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Terror gegen die Türkei

Kersten Knipp22. August 2016

Der jüngste Anschlag in der Türkei hat auch eine Diskussion um die Taktik der Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" ausgelöst. Dieser wird mehr und mehr zurückgedrängt und reagiert mit zunehmender Brutalität.

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Trauerfeier nach dem anschlag von Gaziantep (Foto: Getty Images/AFP/I. Akengin)
Bild: Getty Images/AFP/I. Akengin

"Bis zum Ende" werde sein Land in ihrer Grenzregion gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) kämpfen, erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Zudem werde die Türkei auch den Kampf anderer Länder und Gruppen gegen die Dschihadistenmiliz unterstützen. Am Vortag hatte ein Selbstmordattentäter einen Bombenanschlag auf eine Hochzeitsfeier im Südosten des Landes verübt. Mindestens 54 Menschen waren dabei ums Leben gekommen.

In diesem Fall hat die Türkei nach den Worten von Ministerpräsident Binali Yildirim noch keine gesicherten Erkenntnisse zu den Urhebern des Anschlags. Frühere Berichte, dass es sich bei dem Attentäter um ein Kind handelte und die IS-Terrormiliz dahinterstecke, seien lediglich "Gerüchte". Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Sonntag erklärt, der Anschlag sei nach ersten Ernenntnissen von einem Kind im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren verübt worden.

Istanbul im Fadenkreuz

Immer häufiger hat der IS allerdings in den letzten Wochen und Monaten die Türkei terrorisiert. Am 28. Juni verübten mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe einen Anschlag auf dem Flughafen von Istanbul. 45 Menschen kamen ums Leben, über 200 wurden verletzt. Im März sprengte sich auf einer beliebten Einkaufsstraße im Zentrum von Istanbul ein Selbstmordattentäter in die Luft. Er riss vier ausländische Touristen - drei Israelis und einen Iraner - mit in den Tod. Dieser Anschlag wird dem IS ebenso zugerechnet wie der vom 12. Januar, als ein Selbstmordattentäter in der Altstadt von Istanbul zwölf Menschen tötete.

Zwar hat sich der IS zu dem jüngsten Anschlag noch nicht bekannt. Doch er trage die Handschrift der Dschihadistenorganisation, erklärt der Nahost-Experte Serhat Erkmen gegenüber der DW. Allerdings habe der IS derzeit eigentlich keinen nachvollziehbaren strategischen Grund, Attentate in der Türkei zu verüben.

Denn die Organisation sehe sich vor allem zwei anderen Gegnern gegenüber, nämlich den von den USA gestützten kurdischen Kräften in Syrien und im Irak sowie den Truppen der irakischen Regierung. "Darum macht es für den IS strategisch keinen Sinn, nun auch die Türkei ins Chaos zu stürzen. Denn sie ist die einzige, die auf die Kämpfer der kurdischen, in Syrien operierenden Volksverteidigungseinheiten (YPG) Druck ausüben kann."

Spurensicherung nach dem Attentat von Gaziantep
Spurensicherung nach dem AttentatBild: Getty Images/AFP/A. Deep

Zweifelhafte Rolle der Türkei

Im Lauf des Krieges in Syrien geriet die Türkei immer stärker in einen Interessenskonflikt. Auf der einen Seite sprach sie sich sich von Anfang an dafür aus, den syrischen Pträsidenten Baschar al-Assad und dessen Regime zu stürzen. Zu diesem Zweck setzte sie auch auf sunnitische Extremisten. "Ziel war es, jene Kräfte in Syrien zu stärken, die gegen den dortigen Präsidenten Baschar al-Assad sind", erklärte der Islamwissenschaftler Wilfried Buchta Mitte Januar dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "In diesem Zusammenhang hat die Türkei den IS möglicherweise heimlich unterstützt, zumindest logistisch."

Zugleich aber sah man in Ankara mit Sorge, dass die Kurden im Norden Syriens - wie auch im nördlichen Irak - immer größeren Einfluss gewannen. Auch gelang es ihnen, ihr Siedlungsgebiet im Laufe des Krieges auszuweiten. Am Ende, so die Sorge der türkischen Regierung, gelänge es den Kurden noch, einen eigenen Staat zu gründen. Das könnte dann auch die türkischen Kurden zu neuen Autonomie- oder Unabhängigkeitsträumen verleiten.

Diese Sorge, so der Nahostexperte Michael Lüders, hatte die Syrienpolitik der Türkei im Laufe des Krieges immer stärker dominiert. "Lange Zeit wurde diese Organisation indirekt unterstützt von den türkischen Sicherheitsbehörden – in der Absicht, mit Hilfe des Islamischen Staates die Kurden im Norden Syriens zu bekämpfen, die eng verbunden sind mit den Kurden in der Türkei, mit der PKK", so Lüders in einem ARD-Interview.

Kurden als gemeinsamer Feind

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Foto: picture-alliance/AA/G. Yilmaz)
Neuer Kurs in Syrien: der türkische Präsident Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/AA/G. Yilmaz

Umgekehrt hatte der IS die Türkei zunächst als eine Art Partner betrachtet. “IS-Kommandeure sagten uns, wir sollten keine Angts vor der Türkei haben", erklärte ein ehemaliges, als Techniker arbeitendes Mitglied der Gruppe im Juli 2014 dem Nachrichtenmagazin "Newsweek". "Es hieß, es gebe eine enge Zusammenarbeit mit den Türken. Darum werde uns von dieser Seite nichts passieren. Der IS habe die türkische Armee als Verbündeten im Kampf gegen die Kurden gesehen. "Die Kurden waren der gemeinsame Feind des IS und der Türkei."

Diese Allianz ist jetzt zerbrochen. Die Türkei ist vom IS weitestgehend abgerückt. Diesen Umstand betrachtet die Terrororganisation offenbar als Kriegserklärung – oder nimmt ihn zum Anlass, die Türkei ihrerseits als Feind zu betrachten. Beim Kampf gegen die Türkei setzt der IS auf jene Waffe, die er auch anderswo einsetzt: den Terrorismus.

Politischer Nihilismus

Dass er seine Anschläge - wie den gegen die Hochzeitsgesellschaft in Gaziantep - auch in kurdischen Gebieten durchführt, soll offenbar zweierlei bewirken: Zum einen sollen die Kurden gegen die türkische Regierung aufgehetzt werden. Grundlage dafür ist die Behauptung, die Regierung tue nicht genug, um ihre kurdischstämmigen Bürger zu schützen.

Kämpfer der syrischen YPG (Foto: Reuters/R. Said)
Erfolgreich im Kampf gegen den IS: die Kämpfer der syrischen YPGBild: Reuters/R. Said

Zum anderen will der IS mit seinen Anschlägen offenbar auch Anhänger unter jenen türkischen Nationalisten gewinnen, die sich mit aller Vehemenz gegen die Gegenwart der Kurden im Öffentlichen Leben der Türkei wenden. Zugleich spricht der IS mit seinen Attentaten auch radikale Sunniten an.

Wohin diese Strategie langfristig führen soll, ist offensichtlich: Der IS befindet sich überall, vom Irak bis nach Libyen, auf dem Rückzug. Eine langfristige Zukunft hat der IS nicht. Der einzige Triumph, der ihm langfristig bleibt, ist der, seine Gegner mit Wellen des Terrors zu überziehen. Die bisherigen Gewalttaten des IS lassen vermuten, dass er das als durchaus erstrebenswertes Ziel erachtet.