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Was läuft schief in Pakistan?

Shamil Shams / gh28. März 2016

Ein Selbstmordattentat in Lahore und ein von radikalen Muslimen angezettelter Protest in Islamabad: Wohin steuert Pakistan? Die Machtergreifung durch Islamisten sei nur noch eine Frage der Zeit, befürchten Experten.

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Paksitan, Lahore Anschlag auf einen Kinderspielplatz (Foto: AFP)
Bild: Getty Images/AFP/A.Ali

Der 27. März 2016 wird in Pakistan nun für immer für zwei schreckliche Ereignisse stehen. In Lahore töteten Selbstmordattentäter der pakistanischen Taliban mindestens 65 Menschen in einem öffentlichen Park, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Und in Islamabad stürmten radikale Muslime die Hauptstadt.

Die Protestierenden in Islamabad sind Anhänger des am 29. Februar hingerichteten Extremisten Mumtaz Qadri. Der ehemalige Leibwächter des Gouverneurs Salmaan Taseer brachte diesen mit einem Kopfschuss um. Die spätere Erklärung Qadris: Taseer habe das Blasphemie-Gesetzt kritisiert und sich für eine zum Tode verurteilte Christin eingesetzt.

Schon nach Qadris Hinrichtung Ende November war es in ganzem Land zu Protesten gekommen. Und auch am vergangenen Sonntag kam es vor dem Parlament in Islamabad zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und radikalen Muslimen. Sie demonstrierten gegen Qadris Hinrichtung und forderten die Einführung der Scharia in der Hauptstadt. Die Situation wurde so brenzlig, dass die Regierung Hilfe vom Militär anforderte.

Zwar fanden beide Ereignisse rund 300 Kilometer voneinander entfernt statt, doch kann man sie nicht voneinander getrennt sehen. Sie zeigen erneut eine Entwicklung auf, die sich schon seit Langem in der Atommacht Pakistan abzeichnet. Die Regierung hat es trotz des starken Militärs nicht geschafft, Islamisten effektiv zu bekämpfen - auch wenn sie immer wieder behauptet, mit militärischen Operationen die Taliban oder andere islamistische Milizen besiegt zu haben.

Keine Stadt ist sicher

Jetzt haben die Islamisten in Lahore zugeschlagen, und damit in einer politischen Hochburg des Premierministers Nawaz Sharif. Lahore gehört eigentlich zu den sichersten Städten des Landes. Dieser Ruf wird ab nun wohl der Vergangenheit angehören. "Wir wollen dem Premierminister die Nachricht schicken, dass wir jetzt in Lahore sind", sagte ein Sprecher der Terrormiliz Jamaat-ul-Ahrar, die für den Terrorangriff die Verantwortung übernommen hat.

Die Ausschreitungen vor dem Parlament in Islamabad zeigen, dass die militanten Islamisten auch Unterstützung in der Bevölkerung genießen, so Khalid Hameed Farooqi: "Man kann Lahore nicht von dem trennen, was sich in Islamabad derzeit entwickelt. Das Bombenattentat von Lahore wurde von militanten Islamisten verübt und die Unruhen von Islamabad wurden von zivilen radikalen Muslimen angezettelt. Beide sind extrem mächtig in Pakistan", so der in Brüssel lebende pakistanische Journalist.

Pakistan Lahore Christen trauern bei Beerdigung nach Selbstmordattentat (Foto: Getty Images/AFP/A. Ali)
Nach dem Bombenanschlag von Lahore: Die Menschen sind verzweifelt und trauernBild: Getty Images/AFP/A. Ali

"Islamisten wollen Regierung destabilisieren"

Grund für beide Angriffe sei, so Farooqi, auch die Wut der Islamisten über den indienfreundlichen Kurs von Premierminister Sharif. Zudem verabschiedete Sharif mehrere liberale Gesetzte. "Es ist offensichtlich, dass die Islamisten Sharifs Regierung destabilisieren wollen. Er war so mutig, Mumtaz Qadri hinrichten zu lassen - trotz der starken rechten Opposition. Zudem hat er noch frauenfreundliche Gesetzte ins Parlament eingebracht", sagt Farooqi.

Hinzu komme die starke und gefährliche Rolle des Militärs. So sei es laut Beobachtern gut möglich, dass dieses die Regierung schwächen wolle, indem es Islamisten unterstützte. Auch das Militär steht dem indienfreundlichen Kurs der Regierung kritisch gegenüber.

"Premierminister Sharif hat verstanden, dass liberale Wirtschaftspolitik und gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten der einzige Weg voran sind für Pakistan. Doch viele Gruppen in Pakistan sind dagegen", sagt Farooqi. Der Experte glaubt, dass die Regierung bereits auf der Kippe steht. Auch, weil diese weite Teile ihrer Macht an die Armee abgegeben habe.

"Gute Taliban, böse Taliban"

Sharif, der einst selbst Mitglied einer islamistischen Miliz war, distanzierte sich über die Jahre immer wieder von den extremen Islamisten. Das kann man vom Militär jedoch nicht sagen. Das Vorgehen des Militärs gegen Islamisten ist extrem selektiv. Gruppen, die gegen den pakistanischen Staat sind, werden bekämpft, andere nicht. Wenn man weiter zwischen "guten und bösen Taliban" unterscheide, werden die Terroranschläge anhalten, so Beobachter.

Pakistan Indischer Ministerpräsident Narendra Modi zu Besuch in Lahore (Foto: EPA/PRESS)
Indiens Premier Modi (mitte-rechts) an der Seite von Nawaz Sharif zu Besuch in PakistanBild: picture-alliance/dpa/Press Information Bureau

Die Vorsitzende des pakistanischen Menschenrechtskomitees (HRCP) Zohra Yusuf wirft der politischen Führung in Pakistan vor, die allgemeine Stimmung gegen Islamisten nicht auszunutzen, sondern stattdessen weiter ihre Macht an das Militär abzugeben. "Es ist sehr bedauernswert, dass die nationale Entschlossenheit gegen die Taliban und andere extremistische Gruppen sich nicht in politische Taten verwandelt. Der Kampf gegen den Terror ist nach wie vor eine Sache des Militärs", so Yusuf im Gespräch mit der DW.

Existenzielle Bedrohung

Amin Mughal, ein in London lebender pakistanischer Journalist sagt, es sei höchste Zeit, dass die pakistanischen Führer die Spielregeln änderten. Die Politik der Unterstützung von Islamisten sei nach hinten losgegangen, der pakistanische Staat sei nicht mehr in der Lage, die Situation zu kontrollieren. "Die aktuelle Situation in Pakistan ist eine logische Konsequenz der Politik des pakistanischen Staates, einer Politik, die auf Religion basiert", so Mughal.

Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Autor des Buches "What´s wrong with Pakistan?" Babar Ayaz. Die zahlreichen Probleme Pakistans seien alle auf einen "genetischen Defekt" zurückzuführen, und zwar dem, dass die Basis des Landes die Religion sein. Der einzige Weg, der aus der Krise führe, so Mughal, wäre die Machtübernahme durch eine "wirklich säkulare Partei".