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Toleranz als gesellschaftliche Grundtugend

Klaus Dahmann10. November 2004

Das geschellschaftliche Klima in den Niederlanden seit dem Van-Gogh-Mord zeigt: Probleme müssen gelöst, nicht ignoriert werden.

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Klaus Dahmann

Über Jahrzehnte hinweg galten die Niederlande als geradezu beispielhaft. Toleranz schien eine der gesellschaftlichen Grundtugenden zu sein, Intergrationsprobleme waren trotz eines vergleichsweise hohen Migrantenanteils der Gesamtbevölkerung offiziell unbekannt. Doch spätestens seit der Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh zeigt sich ein ganz anderes Bild.

Ist es der berühmte Funke, der ausreicht, um in den Niederlanden einen Flächenbrand zu entfachen? Die Ereignisse, die der grausamen Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh durch einen Marokkaner folgten, sind in der Tat alarmierend: Anschläge auf muslimische Schulen und Moscheen, dann Racheakte gegen christliche Gotteshäuser, und nun die Drohung einer radikal-islamischen Gruppe, das Land mit Terror zu überziehen. Die kriminelle Tat eines Einzelnen hat Extremisten auf den Plan gerufen, die, so scheint es, nun plötzlich das Geschehen bestimmen.

Die Politiker wirken hingegen unbeholfen und orientierungslos. Es ist, als wachten sie plötzlich auf aus ihrem schönen Traum vom Integrationsparadies Niederlande. Und einige versuchen nun die Tabus zu brechen, die die als vorbildlich gepriesene Multikulti-Gesellschaft aufgebaut hat. Zum Beispiel der Amsterdamer

Bürgermeisters Job Cohen, der offen aussprechen wollte, was viele dachten und fühlten: Dass es "Hass und Angst zwischen den Bevölkerungsgruppen" gebe. So ehrlich solche Worte auch sein mögen - sie bestätigen am ehesten die Extremisten in ihrer Überzeugung, dass Gewaltakte die richtige Lösung seien.

Es ist unbestritten, dass man jahrzehntelang Probleme und Konflikte ignoriert und mit schönen Parolen übertüncht hat. Toleranz wurde mit Verschweigen verwechselt. Es reicht eben nicht, Einwanderern die Sprache beizubringen, einen niederländischen Pass und etwas Startgeld in die Hand zu drücken - wenn man sich danach nicht um die

soziale Integration kümmert. In den Städten sind Ghettos entstanden, die der Kontrolle der Polizei entgleiten. Hinzu kommt eine hohe Schulabbrecher- und Arbeitslosenquote, gerade unter marokkanischen und türkischen Migranten. Wegschauen allein kann diese Probleme nicht lösen.

Zumal sich seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ohnehin das Klima gewandelt hat: Wenn sich Muslime in westlichen Gesellschaften unter Generalverdacht gestellt fühlen, potenzielle Terroristen zu sein, so muss man auf diese Ängste eingehen. Und deshalb ist auch nicht das richtige Rezept, - wie es namhafte niederländische Politiker fordern - die Hürden für Einwanderer zu erhöhen. Denn das

würde nur jenen Recht geben, die Brandsätze gegen muslimische Einrichtungen geschleudert haben.

Was in den Niederlanden passiert ist und womöglich noch passieren wird, davor sind auch andere Länder nicht gefeit. Und es sollten nicht die falschen Schlüsse gezogen werden: Falsch in den Niederlanden ist nicht, dass der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung so hoch ist - sondern die Tatsache, dass man die Probleme der Integration einfach ignoriert hat. Auf der Suche nach wirklich wirksamen Integrationskonzepten ist man auch in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht weit vorangekommen.

Jetzt, da das strahlende Vorbild Niederlande bröckelt, ist vielleicht die Chance da, Ideen zu entwickeln. Und vor allem: sie dann auch umzusetzen.