Terroranschlag oder Tat eines Verwirrten?
7. Januar 2016Es war genau 11.30 am Vormittag, gerade als Präsident Francois Holland im Hof der der Polizeipräfektur von Paris seine Rede an die versammelten Sicherheitskräfte richtete, als ein bewaffneter Mann versuchte, die Sperren vor einer Wache im 18. Arrondissement zu überwinden. Drei Schüsse fielen. Der bisher nicht identifizierte Mann fiel leblos zu Boden. Ein paar Kilometer weiter versprach der Präsident der Polizei mehr Geld, mehr Stellen und neue Befugnisse im Kampf gegen den Terror. Und er bedankte sich für ihren Einsatz bei den Terroranschlägen des vergangenen Jahres. Drei Polizisten hatten im Zusammenhang mit dem Attentat auf Charlie Hebdo das Leben verloren, hunderte waren im November nach den Anschlägen unter anderem auf das Bataclan im Einsatz. Die Schüsse im Barbès Viertel aber erinnerten alle sehr plötzlich und deutlich daran, dass die Bedrohungen in Paris nicht vorbei sind.
Quartier Barbès ist ein unruhiges Pflaster
Das Viertel um die Metro-Station Barbès-Rochechouart im Norden von Paris ist ein raues Pflaster. Hier wohnen überwiegend Zuwanderer aus nordafrikanischen Ländern, vor allem aus Algerien, und neuerdings zahlreiche Neuankömmlinge aus Schwarzafrika. Unter den Metrobrücken lagern häufig Obdachlose, mehrfach wurden in den letzten Monaten illegale Flüchtlingscamps abgeräumt. Der Markt am Samstag ist in ganz Paris berühmt für seine billigen Preise und seine schnellen Taschendiebe. Die Rue de la Goutte d'Or aber, Ort des Angriffes gegen die dortige Polizeiwache, gilt bei den Anwohnern als Dealer- und Junkie-Meile.
Seit den Anschlägen 2015 werden alle öffentlichen Gebäude in Paris von Bewaffneten bewacht, meist gibt es zusätzliche Sperrgitter. Was genau aber am MIttag an den Absperrungen in der Rue de la Goutte d'Or geschah, darüber gehen die Schilderungen auseinander. Erste Augenzeugen berichteten von einem Mann, der "Allahu Akbar" gerufen habe und mit einem Messer auf die Wachpolizisten zugerannt sei. Die schossen sofort, der Angreifer starb an Ort und Stelle. Er trug darüber hinaus eine Tasche einer mutmaßlichen Bombe an den Körper geklebt. Die Experten untersuchten die Gerätschaft und erklärten schnell, es handele sich um eine harmlose Attrappe. Später gab die Staatsanwaltschaft dann bekannt, dass der Mann eine Art Bekennerschreiben mit einer IS Flagge und Forderungen auf arabisch und deutsch bei sich getragen habe. Sein Handy wurde konfisziert, seine Identität war noch Stunden später nicht geklärt. Die Pariser Anti-Terroreinheit schaltete sich ein. Die französischen Fernsehsender zeigen Bilder von der Überwachungskamera der Polizei, deutlich ist die Waffe neben dem Toten als kleines Fleischerbeil zu identifizieren.
Unruhe hinter den Absperrungen
Die Polizei in Paris hat inzwischen schnell funktionierende Terror-Einsatzpläne. Innerhalb von Minuten wurde das ganze Viertel abgesperrt, die Kinder der umliegenden Schulen in ihren Klassenräumen festgehalten, Anwohner aufgerufen in ihren Wohnungen zu bleiben. Überall gingen die Rollläden herunter. Aber ein paar Stunden später war der Spuk schon wieder vorbei, die U-Bahnen nahmen den Betrieb wieder auf, der Verkehr rollte weiter. Und hinter den verbleibenden Absperrungen ist Unruhe unter den Bewohnern zu spüren. Ein paar Afrikaner ziehen vorbei und werfen den Polizisten diffuse Schimpfwörter zu. Einige ältere Frauen murmeln hinter ihren Kopftüchern von Ungerechtigkeit, immer sei die Polizei hinter den jungen Männern im Viertel her.
Terrorist oder Wirrkopf?
Augenzeuge Mohamed und seine Frau waren gerade dabei, beim Bäcker gegenüber von der Polizeistation Kuchen einzukaufen, als sie die Schüsse hörten:"Es waren drei Schüsse, ganz schnell hintereinander, das ganze war in Sekunden vorbei", berichtet er. Er will von "Allahu Akbar" Rufen nichts gehört haben. Der Mann sei einfach an den Sperren vorbei auf die Polizisten zugelaufen, erzählt Mohamed, und die hätten sofort auf ihn geschossen. "Sie haben überreagiert", meint er. Denn der vermeintliche Angreifer sei im Viertel und besonders bei der Polizei bekannt. Sie hätten ihn immer in Untersuchungshaft genommen, er sei nicht ganz richtig im Kopf gewesen. Alle in der Nachbarschaft hätten ihn als wirr aber harmlos gekannt.
Auch im Restaurant El Bahdja um die Ecke findet sich ein Zeuge aus dem Viertel. Samir isst hier sein Kebab und erzählt dabei, dass der Erschossene seit fünf bis sechs Jahren im Quartier lebe. Er sei Algerier und schlage sich mit dem Verkauf illegaler Zigaretten auf den Straßen durch. Außerdem habe er selbst Drogen genommen. Alle würden ihn als Kleinkriminellen kennen, der aber nicht gewalttätig sei. Wir Journalisten sollten es nicht glauben, wenn die Polizei den Mann zum Terroristen stilisiere. Samir glaubt, der Zigarettenhändler habe immer dieses kleine Beil bei sich gehabt, weil er sich gegen Banden verteidigen wolle, die ihm seine Zigarettenstangen abnähmen.
Innenminister spricht von großer Bedrohung
Innenminister Bernard Cazeneuve dagegen spricht am Nachmittag von einer akuten Bedrohung und von einer absolut gerechtfertigten Aktion der Polizei. Die Sache mit den "Allahu Akbar" Rufen aber stammt von einem ersten Augenzeigen, dessen Bericht gleich am Mittag in den Medien verbreitet wurde. Der Vorfall zeigt, dass nicht nur die Bewohner von Paris an sich beunruhigt sind. Das gleiche gilt auf besondere Weise auch für die Bewohner der vorwiegend muslimischen Zuwanderer-Viertel der Hauptstadt. Was Präsident Francois Hollande am gleichen Tag als notwendig im Kampf gegen den Terror bezeichnete – die stärkere Bewaffnung und die gelockerten Regeln für den Waffeneinsatz der Polizei – empfinden die Bewohner des Quartiers als Bedrohung für sich selbst. Und der offiziellen Darstellung der Ereignisse will hier kaum jemand Glauben schenken.