-Frage aus serbischer Perspektive. Der "emotionalen Mobilmachung" der Serben am Vidovdan 1989 folgte zehn Jahre später die Unterstellung des Kosovo unter UN-Verwaltung. Tatsächlich ist die Provinz seitdem dem Einfluss Belgrads entzogen.

Volker Wagener