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Kinder müssen draußen bleiben

Gero Schließ23. Juli 2014

Texas schickt 1000 Nationalgardisten an die Grenze zu Mexiko. Der Grund: Zehntausende Kinder und Jugendliche sind über die Grenze in die USA geflüchtet. Für die Kinder brechen nun noch härtere Zeiten an.

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Ein Grenzpolizist vor den Räumen in denen Kinder und Jugendliche darauf warten wie es weiter geht. (Foto: AP /Los Angeles Times, Rick Loomis)
An der Grenze aufgegriffene Kinder und Jugendliche in einer Border Patrol Station in TexasBild: picture-alliance/AP Photo

Nur wenige Meter vom "CareFree Inn" (zu Deutsch etwa: Hotel Sorgenfrei) sind mehrere hundert minderjährige Flüchtlinge untergebracht, in grauen Baracken auf dem Gelände der Luftwaffenbasis Lackland am Rande San Antonio, der zweitgrößten Stadt des US-Bundesstaats Texas. Auch wenn der frisch angelegte Fußballplatz ein unbeschwertes Bild vermittelt: Von einem sorgenfreien Leben in den USA trennen sie Wachsoldaten und ein hoher Zaun. Einziger legaler Ausweg: Ein bestandenes Asylverfahren.

Sorgfältig gekleidet vor dem Richter

Einige der Jugendliche werden an diesem Tag von ihren Betreuern in einem Kleinbus zum Gerichtshof für Einwanderungsfragen in die Innenstadt der Millionenstadt San Antonio gebracht. Sie sind perfekt gekleidet, tragen Hemd und Krawatte und haben ihre Kurzhaarfrisuren sorgfältig gegelt.

Hinter dem Schild "Carefree Inn" sieht man eine Massenunterkunft für Flüchtlinge (Foto: DW/Gero Schließ)
Neben einem Hotel mit dem bezeichnenden Namen "Sorgenfrei" steht die FlüchtlingsunterkunftBild: DW/G. Schließ

Für Richter Anibal Martinez ist es ein ganz normaler Arbeitstag. Für die Jugendlichen, die er im Fünf-Minuten-Takt vernimmt, ist es der Tag der alles verändern kann. Für sie geht es um die Frage: Dürfen sie in den USA bleiben oder werden sie zurückgeschickt in ihre Heimatländer, aus denen sie wegen unvorstellbarer Gewaltexzesse geflohen sind?

Gewaltexzesse in der Heimat

Auch José (Name geändert) musste heute vor Gericht erscheinen. Er war in einem Lager, bevor er zu Familienangehörigen ins benachbarte Austin entlassen wurde. Anders als die Jungen aus Lackland trägt er ein T-Shirt und modische Sportschuhe. Wie fast alle der Kinder und Jugendlichen hier versteht José nur Spanisch, bekommt die Fragen nach Name und Alter übersetzt. Alles andere übernimmt seine Anwältin. Dann wird die Verhandlung wird auf einen Termin im Herbst vertagt. Ein übliches Verfahren, denn es handelte sich um den ersten Gerichtstermin für José.

Massenunterkunft für Flüchtlinge (Foto: DW/Gero Schließ)
In der Unterkunft warten hunderte Kinder und Jugendliche auf den Bescheid ihres AsylantragsBild: DW/G. Schließ

Der 17-Jährige gehört zu den mehr als 57.000 Minderjährigen, die seit Oktober 2013 über die mexikanische Grenze in die USA gekommen sind. Sie stammen vor allem aus Honduras, Guatemala und El Salvador.

Überfälle und Erpressung

Honduras - Josés Heimat - ist das Land mit der weltweit höchsten Mordrate und einer enormen alltäglichen Gewalt. José hat das hautnah erlebt. Er war dabei, wie Polizisten unter dem Vorwand des unerlaubten Drogenbesitzes seinen Onkel kidnappten und Lösegeld forderten. Und wie später bewaffnete Männer das Haus seiner Familie überfielen, ihn und die Angehörigen aus dem Versteck rissen und seinen Cousin vor seinen Augen brutal zusammenschlugen. Danach hat seine Mutter gesagt, dass er zu Hause nicht mehr sicher sei und ihn eines Morgens auf die gefährliche Reise Richtung USA geschickt. Was ihm da wiederfahren ist, will José nicht erzählen. Doch jetzt ist er glücklich, sagt er, und lächelt dabei.

Die Flucht überlebt

Wie José kommen auch die Geschwister Maria und Carlos Vega aus Honduras. Der 16-jährige Carlos erzählt, wie er auf dem Schulweg mehrfach verprügelt und ausgeraubt wurde. Beide haben es schließlich nicht mehr ausgehalten und sich ohne Wissen der Eltern auf eigene Faust aufgemacht. In einer Gruppe von sieben Kindern seien sie von einem 28-jährigen Mann bis zur US-Grenze gebracht worden. Dort hat er sie gezwungen, durch einen Fluss auf die US-amerikanische Seite zu schwimmen. Obwohl Maria nicht schwimmen kann, haben beide überlebt und wurden von US-Grenzwächtern aufgegriffen. Was aus den anderen geworden ist, wissen sie nicht. Die Geschwister hätten sehr viel Glück gehabt, sagt ihre Anwältin Felice Maria Garza. Sie erzählt von einer jungen Mutter, die von Fluchthelfern ins Wasser getrieben wurde und beim Durchqueren des Flusses ihre beiden Babys verlor.

Carlos und Maria Vega sitzen auf einer Bank (Foto: DW/Gero Schließ)
Warten: Das Geschwisterpaar Carlos und Maria Vega aus HondurasBild: DW/G. Schließ

Frieren in der "Eisbox"

Viele der Kinder aus Zentralamerika werden auf ihrem Weg in die USA noch einmal Opfer gewalttätiger Übergriffe, sagt Jonathan Ryan, Direktor der Nichtregierungsorganisation "Raices", die vor allem die Kinder und Jugendlichen aus den Lagern vor Gericht vertritt. 21 Anwälte beschäftigt "Raices" und weitere sollen hinzukommen, um dem Arbeitsaufkommen Herr zu werden. Sie hören von den Kindern so grauenhafte Geschichten, dass sie selber auf psychologische Betreuung angewiesen sind.

Kinder und Jugendliche warten in den Border Patrol Stationen (Foto: dpa)
Warten in der Enge: Kinder und Jugendliche in den Border Patrol StationenBild: picture-alliance/dpa

Doch für die wenigen Glücklichen, die es bis in die USA schafften und von der Border Patrol, den Grenzschützern, aufgegriffen würden, hört der Schrecken nicht auf, sagt Ryan. "Viele Bilder zeigen Kinder, die wie Sardinen in den Border Patrol Stationen liegen." Diese würden in den USA und Lateinamerika "Eisbox" genannt und seien berüchtigt wegen ihrer niedrigen Temperaturen. Die Flüchtlinge sagen, die Temperaturen würden bewusst niedrig gehalten um abschreckend zu wirken und die Flüchtlinge dazu zu bringen, der Abschiebung schnell zuzustimmen. Die Angestellten der Border Patrol weisen das zurück. Die Aufgegriffenen würden manchmal länger als eine Woche dort festgehalten, "ohne zusätzliche Kleidung oder Decken. Sie schlafen, essen dort, machen alles da und dürfen die Box nicht verlassen", so Ryan.

Joe Romero, Grenzpolizist an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, sieht die Border Partrol nicht in der Pflicht, die Bedingungen für die Aufgegriffenen erträglicher zu machen: "Die Regierung nutzt die Gebäude lediglich. Verantwortlich für die Gebäude sind aber externe Agenturen, mit denen die Regierung Verträge abgeschlossen hat," sagt er gegenüber der Deutschen Welle.

Fußballweltmeisterschaft im Notlager

Gegen diese menschenunwürdige Behandlung hat Raices geklagt, ohne bisher etwas erreicht zu haben. Die spätere Unterbringung in Notunterkünften wie in Lackland werde von einer anderen Regierungsagentur verantwortet und sei viel menschlicher, sagt Ryan. Er vergleicht das mit einer schulischen Umgebung, freilich in einem militärischen Umfeld. Die Kinder seien in Schlafsälen mit bis zu 60 Betten und könnten an verschiedenen Freizeitaktivitäten teilnehmen, darunter auch Fernsehen. "Die Fußballweltmeisterschaft war hier ein großes Thema, zumindest solange Honduras noch dabei war", erzählt er. Dennoch gab es in den Medien Berichte über zahlreiche Tuberkulose-Erkrankungen, die von der Regierung allerdings nicht bestätigt wurden.

Porträt von Jonathan Ryan (Foto: DW/Gero Schließ)
Jonathan Ryan, Direktor von "Raices"Bild: DW/G. Schließ

Diskussion um Einwanderungsgesetz

Die neue Welle von minderjährigen Migranten hat die unversöhnliche Diskussion in den USA über ein neues Einwanderungsgesetz weiter verschärft. Oppositionelle Republikaner verlangen, die Kinder und Jugendlichen umgehend abzuschieben. Doch dazu müsste ein Gesetz geändert werden, das George W. Bush unterzeichnet hat und minderjährigen Migranten das Recht auf eine gerichtliche Anhörung garantiert. Präsident Obama hat den Republikanern bereits "Flexibilität" signalisiert und erhofft sich als Gegenleistung, dass sie für die von ihm geforderten Sondermittel in Höhe von 3,7 Milliarden Dollar zur Bewältigung der "Grenzkrise" stimmen.

Doch dagegen formiert sich Widerstand, auch in Obamas Demokratischer Partei. Und bei Gemeinden, die sich mittlerweile lautstark gegen die Errichtung von Notunterkünften wehren und von einer "Invasion" sprechen. "Wir haben es hier sicherlich nicht mit einem Einwanderungsproblem zu tun", wendet Jonathan Ryan ein. "Das ist eine humanitäre Krise, eine Flüchtlingskrise", sagt er mit Blick auf die Gewaltexzesse in den Herkunftsländern der Minderjährigen. Die Kinder seien das Opfer, nicht die Bürger der USA. "Es wäre eine humanitäre Katastrophe, wenn die reichste und mächtigste Nation in der Geschichte der Welt einer Gruppe von Kindern den erbetenen Schutz versagen würde."

Maria und Carlos Vega haben Angst, dass sie wieder zurückgeschickt werden. Ihre Anwältin ist skeptisch. Die Hürden sind hoch - schon jetzt.