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Timoschenkos Menschenrechte verletzt

Roman Goncharenko30. April 2013

Die Untersuchungshaft gegen die ehemalige Ministerpräsidentin der Ukraine, Julia Timoschenko, war "willkürlich". Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden.

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Portrait von Julia Timoschenko (Foto: EPA/SERGEY DOLZHENKO)
Portrait von Julia TimoschenkoBild: picture alliance/Maximilian Schönherr

Es wirkte wie eine Flucht: Der Vertreter der Ukraine lief mit einem versteinerten Gesicht aus dem Saal des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Er ließ Pressefragen unbeantwortet. In einer öffentlichen Sitzung am Dienstag (30.04.2013) hat der EGMR der Beschwerde der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in mehreren Punkten statt gegeben.

In nur acht Minuten erklärte der Luxemburger Richter Dean Spielmann, der auch Präsident des Gerichtshofs ist, das, worauf Timoschenko mehr als 20 Monate in Haft warten musste. Nämlich, dass beim Prozess gegen die Oppositionsführerin im Jahr 2011 die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt wurde.

"Ungesetzlich und willkürlich"

Der Gerichtshof stellte fest, "dass die Anordnung der Untersuchungshaft gegen Frau Timoschenko willkürlich war". Die Rechtmäßigkeit der Haft sei nicht angemessen geprüft worden. Sie habe auch keine Möglichkeit gehabt, für ihren unrechtmäßigen Freiheitsentzug Schadenersatz zu beantragen. Die Artikel 5 und 18 der Menschenrechtskonvention seien verletzt worden, darunter das Recht auf Freiheit und Sicherheit.

Portrat von Serhij Wlasenko (Foto: AFP PHOTO / FREDERICK FLORIN)
Julia Timoschenkos Vertreter Serhij Wlasenko hört gespannt dem Gericht zuBild: Getty Images

"Die höchste richterliche Instanz in Europa hat zum ersten Mal eine juristische Einschätzung zum Prozess gegen Timoschenko abgegeben", freute sich Timoschenkos Vertreter Serhij Wlasenko nach dem Urteil. Er habe zwar mit einer positiven Entscheidung gerechnet, doch die Einstimmigkeit der Richter in so vielen Punkten habe ihn überrascht, sagte er der Deutschen Welle. Der Gerichtshof habe festgestellt, dass Timoschenkos Verhaftung "ungesetzlich und willkürlich" gewesen sei. Außerdem habe der Gerichtshof "politische Motive der Verfolgung" der Oppositionspolitikerin festgestellt. Damit habe die Klägerin in den "zwei wichtigsten Punkten" Recht bekommen, so Wlasenko.

Julia Timoschenko war am 5. August 2011 verhaftet worden. Zweieinhalb Monate später verurteilte ein Gericht in Kiew die frühere Ministerpräsidentin der Ukraine zu sieben Jahren Haft und einer Geldstrafe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Timoschenko bei der Unterzeichnung von Gasverträgen mit Russland im Jahr 2009 ihre Kompetenzen als Regierungschefin überschritten habe. Der Prozess und das Urteil lösten eine Welle internationaler Kritik aus.

Schwere Vorwürfe gegen ukrainische Justiz

Ein Blick ins Detail macht deutlich, wie kritisch die europäischen Richter das Verfahren gegen Timoschenko sehen. "Unvereinbar" mit Artikel 5 der Menschenrechtskonvention sei die Anordnung der Untersuchungshaft für unbestimmte Zeit gewesen. Auch die Begründung, die das Kiewer Gericht damals dazu lieferte, wiesen die Straßburger Richter zurück. Der Freiheitsentzug sei nicht zu rechtfertigen gewesen mit dem Hinweis auf eine angebliche Behinderung des Strafverfahrens durch Frau Timoschenko.

Die Richter des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte während der Verkündung des Urteils im Fall Timoschenko (Foto: AFP PHOTO / PATRICK HERTZOG)
Timoschenkos Vorwürfe einer politisch motivierten Justiz bestätigten die Straßburger Richter nur indirektBild: Patrick Hertzog/AFP/Getty Images

Der EGMH bemängelte auch die Passivität ukrainischer Gerichte, als es um Timoschenkos Beschwerden ging. "Sie beschränkten sich auf die Feststellung, eine Berufung gegen die Entscheidung sei nicht möglich". Timoschenkos Anspruch auf eine "zügige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung" sei dadurch verletzt worden.

Timoschenkos Vorwürfe einer politisch motivierten Justiz haben die Straßburger Richter nur indirekt bestätigt. Sie kamen aber zu dem Schluss, Timoschenkos Untersuchungshaft habe "im Wesentlichen als Vergeltung für die Missachtung des Prozessgerichts gedient ". Die ukrainische Oppositionspolitikerin sei nicht verhaftet worden, um sie vor Gericht zu stellen, "sondern aus anderen Gründen", so das Gericht.

Beschwerde wegen Haftbedingungen abgelehnt

In einigen Punkten wurde keine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt. Sie betreffen vor allem die Haftbedingungen. Zu wenig Tageslicht, schlechtes Wasser und keine Heizung in Timoschenkos Zelle - das alles sei zwar problematisch, aber nicht schwerwiegend, fanden die Straßburger Richter. Auch Timoschenkos Beschwerde über eine Videoüberwachung rund um die Uhr ließen sie nicht zu, weil sie dagegen nicht vor allen ukrainischen Instanzen geklagt habe.

Auch Timoschenkos Behauptung, sie sei bei ihrer Verlegung in eine Klinik im April 2012 misshandelt worden, haben die Straßburger Richter nicht akzeptiert. Der Vorwurf habe nicht eindeutig geklärt werden können, weil Timoschenko mehrere gerichtsmedizinische Untersuchungen abgelehnt hatte.

Freilassung unwahrscheinlich

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Jede Partei kann nun innerhalb von drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Fall müsste dann vor der Großen Kammer des EGMR verhandelt werden.

Timoschenkos Vertreter Wlasenko forderte unmittelbar nach dem Urteil die ukrainische Justiz auf, die Oppositionsführerin sofort freizulassen. Dies gilt aber als unwahrscheinlich. Denn in Kiew läuft noch ein weiterer Prozess gegen Timoschenko. Hinzu kommen Ermittlungen in einem weiteren Verfahren.