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Das "White Album" der Beatles live

30. März 2019

Die Beatles spielten nichts davon live; die Songs des "White Album" galten als unspielbar. "The Analogues" zeigen auf ihrer Tour, dass es doch funktioniert. Mit Originalinstrumenten, Leidenschaft und Detailverliebtheit.

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The Analogues auf der Bühne
Bild: Wizzard Promotions

Der Jet fliegt vorbei, der Schlagzeuger zählt an - und schon sind wir "Back in the U.S.S.R.". Wir hören die Beatles. Aber was wir sehen, sind die Analogues. Eine Band aus den Niederlanden, die es sich zur Mission gemacht hat, Beatlesmusik auf die Bühne zu bringen, die die Fab Four selber nie live gespielt haben. An diesem Abend vor knapp 1000 Leuten im Kölner E-Werk werden die Songs des "Weißen Albums" zum Leben erweckt, Gänsehaut, Tränen und pures Staunen im Publikum. Soviel Perfektion und Authentizität hat kaum einer erwartet. Doch die Musiker auf der Bühne sind nicht nur exzellente Sänger und Multi-Instrumentalisten, sondern auch absolute Nerds, die es schaffen, ihr Publikum um 50 Jahre zurückzuversetzen.

Live nicht spielbar?

Die Beatles hatten 1966 die Nase voll von dem Geschrei der Teenies auf ihren Konzerten und gaben ihr vorläufig letztes Live-Konzert am 29. August 1966 im Candlestick Park in San Francisco. Von da an verschanzten sie sich nur noch im Studio oder reisten nach Indien. Eine dieser Reisen führte sie ins Ashram des Maharishi Mahesh Yogi, wo sie einen mehrwöchigen Meditationskurs machten. Eine Folge dieses Aufenthalts war das "Weiße Album".

Darauf zu hören: Kompositionen und Arrangements, wie sie es in dieser Vielfalt noch nie auf einer Platte gab. Live absolut nicht spielbar. Dachte man damals.

Ein Haufen Nerds

Bis sich der Niederländer Fred Gehring in den Kopf setzt, dass das mit den richtigen Leuten und Instrumenten zu schaffen sei. Als früherer CEO des Modelabels Tommy Hilfiger hat Gehring genug Geld im Rücken, um ein so ambitioniertes Projekt zu starten. Er holt sich den Produzenten und Arrangeur Bart van Poppel mit ins Boot und rekrutiert Musiker. Gitarrist Jac Bico erzählt, Bart habe ihn angerufen und gefragt, ob er nicht in einer Beatles-Coverband spielen wolle. Er habe zunächst dankend abgelehnt - davon gab es schließlich genug.

Und dann erzählte Bart, was sie da wirklich vorhatten: Die Songs quasi "millimetergenau" mit originalen Instrumenten nachzuspielen. "Und dann wurde das Ganze für mich interessant", erinnert sich Jac. Genau so erging es dem Pianisten und Gitarristen Diederik Nomden und den anderen Musikern, die seit 2014 als The Analogues das angeblich nicht live spielbare Spätwerk der Beatles auf die Bühnen bringen. Hier haben sich Musiker gefunden, die neben ihrem Können auch ihre Leidenschaft für die Beatles, für alte Instrumente und eine unbedingte Liebe zum Detail mitbringen.

Die Jüngsten sind sie zum größten Teil nicht mehr. Sie sehen auch nicht aus wie die Beatles. Sie sind zu fünft, zu sechst, zu siebt, und bei etlichen Stücken steht dazu noch ein bis zu zehnköpfiges Blas- und Streichorchester auf der Bühne. Zu jedem Lied gibt es passende und unaufdringliche Videoprojektionen.

Mehr als schwarze und weiße Tasten

Ihre Instrumente sind Raritäten, die nicht nur Sammlerherzen höher schlagen lassen. Zum Beispiel ein Mellotron aus den 1960er Jahren mit der Seriennummer 10. "Paul McCartney hatte Nummer 9", sagt Diederik, der vor dem Konzert die seltenen Instrumente vorführt. Das Mellotron gilt als Urform der späteren Sampler. Mit einem großen Drehschalter wählt man einzelne Tonbänder im Innern an, auf denen sich verschiedene Klänge befinden. Drückt man eine Taste, ertönt der gesampelte Ton. Auf dem Weißen Album hört man das Mellotron unter anderem bei "Bungalow Bill". Daneben ein altes Hohner Pianet, das E-Piano der Beatles, zu hören bei "Savoy Truffle" und anderen Songs. Es gibt ein normales Klavier und ein Honkey-Tonk-Piano, dessen Holzschlägel mit kleinen Metallkappen versehen sind. Die sorgen für die typischen Sounds bei "Ob-La-Di-Ob-La-Da" und "Rocky Racoon". 

Die Keyboard-Section mit Mellotron, hammond-Orgel, Klavier und Hohner Oianet
Hier gibt es keinen Synthesizer oder andere moderne Keyboards, rechts das MellotronBild: DW/S. Wünsch

Gitarren mit Geschichte

Auch die Saiteninstrumente sind Originale. Da steht ein Fender Jazz Bass und mehrere Rickenbacker-Bässe und natürlich der Höfner Violin Bass, Paul McCartneys Lieblingsstück. Die Fender-Verstärker sind aus den 60er Jahren. Immer noch gut erhalten und dennoch empfindlich. Wenn mal einer ausfällt, gibt's immer noch ein Backup auf der Bühne.

Auf dem Gitarrenständer mehrere elektrische und akustische Gitarren; Gibsons aus den späten 1950er Jahren und natürlich DIE Beatles Gitarre der späten Jahre, die von John und Paul gespielt wurde: Die Epiphone Casino. John Lennon hatte sich in Indien von seinem Freund Donovan erklären lassen, dass das Holz einer Gitarre ohne Lack besser atmen kann. Also schliff John, zurück in England, seine geliebte Casino ab. So hell und unlackiert kann man sie im Übrigen beim Rooftop-Konzert der Beatles bewundern.

Jac Bico zeigt die rot lackierte Gibson SG
Jac Bico zeigt die Gibson SGBild: DW/S. Wünsch

Natürlich darf auch George Harrisons Gibson SG nicht fehlen - und das Prunkstück ist die Les Paul - die Gitarre, auf der Eric Clapton für "While My Guitar Gently Weeps" das Solo eingespielt hatte. Jac Bico spielt die Gitarre an - der markante Sound geht sofort in die Ohren. Jac wird später auf der Bühne das Clapton-Solo 1:1 nachspielen.

Schatzkiste für Musikfreaks

Die Mikrofone auf der Bühne gleichen fast denen, die die Beatles auf dem Rooftop Concert hatten. Silberne Ständer mit Schwanenhälsen und runden Mikrofonkapseln. Die Detailverliebtheit der Analogues geht so weit, dass sie für einen einzigen Song ewig nach einer ganz bestimmten Glocke suchte, die den Ton "E" hat. Tatsächlich wurde sie gefunden. Im Refrain zu "Everybody's Got Something To Hide Except Me And My Monkey" wird nun fröhlich auf ihr herumgedengelt.

Die Suche nach alten Instrumenten hört nicht auf, sagt Jac Bico. Auch Musikgeschäfte melden sich bei den Analogues, wenn sie ein interessantes Instrument gefunden haben. Natürlich ist das teuer. Aber erstens steckt genug Geld dahinter, und zweitens ist die Anschaffung eines Originalinstruments keine Geldausgabe, sondern eine Wertanlage, erklärt Diederik Nomden.

Gitarrist Jac Bico spielt die Gibson Les Paul, neben ihm Bassist und Arrangeur Bart van Poppel
Jac Bico spielt das Clapton-Solo bei "While My Guitar Gently Weeps" 1:1 nachBild: Wizzard Promotions

Alle Gitarren und auch manche Keyboards sind in mehrfacher Ausführung vorhanden, weil die Musiker während des Gigs die Instrumente wechseln. Für Musikfreaks ist es eine Schatzkiste. Was hier auf der Bühne steht, hat unschätzbaren Wert, nicht nur für Sammler. Das Equipment der Analogues wird in zwei riesigen Trucks transportiert.

Absolute Perfektion

Die Instrumente zu finden war die eine Herausforderung. Die zweite: die Musik selbst. Die Analogues haben keine Arrangements, Partituren oder dergleichen. Nomden verfügt über ein paar einzelne Spuren, ansonsten haben sie sich alles selbst herausgehört: "Das war harte Arbeit, vor allem wenn das Orchester dabei war." Bico erinnert sich, wie sie sich die Zähne an "Honey Pie" ausgebissen haben: "Da gibt es so einen typischen Bläsersatz wie aus den 20er Jahren, bei dieser speziellen Art des Arrangements ist sehr schwer zu hören, was da passiert."

Perfektionismus ist auch beim Gesang angesagt, egal ob Diederik Nomden Pauls Lieder singt oder Felix Maginn die Lieder von John. Das macht nicht nur die Mikrofoneinstellung am Mischpult - sondern die absolute Leidenschaft der Band für den Beatles Sound. So stimmt nahezu jede kleine Nuance, jede Verzögerung, jeder minimal unsauber gesungene Ton. Bico: "Wir diskutieren über jede auch noch so kleine Note. Selbst wenn wir auf Tour sind, feilen wir an den Tönen, an Längen und Sounds." 

"Revolution No.9" ist eine Toncollage auf dem Weißen Album. Diese wird beim LiveGig mit einem Tonbandgerät wiedergegeben, im Hintergrund läuft eine passende Videoinstallation
"Revolution No.9" dürfte das am wenigsten zerkratzte Stück auf dem "Weißen Album" sein...Bild: DW/S. Wünsch

Vor einem Stück des Weißen Albums mussten selbst die Analogues kapitulieren. Die 8-Minütige Toncollage "Revolution No.9" von John Lennon ist live nicht spielbar. Stattdessen hat Bart van Poppel die komplette Collage nachgebaut. Beim Konzert steht ein Tonbandgerät auf der Bühne, die visualierten Sounds werden auf die Leinwand projiziert.

Was sagen Paul und Ringo?

"Paul ruft andauernd an, aber wir haben einfach keine Zeit, deswegen geht nie einer ran", grinst Bico. Im Ernst: Noch hat sich keiner der noch lebenden Beatles bei den Analogues gemeldet. Obwohl die Band schon in Liverpool gespielt hat, ist noch nichts aus dem Beatles-Dunstkreis zu ihnen durchgedrungen.

Bei aller Begeisterung: The Analogues sind eines von tausend Beatles-Projekten, die es gab und gibt. Warum sollte man jetzt vom Olymp aus gerade diese Kapelle aus den Niederlanden bemerken? Da sind die Jungs auch ganz realistisch, wie Nomden erklärt: "Was wir machen ist zwar einzigartig, und ich glaube auch, dass Paul von uns gehört hat, aber wir sind nicht so wichtig, dass er jetzt zum Hörer greifen würde."

Ständig auf Tour

Gitarrist Diederik spielt und singt "Blackbird", auf der Leinwand im Hintergrund ein Vogelschwarm, am Schlagzeug sitzt Bandleader Fred Gehring und singt mit
Es ist mucksmäuchenstill in der Halle, als Diederik Nomden "Blackbird" singtBild: Wizzard Promotions

Die Rechte sind im Übrigen geklärt - das musste auch sein, denn die Analogues haben inzwischen drei Live-Alben raus gebracht, auf denen sie "Magical Mystery Tour", "Sgt. Pepper's Lonely Heartsclub Band" und jetzt das "White Album" covern. Die aktuelle und fast ausverkaufte "White Album"-Tour endet am 4. Mai im Londoner Palladium. Einen Monat später stehen sie schon mit ihrem nächsten Projekt auf der Bühne: Mit "Abbey Road" geht's durch die Niederlande, nach Belgien und ins Pariser Olympia. In Deutschland schauen sie im Herbst 2020 nochmal vorbei. 

Die meisten Mitglieder der Analogues sind Berufsmusiker. Für Jac Bico und Diederik Nomden dreht sich das Leben allerdings nicht nur um die Analogues. Sie haben auch noch eigene Projekte - Diederik hat unter seinem Nachnamen Nomden gerade das Album "Wingman Returns" herausgebracht - und beim genauen Hinhören entdeckt man den einen oder anderen Sound, den man schon bei den Beatles gehört hat. Kein Wunder - für Diederik ist die Musik der Beatles "einfach die beste Musik, die jemals jemand geschrieben hat."

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online