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Todenhöfer: "IS gefährlichste Terrorarmee der Welt"

Matthias von Hein24. April 2015

Der IS bringt Journalisten vor laufender Kamera um. Dennoch reiste der Publizist Jürgen Todenhöfer in vom IS beherrschte Gebiete. Nun erscheint sein neues Buch. Mit der DW sprach er über seine Eindrücke.

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Jürgen Todenhöfer (Foto: piccture alliance/ZB)
Bild: picture alliance/ZB

Deutsche Welle: Sie hatten im vergangenen Dezember zehn Tage lang Zeit, den sogenannten Islamischen Staat von innen kennenzulernen. Was ist - auch angesichts des hohen persönlichen Risikos - das wichtigste und zentrale Fazit dieser Reise?

Jürgen Todenhöfer: Das ist erstens: Der IS ist die gefährlichste Terrorarmee, die die moderne Geschichte gesehen hat. Das ist zweitens: Wir haben diesen Terrorismus selbst geschaffen durch unsere Anti-Terror-Kriege - hier durch den Irak-Krieg. Wir hatten nach dem 11. September 2001 knapp 1000 internationale Terroristen in den Höhlen Afghanistans. Heute haben wir 100.000 internationale Terroristen. Also: Wir haben diesen Terrorismus mit unseren Bombenstrategien selber mit geschaffen.

Und nachdem ich diese Leute zehn Tage erlebt habe, ihre Professionalität erlebt habe, ihren Fanatismus erlebt habe, kann ich nur an die Bundesregierung appellieren, sich für eine politische Lösung im Irak einzusetzen, und auch in Syrien. Und die heißt: Mehr Rechte für die Sunniten.

Und nachdem ich festgestellt habe, dass all das, was der IS vertritt, mit Islam überhaupt nichts zu tun hat, kann ich allen jungen Leuten im Westen und auch sonst auf der Welt nur sagen: Geht da nicht hin. Das hat mit dem Islam so viel zu tun wie der Klu-Klux-Klan mit dem Christentum: nichts. Ihr schadet dort eurer Religion. Im Grunde ist das kein Islamischer Staat, sondern ein "Antiislamischer Staat". Der müsste eigentlich AIS heißen.

IS Zerstörung Hatra UNESCO Welterbe Mosul Irak (Photo: AP Photo/Militant video)
Was in den Augen des IS nicht islamisch ist, wird zerstörtBild: picture-alliance/AP Photo/Militant video

Wir nehmen den IS vor allem als Terrororganisation wahr. Wie viel von einem Staat, den der IS ja in seinem Namen trägt, ist denn in der von Ihnen besuchten Stadt Mossul zu erkennen?

Sie sehen dort nichts von dem, was Sie in den Propagandavideos sehen. Viele Menschen denken, dass da den ganzen Tag Autos auffahren mit schwarz maskierten Männern, die ihre Maschinenpistolen in die Luft recken, dass da permanent Menschen enthauptet werden. Das ist nicht der Fall. In Mossul wirkt alles recht normal. Sie haben einen starken Autoverkehr. Sie haben in den Straßen und Gassen, wo die Märkte und Geschäfte sind, ganz normal einkaufende Leute, die sich frei bewegen. Sie sehen dort nichts vom Islamischen Staat.

Sie sehen gelegentlich Fahnen. Die Autoschilder tragen den Stempel des Islamischen Staates. Und die Polizisten haben eine Uniform, die vom Islamischen Staat ist, aber die ganz normal aussieht. Es gibt eben die Normalität des Bösen. Und die erlebt man, wenn man da hingeht.

Gibt es denn da so etwas wie eine staatliche Struktur mit Verwaltung, Gerichten und Krankenhäusern?

Ich war selbst mal Staatsrechtler. Und ich habe mich mit wirklich kompetenten Staatsrechtlern unterhalten. Die sind der Auffassung: Das ist de facto ein Staat. Der hat de facto die Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet. Die Bevölkerung akzeptiert das zu einem großen Teil. Er hat eine Verkehrspolizei. Er hat eine normale Polizei, das sind also keine IS-Kämpfer. Er hat eine Gerichtsbarkeit, die Zivilstreitigkeiten erledigt und die von den Leuten dort sehr gelobt wird, weil sie nicht korrupt ist. Die sagen: "Hier kriegen wir schnell eine Entscheidung und müssen nicht dafür bezahlen. Vorher mussten wir bezahlen und lange warten."

Sie ziehen Steuern ein - das ist ja auch eines der ersten Dinge, die Staaten zu machen pflegen. Und sie haben eine gewisse Gesundheitsvorsorge. Sie haben die Krankenhäuser, die funktionieren. Die allerdings unter dem Problem leiden, dass es wenig Medikamente gibt, weil die Medikamentenzufuhr von Bagdad aus boykottiert wird. Aber das ist ein funktionierender Staat.

Ich kannte Mossul. Ich war dort vor dem Irak-Krieg - zur gleichen Jahreszeit, 2002. Und ich habe keine entscheidenden Unterschiede feststellen können. Allerdings muss ich da präzisieren: Wenn ich 2002 in Mossul im Christenviertel gewesen wäre, in den multikulturellen Ecken und Vierteln, die die Stadt ja berühmt gemacht haben, dann hätte ich jetzt einen Unterschied gesehen. Weil alle Nicht-Sunniten, das heißt, alle Schiiten, alle Christen, Jesiden vertrieben worden oder geflohen sind. Aber das sehen Sie halt nicht, wenn sie nicht gerade an die Plätze gehen, wo die Christen, Jesiden und Schiiten gelebt haben.

Irak Mossul: Jesiden flüchten im August 2014 über das Sinjar Gebirge in sichere Kurdengebiete (Photo: Emrah Yorulmaz - Anadolu Agency)
Vermeintlich Ungäubigen bleibt nur die Flucht oder der TodBild: picture-alliance/AA/E. Yorulmaz

Die einen werden vertrieben oder fliehen, die anderen gehen freiwillig hin. In Deutschland, in Europa wundert man sich, dass Tausende von Menschen freiwillig in den vermeintlichen Dschihad und in das Herrschaftsgebiet dieser Terrormiliz ziehen. Sie konnten mit solchen Leuten sprechen. Warum gehen die da hin?

Ich war in einem Rekrutierungscenter in der Nähe der Grenze, da kamen jeden Tag über 50 Leute an. Und es gibt mehr als eine Handvoll derartiger Rekrutierungscenter.

Und die kommen mit einer Begeisterung an! Das sind nicht nur irgendwelche Dumpfbacken, sondern teilweise hochintelligente Leute. Ein junger Mann kam aus der Karibik, elegant gekleidet, Ray-Ban-Sonnenbrille. Ich habe den gefragt: "Was machen Sie denn hier?" Und der sagte: "Ich habe gerade mein zweites Staatsexamen gemacht in Jura. Ich bin bei Gericht zugelassen. Aber ich möchte für den Islamischen Staat kämpfen, wo immer man mich braucht."

Als wir ein anderes Mal durch die Straßen von Mossul gehen, steht da plötzlich ein großer, schlanker, blonder Mann. erkennbar kein Iraker. Dann ist das ein Schwede, und der sagt: "Ich habe hier die beste Zeit meines Lebens!" Da hat eine Gehirnwäsche stattgefunden, die einen unglaublichen Erfolg hat. Der IS ist nicht nur sehr stark und hat inzwischen ein Gebiet von der Größe Großbritanniens unter Kontrolle, sondern der IS ist für eine bestimmte Gruppe junger Leute äußerst attraktiv.

Diese jungen Leute sehen ja, wie im Islamischen Staat enthauptet wird, wie verbrannt wird, wie gefoltert wird, wie Hände abgeschlagen werden. Aber die sagen: "Es gibt hier ganz wichtige Gründe, warum das jetzt richtig ist. Der Schwache kann nicht großzügig sein, der Schwache muss brutal sein." Also eine grauenvolle und aus meiner Sicht sehr gefährliche Entwicklung.

Was könnte denn aus Ihrer Kenntnis der Region heraus ein Ansatz zur Bekämpfung des IS sein?

Es kann nur eine politische Lösung geben. Eine militärische Lösung wird es nicht geben. Da zählen auch nicht die militärischen Erfolge, die die Amerikaner behaupten. Wenige Stunden, nachdem Tikrit, wie die Amerikaner sagten, "gereinigt worden ist", hat der IS Ramadi eingenommen, das viel größer ist. Inzwischen hat er die ganze Provinz Anbar eingenommen. Inzwischen beherrscht er Teile von Libyen. Inzwischen verübt er Anschläge möglicherweise in Afghanistan. Das ist ein krebsartiges Phänomen, und ich warne vor allen militärischen Erfolgsmeldungen. Geschlagen werden kann der IS nur, wenn es gelingt, die sunnitische Bevölkerungsgruppe - das sind vielleicht 35 Prozent der Iraker - wieder voll und gleichberechtigt ins politische Leben zu integrieren. Ohne diese nationale Versöhnung geht es nicht.

Der ehemalige Politker und Medienmanager Jürgen Todenhöfer arbeitet heute als Journalist und Publizist. Am 27. April erscheint sein Buch "Inside IS - 10 Tage im Ismalischen Staat".

Das Interview führte Matthias von Hein.