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Tierschutz in der Massenhaltung

Karin Jäger17. September 2014

Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt startet eine neue Tierschutz-Initiative. Nutztiere, die in Massen gemästet werden, sollen besser geschützt werden. Dabei setzt er auf Freiwilligkeit der Agrar-Industrie.

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Bildergalerie Gegensätzliche Landwirtschaft in der EU Industrie Hühner
Bild: Getty Images

Möglichst viel Fleisch, Milch, viele Eier zu produzieren - das ist das Ziel intensiver Landwirtschaft. Dazu werden Schweine, Hühner, Rinder in Massen auf engstem Raum gehalten. Zwar steht der Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz: In der industriellen Mast ist allerdings vieles möglich, was Verbraucher nicht unbedingt wissen möchten oder billigend in Kauf nehmen:

Tötungen, Amputationen, Verstümmelung aus Profitgier

Jedes Jahr werden rund 45 Millionen männliche Küken getötet, nur weil sie das falsche Geschlecht haben und keine Eier legen können. Hühnern und anderem Federvieh wird mit Schneidbrennern der Schnabel abgeschnitten, da sich die gestressten Tiere in der Enge gegenseitig anpicken. Eine schmerzhafte Angelegenheit, sagt der Deutsche Tierschutzbund. Außerdem werden Knochen und Gewebe des Schnabels zerstört, so dass die Tiere Probleme beim Fressen und bei der Gefiederpflege haben.

Schweine
Stehplätze Mangelware - Normalität bei der Massentierhaltung?Bild: AP

Rindern wird zur Vorbeugung vor Verletzungen das Horn abgetrennt. Schweinen, die auf Spaltböden stehen, durch die Kot und Urin hindurchfallen, werden die Ringelschwänze amputiert. Die Halter beugen so der Angewohnheit der unterforderten Tiere vor, die aus Frustration die Ringelschwänze ihrer Artgenossen abknabbern. Zwar ist das Schwänzekupieren seit 1994 durch eine EU-Richtlinie verboten, Ausnahmen sind jedoch möglich.

Schmidt: "Artgerechten Umgang mit Tieren in Mittelpunkt stellen"

Gegen diese Praxis will auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) nicht restriktiv vorgehen. Dennoch plant er mit seiner "Tierwohl-Offensive", die Standards für die Massentierhaltung zu verbessern. "Ohne Massentierhaltung geht es nicht, aber es müssen Indikatoren entwickelt werden, die einen artgerechten Umgang mit den Tieren in den Vordergrund stellen", sagte Schmidt bei der Vorstellung in Berlin. Die Kampagne steht unter dem Motto "Eine Frage der Haltung - neue Wege für mehr Tierwohl".

Christian Schmidt CSU
Appell an Vernunft - Bundesagrarminister Christian SchmidtBild: picture-alliance/dpa

Der Minister setzt dabei auf freiwillige Selbstregulierung der landwirtschaftlichen Industrie und auf praxistaugliche, tiergerechte Lösungen: "Was bringt es dem Tier, wenn der Schwanz nicht vom Menschen abgeschnitten, er aber von anderen Schweinen angebissen wird", sagte Schmidt. Hier sei auch die Forschung gefordert, praktikable Wege des Übergangs aufzuzeigen.

Er erwägt eine Sachkundeprüfung für den Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren: "Jeder, der mit Tieren arbeitet, muss sich der Würde des Tieres bewusst sein und ihnen mit Rücksicht und Respekt begegnen", sagte Schmidt. In einem Netz von Demonstrationsbetrieben sollen bis Ende 2015 besondere Tierschutzbedingungen in die Praxis umgesetzt werden.

Appell an Verbraucher

Nach Vorstellung des CSU-Politikers könnten vorbildliche Stallungen als "Musterbetrieb" ausgezeichnet werden. Auch sollen die Begrenzung und Kontrolle von Tiertransporten verstärkt werden. Im ersten Quartal 2015 soll der Entwurf einer freiwilligen Vereinbarung zum Verzicht auf sogenannte nicht-kurative Eingriffe vorliegen. Dies betrifft das Kupieren der Schwänze bei Schweinen und von Hühnerschnäbeln.

Massentierhaltung Geflügelmastbetrieb in Deutschland
Lege-Batterie - Stress für das MastgeflügelBild: picture alliance/Walter G. Allgöwer/JOKER

"Ich setze auf Freiwilligkeit, scheue aber nicht davor zurück, gesetzgeberisch zu handeln, wo notwendig". Der Agrarminister will aber auch die Verbraucher stärker in die Pflicht nehmen. Schon heute gebe es die Möglichkeit, "mit dem Einkaufskorb Politik zu machen", sagte er. Wer den Tierschutz einfordere, müsse auch bereit sein, für das Wohl der Tiere den Preis zu bezahlen, von dem die Erzeuger leben können. Mit 33 Millionen Euro sollen die Ausgaben für den Tierschutz im nächsten Haushaltsjahr gegenüber 20,5 Millionen Euro 2014 deutlich steigen.

In zwei Jahren will Schmidt entscheiden, ob Bedarf für gesetzliche Regelungen besteht, sollte bis dahin keine sichbare Verbesserung des Tierwohls erkennbar sein.

Kritik von allen Seiten

Ute Vogt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sagte zu der Tierschutzinitiative: "Wir begrüßen außerordentlich, dass Landwirtschaftsminister Schmidt die Probleme beim Tierschutz aufgreift. Eine weitere zweijährige Diskussionszeit ist allerdings absolut überflüssig. Das wäre ein Moratorium des Missstandes. Die Probleme sind bekannt, die Lösungen auch. Deshalb sind wir bereit, mit Minister Schmidt das Tierschutzgesetz auf den neuesten Stand zu bringen. Je zügiger, desto besser."

Tiertransport
Auf dem Weg zum Schlachthof - Rinder im ViehtransportBild: dpa

Harscher fällt die Kritik der Opposition aus: "Statt bloßer Lippenbekenntnisse muss der Minister endlich Fakten schaffen", sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Für ihn sind die Zustände in der Massentierhaltung und bei Tierversuchen vollkommen unhaltbar. "Hier auf bloße Selbstkontrolle der Industrie zu setzen, ist zynisch", erklärte Hofreiter. Helmut Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, fordert höhere gesetzliche Standards - "und zwar sofort".

Bundesminister Schmidt will sich nicht unter Druck setzen lassen: "Den Tieren muss es am Ende dieser Legislaturperiode besser gehen als heute", sagte er zum Start seiner Tierschutz-Initiative. Das ist 2017.