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Thränert: "Assad ist wieder Ansprechpartner"

Kersten Knipp9. Oktober 2013

Die Vernichtung syrischer Chemiewaffen laufe nach Plan, melden die Experten. Unabhängig vom Erfolg der Inspekteure habe ihre Arbeit bedeutende politische Nebenwirkungen, sagt Politologe Oliver Thränert.

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Oliver Thränert ist Experte für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Pressezulieferung: Copyright ist bei der Körber-Stiftung – Sie können das Bild gern verwenden, bei Veröffentlichung den Namen des Fotografen (Marc Darchinger) angeben
Bild: Körber-Stiftung/Marc Darchinger

DW: Herr Thränert, seit gut zehn Tagen arbeiten Inspekteure der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) offenbar erfolgreich an der Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals. Nochmal in der Rückschau die Frage: Was mag Assad bewogen haben, der Zusammenarbeit mit den Inspektoren rückhaltlos zugestimmt zu haben?

Oliver Thränert: Ich denke, die syrische Führung unter Assad hat eine Grundsatzentscheidung getroffen. Für sie ist es allemal besser, im Rahmen einer internationalen Übereinkunft auf ihre Chemiewaffen zu verzichten, als einen möglichen amerikanischen Militärschlag zu riskieren.

Der amerikanische Präsident und auch viele europäische Regierungen sind der Auffassung, dass Assad nicht mehr der legitime Präsident Syriens ist. Dies umso mehr, als diese Staaten davon ausgehen, dass Assad Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Insofern führt jetzt diese kontrollierte Abrüstung bei den chemischen Waffen zu einem paradoxen Ergebnis: Nämlich, dass Assad, indem er wieder im Zuge der Inspektionen zum internationalen Ansprechpartner geworden ist, als Regierungsvertreter gewissermaßen gestärkt wird. Und das aufgrund der Tatsache, dass er wahrscheinlich Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt hat.

Das syrische Chemiewaffenarsenal soll bis Mitte 2014 vernichtet sein. Halten Sie das für einen realistischen Zeitplan?

Es ist natürlich eine außerordentliche Situation: Chemiewaffen werden während eines laufenden Bürgerkriegs vernichtet. Insgesamt soll es sich um Waffen im Umfang von 1000 Tonnen handeln - das ist eine erhebliche Menge. Die große Frage wird zunächst sein, ob das, was die Syrer an Kampfstoffbeständen gemeldet haben, tatsächlich die gesamte Menge ist. Zudem muss man sich einen Eindruck von dem Zustand der Kampfstoffe bilden - ob sie etwa bereits abgefüllt und einsatzfähig sind.

Auf jeden Fall ist es ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Ich war sehr überrascht, als die Amerikaner und Russen in Genf davon sprachen, den größeren Teil der chemischen Kampfstoffe aus Syrien abtransportieren zu wollen. Denn bisher sind chemische Kampfstoffe meist da zerstört worden, wo sie gelagert waren. Der Transport von Chemiewaffen ist eigentlich immer sehr gefährlich.

Wie ist die syrische Regierung in den Besitz eines solch gewaltigen Chemiewaffenarsenals gekommen?

Bereits in den 70er-, 80er-Jahren hatte sich die damalige Regierung entschieden, auf ein eigenes Atomwaffenprogramm wohl zu verzichten und stattdessen ein sehr modernes, breit angelegtes Chemiewaffenprogramm zu unterhalten. Man wollte eine Gegenabschreckung gegen die israelischen Atomwaffen aufbauen. Klar ist natürlich auch, dass es Herrschern wie Assad oder früher auch Saddam Hussein im Irak darauf ankommt, die eigene Bevölkerung dadurch einzuschüchtern, dass man ihr mit chemischen Waffen droht.

Welche Rolle spielen chemische Waffen heute noch in konventionellen Kriegen?

Gegen sehr gut geschützte westliche Armeen sind chemische Waffen nicht mehr besonders wirksam. Bei Streitkräften allerdings, bei denen der Schutz eben nicht ausreichend und umfassend ist, können chemische Kampfstoffe auf dem Gefechtsfeld durchaus entscheidend sein.

In Syrien spielt nicht nur das Assad-Regime eine Rolle, sondern auch die Opposition. In deren Reihen finden sich dschihadistische Gruppen. Droht den UN-Inspektoren womöglich von dieser Seite Gefahr?

Sie können natürlich jederzeit in Gefechte zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Oppositionsgruppen geraten. Es ist schwer zu sagen, ob die Bürgerkriegsparteien tatsächlich ein Interesse daran haben, die Inspektoren gezielt anzugreifen. Das könnte durchaus sein - wenn man etwa Assad unglaubwürdig machen oder seine ohnehin zerstörte Legitimität noch weiter untergraben will. Denkbar ist, dass manche seiner Gegner den derzeit anlaufenden Prozess torpedieren wollen. Denn in ihm tritt Assad in einem internationalen Umfeld als legitimer Vertreter Syriens auf. Das könnten manche Gruppen verhindern wollen.

Bei der Vernichtung der Chemwiewaffen kommen zwei grundverschiedene Verfahren zum Einsatz: die sogenannte Incineration und dann die sogenannte Neutralisierung. Was versteht man unter diesen Begriffen?

Beim ersten Verfahren werden die Kampstoffe in entsprechen Öfen verbrannt. Im anderen Verfahren führt man Wasser und andere Chemikalien zu, durch die die Kampfstoffe neutralisiert und in weniger gefährlichen chemische Substanzen verwandelt werden.

Das Assad-Regime hat erklärt, es sei weder willens noch in der Lage, die Kosten für die Vernichtung der Chemiewaffen zu tragen. Wer wird am Ende dafür aufkommen?

Das wird wohl auf die Vertragsstaaten des Chemiewaffenübereinkommens hinauslaufen. Einige von ihnen haben schon freiwillige Beiträge geleistet, insbesondere die westlichen Länder. So haben in der Vergangenheit etwa Deutschland und andere westliche Staaten Russland bei der Finanzierung und dem Einsatz entsprechender Vernichtungsanlagen geholfen.

Dr. Oliver Thränert ist Politikwissenschaftler. Er forscht insbesondere zu den Themen internationale Waffenkontrolle und Abrüstung. Er ist Leiter des Think Tank am Center for Security Studies (CSS) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

Das Gespräch führte Kersten Knipp