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Terroranschlag bei Moskau: Todesstrafe für Angeklagte?

Daria Bernstein
21. April 2024

In Russland ist die Todesstrafe derzeit ausgesetzt. Jetzt wird diskutiert, ob man die Terrorverdächtigen an Belarus überstellen sollte. Denn dort sind Hinrichtungen möglich.

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Ein Grablicht und Blumen zum Gedenken für die Opfer des Terroranschlags auf die Konzerthalle bei Moskau
Kerzen und Blumen vor der Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau (27.03.2014)Bild: Maxim Shemetov/REUTERS

Seit dem Terroranschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau Ende März ist in Russland die Wiedereinführung der Todesstrafe im Gespräch. Dazu müsste aber die Verfassung geändert werden. Denn die jetzige aus dem Jahr 1993 definiert die Todesstrafe "bis zu ihrer Aufhebung durch ein Föderales Gesetz als außerordentliche Maßnahme" - mit dem Ziel, sie abzuschaffen. 1997 wurde die Todesstrafe unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin per Moratorium ausgesetzt.

Daher schlagen russische Propagandisten und auch Politiker vor, mutmaßliche Terroristen an Belarus zu überstellen, wo sie nach einem Gerichtsurteil hingerichtet werden könnten. Belarus ist das einzige Land Europas und der ehemaligen Sowjetunion, das die Todesstrafe anwendet.

Bei dem Anschlag bei Moskau starben über 140 Menschen, mehr als 500 wurden verletzt. Über zehn Personen wurden im Zusammenhang mit dem Terroranschlag festgenommen, vier von ihnen wurden von den Ermittlern als direkte Täter bezeichnet. In Russland drohen ihnen wegen Terrorismus mindestens 15 Jahre Gefängnis, sie können auch eine lebenslange Haftstrafe bekommen.

Laufen Gespräche zwischen Moskau und Minsk?

Als erster sprach sich nach dem Anschlag der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats und frühere Präsident, Dmitrij Medwedew, für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Der Vorsitzende der Fraktion der Regierungspartei "Einiges Russland" in der Staatsduma, Wladimir Wassiljew, erklärte, diese Frage werde im Unterhaus des Parlaments geprüft. Eine Entscheidung werde "den Erwartungen der Öffentlichkeit" entsprechen. Wegen des Moratoriums sei es aber nicht möglich, in diesem Fall die Todesstrafe zu verhängen, erläuterte Andrej Klischas, ​​​​Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsgesetzgebung und Staatsaufbau im Föderationsrat.

Blick in den Plenarsaal der russischen Staatsduma
Die russische Staatsduma will eine Wiedereinführung der Todesstrafe prüfenBild: Sergei Fadeichev/dpa/TASS/picture alliance

Als Reaktion darauf sagte die Abgeordnete der Staatsduma, Maria Butina, man könnte die mutmaßlichen Täter an Belarus überstellen und ihnen dort den Prozess machen. Zum einen seien Belarus und Russland in einem "Unionsstaat" verbunden und zum anderen habe Belarus "das gleiche Recht" über die Angeklagten zu urteilen wie die Russische Föderation, da bei dem Anschlag auch belarussische Bürger getötet worden seien.

"Die Angeklagten glauben, wegen des Moratoriums in Russland einer Todesstrafe entkommen zu können. Doch das wir werden noch sehen, denn entsprechende Verhandlungen laufen", sagte Butina dem staatlichen Fernsehsender "Belarus 1". Bisher haben aber weder die russischen noch die belarussischen Behörden entsprechende Gespräche bestätigt.

Wer hätte die Kontrolle über ein Verfahren in Belarus?

Um einen Fall vor einem belarussischen Gericht prüfen zu können, müssten die Ermittlungen von örtlichen Beamten geführt werden. 

Maria Kolesowa-Gudilina, Leiterin der belarussischen Vereinigung der Anwälte für Menschenrechte, glaubt, die Russen würden den Belarussen diesen wichtigen Fall niemals anvertrauen. Dahinter stünde die Furcht, nicht genügend Kontrolle über das Verfahren zu haben. Außerdem würde ein solcher Prozess die Souveränität beider Staaten in Frage stellen. "Man müsste sich fragen, ob Russland als unabhängiger und selbständiger Staat nicht in der Lage sei, Probleme mit der Sicherheit und Justiz im eigenen Land zu lösen."

Wie weit reicht die gemeinsame Terrorbekämpfung?

Der Vertrag über den russisch-belarussischen Unionsstaat sieht eine gemeinsame Terrorbekämpfung vor. Er beinhaltet aber keinen Mechanismus, wie Strafsachen übergeben werden können. Da bei dem Anschlag belarussische Bürger getötet wurden, könnte Belarus eventuell ein Verfahren laut universeller Gerichtsbarkeit einleiten und eine Auslieferung der mutmaßlichen Täter fordern. Doch diese dürften ab dem Zeitpunkt der Auslieferung dann nicht mehr in Russland strafrechtlich verfolgt werden.

Die Präsidenten Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin stehen beieinander, im Hintergrund die Flaggen von Belarus und Russland
Die Präsidenten Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin. Belarus und Russland gründeten 1999 einen UnionsstaatBild: Mikhail Klimentyev/Kremlin/Sputnik/REUTERS

Expertin Kolesowa-Gudilina hält eine Auslieferung an Belarus deshalb für unwahrscheinlich. Der Anschlag sei auf russischem Territorium verübt worden und die meisten Opfer seien russische Staatsbürger. Außerdem habe Russland die Chisinau-Konvention ratifiziert, welche die Auslieferung von Straftätern verbiete, wenn ihnen dadurch die Todesstrafe drohe. Daher müsse Minsk bei einem Antrag auf Auslieferung Moskau versichern, dass die Angeklagten nicht hingerichtet würden, sondern höchstens, wie in Russland, eine lebenslange Haftstrafe bekämen.

Und solche Fälle gab es schon. So wurde beispielsweise im Jahr 2022 Sergej Derbenjew, Mitglied der "Morosow-Bande" aus dem belarussischen Gomel, wegen der Ermordung mehrerer Menschen zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Das war die Höchststrafe, die das belarussische Gericht verhängen konnte. Denn in der Zeit, in der Derbenjew die Taten beging, galt das Strafgesetzbuch von 1960. Das damalige Strafrecht wurde also rückwirkend berücksichtigt. Eine lebenslange Haftstrafe wurde in Belarus mit dem Strafgesetzbuch von 1997 eingeführt. Da Derbenjew von Russland ausgeliefert worden war, hatte die belarussische Generalstaatsanwaltschaft garantiert, keine Todesstrafe zu fordern.

Maria Kolesowa-Gudilina hält auch eine "illegale" Überstellung der mutmaßlichen Terroristen an Belarus für unwahrscheinlich: "Selbst wenn man davon ausgeht, man würde sie einfach an der Grenze zu Belarus absetzen, dann müsste das Verfahren gegen sie in Russland eingestellt werden. Angesichts der hohen Brisanz des Falles ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Behörden dem zustimmen würden."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk