Tobias Heine - Benzin im Blut
20. September 2015Der junge Mann, der mir auf dem kleinen Provinzbahnhof in Oschersleben entgegenkommt, strahlt gelassene Zuversicht aus. Der lässt sich nicht so schnell unterkriegen, denke ich. Außer mir kommt sonst niemand an. Auf dem Anhänger hinter seinem Auto blinkt ein knallgelber Rennwagen in der Sonne, gepflastert mit Aufklebern. Tobias' Mutter ist auch da, und begrüßt mich freudig. Sie ist sehr motorsportbegeistert, wird im kurzen Gespräch auf dem leeren Parkplatz deutlich.
Nach kurzer Autofahrt biegen wir auf das Gelände des hiesigen Motorsportclubs MSC Oschersleben ein. Schon von weitem sehe ich eine Ansammlung auf Hochglanz polierter Pokale auf einem niedrigen Campingtisch – alles extra für den Reporterbesuch aus dem Westen aufgebaut. Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Mitten in der hügeligen Landschaft, die am Horizont das Mittelgebirge vom Harz erkennen lässt, steht eine offene Überdachung. Wellblechdach, keine feste Garage. Im Fahrzeug sitzt der Vater von Tobias und lässt den Motor in Etappen aufheulen. Der blaue Golf älteren Baujahrs sieht nur rudimentär nach einem Auto aus. Klingt nach Power und Pferdestärken. 130 PS erklärt mir der Opa von Tobias, der auch mit hierher gekommen ist.
Mehrgenerationenprojekt: Motorsport
Seine Begeisterung für alles, was mit Motoren, Rädern und Fahrzeugen zu tun hat, sei schon von Kindesbeinen an geweckt worden, erzählt Tobias, während sein Vater das Auto präpariert. "Wir haben noch ein kleines Moped, mit dem ich angefangen habe im Alter von acht, neun Jahren. Wir haben uns leer stehende Plätze gesucht, wo ich dann selber mal fahren durfte. Das waren meine ersten Fahranfänge. Und das hat sich dann immer weiter gesteigert."
Alle in seiner Familie sind autobegeistert: "Mein Vater ist im Motorsportclub, mein Großvater (im Bild rechts) ist im Motorsportclub", erzählt der 25-Jährige. "Und mein Urgroßvater, der gestorben ist, bevor ich überhaupt auf die Welt gekommen bin, war auch aktiv im Motorsport." Man merkt ihm den Stolz auf diese Familientradition an. Sein Uropa sei noch Motorrad-Rennen mit Beiwagen gefahren, berichtet er. Davon würde er auch träumen, aber bislang gab es keine Gelegenheit.
Der Vater macht den umgerüsteten Rennwagen startklar. Innen sind Verkleidung und Polsterung überall rausgerissen, alles auf das Nötigste an Technik reduziert. Der sperrige Kühler ist auf dem Rücksitz der Blechkiste montiert, im Motorraum ist kein Platz. Einen Beifahrersitz gibt es erst gar nicht, an dessen Stelle laufen dicke Kühlungsschläuche im Innenraum lang, daneben griffbereit ein Feuerlöscher. Selbst Gas- und Bremspedal haben keine Gummierung. Der Fuß des Rennfahrers müsse alles millimetergenau genau beim Gas geben fühlen, erklärt mir Tobias.
Risikoreiche Rennstrecke
Tobias Vater dreht ein paar Runden auf dem Gelände des Motorsportvereins. Steigungen von fast 70 Grad, schlammige Kurven, abschüssige Talfahrten – die Strecke verlangt dem Fahrer einiges an Können und Geschicklichkeit ab. Das Auto ist nach kürzester Zeit schlammbedeckt. Jetzt ist Tobias dran. Unter den wachen Augen seines Vaters legt er die professionelle Fahrermontur an: feuerfester Rennfahreranzug, Unterkappe aus Baumwolle, stabiler Helm. Und dicke Lederhandschuhe, damit er nicht abrutscht bei den heftigen Lenkbewegungen, die manchmal nötig sind, um den schleudernden Wagen auf Kurs zu halten.
Mit heulendem Motor steuert Tobias zielstrebig auf die Rennpiste zu, den Blick hochkonzentriert nach vorn gerichtet. Sein Opa kann gerade noch zur Seite treten, damit ihn die Schlammbrocken von den Reifen nicht treffen. Die erste Runde fährt Tobias noch mit reduziertem Tempo, aber nach zwei, drei Runden gibt er richtig Gas. Und rast voll in eine Schlammkurve rein, wo er steckenbleibt. Besorgter Blick vom Vater, aber der Grund ist ganz banal. Er sei an den zentralen Stromhebel gekommen, der mit einem Schlag jegliche Elektrik abschaltet, berichtet uns Tobias später. Pech, aber er kommt schnell wieder in Fahrt. Nach zehn Runden winkt der Vater den Sohn ins Fahrerlager.
Erschöpft streift Tobias den Helm vom Kopf, nachdem er aus dem engen Überrollkäfig geklettert ist, der die Fahrzeughülle stabilisiert. Er ist völlig verschwitzt. Das Lenken in diesem tiefgängigen Schlammgelände ist anstrengend. Lachend deutet er auf das schlammverkrustete Fahrzeug. "Wir versuchen wirklich das letzte bisschen rauszukitzeln an Leistung, an Fahreigenschaften, was der Motor und der Wagen eben hergibt. Das ist ein Stück weit auch experimentieren." Alle ihre Fahrzeuge schrauben sie in ihrer eigenen Werkstatt. "Aber genau das macht auch Spaß", setzt er dazu.
Leidenschaft für alles, was Räder hat
Eine Stunde später sitzen wir in genau der Werkstatt, von der er vorhin mit herzerfrischender Begeisterung erzählt hat. Ein wahres Biotop für Schrauber! Alle Regale sind vollgestopft mit Werkzeug, Ölkannen, Ersatzteilen, Reifen lehnen in der Ecke. "Deswegen hat man hier diesen typischen Rennwagengeruch, mit ein bisschen Öl dazu." In der Mitte ist eine Grube mit dicken alten Balken abgedeckt, so kann man Fahrzeuge von unten untersuchen. Sein Urgroßvater hat die schon gebaut.
"Meine handwerklichen Fertigkeiten habe ich alle hier gelernt", sagt Tobias und sinkt in einen alten ausgebauten Autositz, der als Sessel dient. Zwischen Bachelor- und Masterstudium hat er als Instandsetzungs-Ingenieur in einem mittelständischen Betrieb gearbeitet. "Und der war glücklicherweise so klein, dass ich alle Aufgaben zu tun hatte: vom Ölwechsel über Fehlersuche und Projektierung bis zur Umsetzung des Umbaus von Maschinen", zählt er auf. "Und da kam mir wirklich zugute, was ich nicht in der Berufsausbildung, sondern bei meinem Vater in der Werkstatt gelernt habe."
Ich frage ihn, ob das Aufmotzen ihrer Rennwagen was mit Tuning zu tun hat. Er schüttelt vehement den Kopf. "Das sind diese tiefer gelegten Autos mit extra Spoiler, die über keinen Bordstein und keine Bahnschwelle drüber kommen. Wir wollen wirklich was aus dem Fahrzeug rausholen, damit wir das vernünftig auf der Rennstrecke bewegen können. Und von daher ist es mehr eine Optimierung als ein Tunen." Man merkt ihm den professionellen Stolz des Rennfahrers an. Das ist seine Welt. Das sei auch der Hauptgrund gewesen, weshalb er beim Technischen Hilfswerk (THW) angefangen habe, fügt er hinzu. "Ich hatte den LKW-Führerschein gemacht, weil ich einfach von diesen großen Fahrzeugen fasziniert bin und früher als Kind die Leute bewundert habe, die diese großen Fahrzeuge zielgerichtet um ganz enge Kurven fahren konnten. Mein Geld damit verdienen wollte ich nicht unbedingt damit und so bin ich aufs THW gekommen."
Rettungsdienst mit starken Nerven
Inzwischen ist der 25-Jährige bei zwei Einsatzgruppen vom THW dabei, Ortsgruppe Quedlinburg. Sie sind zuständig für die Ortung und Rettung von Verschütteten und für Einsätze bei Hochwasser. Als mobile Vorzeigetruppe werden sie gern vom Bundesinnenministerium angefordert, gerade waren sie wieder in Berlin im Einsatz. Er kommt ins Erzählen, berichtet von bewegenden Momenten, wenn sie nach einem Brand einen Stapel frischgewaschene weiße Wäsche im Treppenhaus eines völlig zerstörten Hauses finden.
Man spürt wieder die fröhlich-ernsthafte Leidenschaft für dieses Ehrenamt, wie für den Motorsport. Er ist voll dabei, jederzeit abrufbar, wenn Not am Mann ist. Das kostet ihn so manches Wochenende, aber das gehört dazu. Er blickt auf die Uhr, wir haben die Zeit völlig vergessen. Draußen vor der Werkstatt dämmert schon der Spätsommerabend. "Hier drinnen kann man auch den Alltag, den man so immer hat, ein Stück weit einfach vergessen", sagt er halb im Gehen. "Und hinterher ist man stolz darauf, wieder was geschafft zu haben." Er müsste längst bei seinen THW-Kollegen am Stützpunkt Quedlinburg sein. Zügig schmeißt er sich in seine THW-Montur, packt alles Nötige ein. In Sekunden einsatzbereit, dass ist ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen.