Terror, Nahost, Verfassung und Wirtschaft
25. März 2004Die Anschläge in Madrid am 11. März haben die Europäer aufgeschreckt. Erstmals war ein Mitgliedsstaat vermutlich direkt Opfer des Terrornetzwerks El Kaida. "Europa als Ganzes ist herausgefordert", erklärte Bundesaußenminister Joschka Fischer. "Wir müssen uns der Herausforderung stellen. Wir dürfen uns vom Terrorismus nicht in die Knie zwingen lassen."
Beschlüsse fassen und umsetzen
Bei einem Sondertreffen Mitte März 2004 brachten die EU-Innenminister bereits ein Programm auf den Weg, das auf dem Gipfel in Brüssel beschlossen werden soll. Darin sind im wesentlichen zwei Neuerungen vorgesehen: Zum einen will die EU den Posten eines Koordinators für Sicherheitsfragen einrichten. Dieser soll die unterschiedlichen Maßnahmen der demnächst 25 EU-Staaten aufeinander abstimmen und einen Überblick über alle der EU zur Verfügung stehenden Instrumente haben. In den verbesserten Austausch von Informationen unter den Mitgliedsstaaten sollen auch die Geheimdienste einbezogen werden.
Zum anderen will die irische Ratspräsidentschaft die in der EU-Verfassung vorgesehene Solidaritätsklausel - also die Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand bei Terrorangriffen - unter Dach und Fach bringen. Dies soll möglichst noch vor der Verabschiedung der Verfassung geschehen. "Die Einführung der Solidaritätsklausel wird ein wichtiges Zeichen unserer Entschlossenheit sein, gemeinsam gegen das Übel terroristischer Gewalt zu handeln", sagte der irische Außenminister Brian Cowen.
Verfassungskompromiss in Sicht
Was die Verhandlungen über die EU-Verfassung selbst betreffen, so wird auf dem zweitägigen Treffen in Brüssel, dass am Donnerstag (25.3.2004) begonnen hat, kein Durchbruch erwartet. Dabei ist in den letzten Tagen Bewegung in den Streit gekommen: Bislang war eine Einigung an dem Widerstand Polens und Spaniens gegen das in der Verfassung vorgesehene Abstimmungsprinzip der doppelten Mehrheit gescheitert. Diese besagt, dass für Beschlüsse im Ministerrat eine Mehrheit der EU-Staaten notwendig ist, die gleichzeitig über 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Das würde vor allem den Einfluss Polens und Spaniens gegenüber der bisherigen Regelung schmälern.
Doch der designierte sozialdemokratische spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hat deutlich gemacht, dass seine Regierung die Verabschiedung der EU-Verfassung nicht weiter blockieren wird. Damit hat die polnische Regierung ihren einzigen Verbündeten in dem Konflikt verloren. Und so blieb auch dem polnischen Premier Leszek Miller nichts anderes übrig, als ein Entgegenkommen zu signalisieren, wenn er sein Land innerhalb der EU nicht völlig isolieren will. "Wir brauchen einen Kompromiss", lenkte Miller ein. Aber: "Natürlich muss es ein Kompromiss sein, der gewährleistet, dass Polen sein Gewicht bei Abstimmungen beibehalten wird."
Konkrete Verhandlungen über die Verfassung werden jedoch auf dem jetzigen Gipfel in Brüssel nicht erwartet. Denn Spanien wird vom nach wie vor amtierenden spanischen Premier Jose Maria Aznar vertreten und von ihm wird man wohl kaum erwarten können, dass er bereits auf den Kompromisskurs seines Nachfolgers einschwenkt. Irlands Premier Bertie Ahern, der derzeit als EU-Ratsvorsitzender die Chancen für einen Verfassungskompromiss sondiert, erklärte nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident Chirac, er hoffe auf eine Einigung spätestens beim nächsten EU-Gipfel Mitte Juni in Brüssel.
Wirtschaftsthemen auf der Tagesordnung
Während die Außenminister Europas am ersten Tag des Gipfels auf die Suche nach einer überzeugenden Antwort auf die immer kleiner werdende Chance auf Frieden in Nahost gehen wollen, soll am zweiten Tag die Wirtschaft im Mittelpunkt des Treffens in Brüssel stehen. Vier Jahre sind inzwischen seit dem Gipfel von Lissabon vergangenen, bei dem die Regierungen selbstbewusst das Ziel vorgaben, die EU innerhalb von zehn Jahren zur stärksten Wirtschaftsregion der Welt zu machen. Auch wenn die bisherige Bilanz mager ist, was die Wachstums- und Arbeitslosenraten belegen, so soll die Latte nicht tiefer gelegt werden.
Dafür sollen die Mitgliedsregierungen noch stärker auf Reformen setzen und für eine engere Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft sorgen. Und zwei weitere wirtschaftspolitische Fragen dürften bei Gipfeltreffen eine Rolle spielen, nämlich zum einen der Vorschlag Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, in der EU-Kommission das Amt eines Superkommissars für Industriepolitik zu schaffen. Zum anderen müssen sich die Europäer auf einen Nachfolger für den scheidenden Präsidenten des Internationalen Währungsfonds Horst Köhler einigen.