Christopher Nolans neuer Film "Tenet"
25. August 2020Ist das der Film, der das Kino rettet? Schafft "Tenet" von Christopher Nolan die Wende in der weltweiten Branchenkrise? Niemand kann diese Fragen zur Zeit beantworten. Die Corona-Pandemie hat die Kino-Branche kräftig durchgeschüttelt. Manche Experten sehen schon das Ende der siebenten Kunst, weil Dreharbeiten gecancelt wurden, Film-Verleiher ihre Arbeit einstellten und die Kinos weltweit für Monate schließen mussten.
Eine Branche am Abgrund: Wie kaum eine andere Kultursparte leidet das Kino unter Einnahmeverlusten. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Filmwelt ein Milliardengeschäft ist. Vor allem an Hollywood hängen viele Arbeitsplätze. "Wenn Hollywood hustet, dann hat das weltweite Kinogeschäft eine schwere Grippe", schrieb jüngst ein Kritiker. Wenn nun also ein solch vernetztes System zeitweise kollabiert, dann spüren das Hundertausende Menschen, die in und mit dem Kino arbeiten.
Große Erwartungen: "Tenet" von Christopher Nolan
Verleiher, Filmtheaterbesitzer und andere Kino-Player, die in die "Verwertungskette Kino" involviert sind, hoffen nun also auf "Tenet". Aber warum kapriziert sich eine ganze Branche auf einen einzigen Film?
Die Fakten: Anders als große Filmstudios wie Disney (mit "Mulan") oder Sony (mit "Greyhound") beschreitet "Warner Bros." mit "Tenet" jetzt einen anderen Weg: Nolans Film soll tatsächlich in den Filmtheatern starten. Lang erwartete Blockbuster wie "Mulan" wurden von ihren Machern ins Streaming-Geschäft abgeschoben, die Corona-Pandemie hatte einen weltweiten Kinostart unmöglich gemacht. Um die teuren Filme finanziell noch zu retten, sollten zumindest Einnahmen durch das Streaming generiert werden.
"Tenet" hingegen startet am 26. August in rund 70 Ländern, vor allem in Europa. In den Tagen danach sind Starts auch auf dem asiatischen Markt und in Australien geplant. Die USA, Südamerika und Indien bleiben zunächst außen vor, zu hoch sind dort derzeit noch die Infektionszahlen. In den Vereinigten Staaten ist der Start von "Tenet" an "ausgewählten Standorten" vorgesehen, ab dem 3. September. Das heißt auch: Sicher ist das derzeit nicht.
"Tenet" wird von den Filmfans dringlichst erwartet
"Tenet" ist nicht irgendein Film, er gehört zu den am meisten erwarteten Kinostarts des Jahres. Er spielt in der Liga der Blockbuster, die Produktionskosten werden mit über 200 Millionen Dollar angegeben. Nolans elftes Werk wird aber weltweit nicht nur von den Kids sehnsüchtig erwartet, die ansonsten Superheldenfilme und Action-Spektakel in den Multiplex-Palästen sehen. "Tenet" ist auch etwas für Kinofeinschmecker. Das liegt am Regisseur. Der Sohn eines Briten und einer US-Amerikanerin genießt den Ruf eines Kult-Regisseurs.
Nicht zufällig wird sein Oeuvre mit dem des legendären Stanley Kubrick verglichen, weil auch Christopher Nolan es immer wieder schafft, zwei Kino-Kosmen zu vereinen. Zum einen bieten seine Filme enorm viel fürs Auge: Sie sind unterhaltsam und phantasievoll, spannend und voller Überraschungen, tricktechnisch auf der Höhe der Zeit. Aber sie befriedigen eben auch die Ansprüche der Cineasten, weil sie meist auf komplexen Drehbüchern basieren, die aufsehenerregend vertrackte Handlungen bieten.
Christopher Nolan bedient mehrere Publikumsschichten
Nolans Filme sind sowohl etwas für vergnügungssüchtige Teens und Twens als auch für die Fans des Arthouse-Kinos. Nolan gilt, ebenso wie Kubrick, als Besessener des Kinos. Er kennt sich aus in der Filmgeschichte, liebt die Klassiker und alte Film-Technik, zeigt sich aber auch offen für neue Entwicklungen und technische Innovationen. Er ist ein Meister des alten Stils, blickt aber auch in die Zukunft des Kinos.
In einem Interview mit dem deutschen Wochenmagazin "Der Spiegel" antwortete der Regisseur auf die Frage, was ihn am Medium reize: "Gerade die jungen Leute, die wir nach Testvorführungen von 'Tenet' befragt haben, waren baff, weil sie solche Bilder noch nie gesehen haben. Dabei haben wir Tricks verwandt, die es zum Teil schon in der Stummfilmzeit gab." Manchmal, so Nolan, müsse man sich "auf die alten Techniken besinnen, um frische Bilder zu erzeugen".
Der Brite schätzt analoge Technik und Drehs vor Ort
Nolan ist ein Mann des Kinos. Das machte er Anfang März in einem Artikel für die "Washington Post" deutlich, wo er ein flammendes Plädoyer für die große Leinwand hielt. Mit einem Start in einem Streamingdienst, wie jüngst bei "Mulan" geschehen, hätte er sich vermutlich nicht einverstanden erklärt. Nolan liebt analoge Kameras und Filmmaterial sowie Tricks abseits der digitalen Welt. Er mag Dreharbeiten auf der Straße, ist kein Freund digitaler Bilderwelten: "Ich will dem Kino mit 'Tenet' einen Energiestoß geben und die Zuschauer vor der Leinwand in den Bann ziehen. Ich will ihnen das bieten, wonach sie sich sehnen, wenn sie ins Kino gehen", so Nolan in dem "Spiegel"-Interview.
Auch einen "James-Bond-Film" müsse man auf der großen Kino-Leinwand sehen, sagt Nolan. Dass er gerade diesen Vergleich zieht, ist kein Zufall. In einigen Szenen erinnert "Tenet" stark an die Filme mit dem berühmten britischen Agenten 007. Auch "Tenet" wurde an vielen verschiedenen Schauplätzen in sieben Ländern auf mehreren Kontinenten gedreht: "Ich will den Zuschauern das Gefühl geben, in eine Welt einzutauchen, die überlebensgroß, unbekannt und aufregend ist", sagt der Regisseur. Schon bei "Inception" (Nolans siebter Film von 2010) habe er gedacht, einem James-Bond-Film sehr nahe gekommen zu sein: "'Tenet' geht noch einen Schritt weiter."
Auch in "Tenet" geht es wieder um Zeitreisen
Lange wusste man nichts über das Handlungsgerüst von "Tenet". Auch das gehört zum Marketing. Es drangen kaum Informationen über den Film an die Öffentlichkeit. Nur so viel: "Tenet" ist eine Mischung aus Spionage-, Action- und Science-Fiction-Film, in dem es, wie meist bei Christopher Nolan, um das Phänomen Zeit geht. Eine Art Superagent (gespielt vom Sohn Denzel Washingtons, John David Washington) soll den Erdball vor einem großen Kriegsinferno retten.
Zur Hilfe kommt ihm dabei ein von Robert Pattinson gespielter Kollege, der mehr über ein ganz bestimmtes Phänomen namens "Tenet" weiß, mit dem die Zeit überlistet werden kann. Der Hauptgegner der beiden sitzt in Russland, auch das erinnert an den Bond-Kosmos. Doch "Tenet" ist zweifelsohne ein Film des neuen Jahrtausends, vor allem auch weil Regisseur Christopher Nolan einmal mehr ein komplexes Spiel um Zeit und Raum entwickelt.
Nolan im Spiegel-Interview: "Das Kino ist gut darin, Krisen zu überstehen."
Die Erwartungen sind also groß. Von den Kinobesitzern weltweit, die sich in den kommenden Wochen sprudelnde Einnahmen erhoffen, die sie während der Corona-Durststrecke in den letzten Monaten so schmerzlich vermisst haben. Von den vielen jungen Kino-Fans, die von einem neuen spektakulären Blockbuster träumen. Aber auch von den Nolan-Enthusiasten, die sich ein neues vertracktes Zauberwerk des Regie-Virtuosen erhoffen.
Bleibt zu hoffen, dass die Rechnung am Ende für alle aufgeht. Und die Kino-Branche sich nicht in eine Zeit vor Corona zurücksehnen muss, in der noch alles gut war - so wie die Helden in "Tenet" in eine Zeit zurückreisen, um großes Unheil aufzuhalten.