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Toren: "Warum so lange warten?"

Susanne Lenz-Gleissner/ suc11. November 2014

Der New Yorker Anwalt David Toren ist Erbe eines Gemäldes von Max Liebermann, das sich in der Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt befand. Im DW-Gespräch schildert er seinen langen Kampf um die Rückgabe des Bildes.

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David Toren
Bild: DW/S. Czimmek

Die Erinnerung an das Bild "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann begleitet den New Yorker Anwalt David Toren (89) schon sein Leben lang. Es hing in der Villa seines Großonkels David Friedmann. Im August 2014 kam der Ausschuss "Schwabinger Kunstfund" zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Bild von Max Liebermann aus dem Gurlitt-Fund um Raubkunst handelt und den "heute noch lebenden Erben von David Friedmann NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde". Der verstorbene Kunstsammler Cornelius Gurlitt hat seinen Besitz dem Berner Kunstmuseum vermacht. Am 26. November 2014 wird das Museum bekanntgeben, ob es das Erbe annimmt. Was könnte die Entscheidung für David Toren bedeuten? DW-Reporterin Susanne Lenz-Gleissner traf ihn in seiner Wohnung in Manhattan.

DW: Was halten Sie von der deutschen Vorgehensweise in Sachen Raubkunst? Das betrifft ja auch Ihr Bild.

David Toren: Ich finde das ganz fürchterlich. Die "Zwei Reiter am Strand" tauchten schon vor über zwei Jahren in Gurlitts Münchener Wohnung auf. Warum dauert das so lange? Diese Verzögerung hat mich dazu gebracht, beim Bundesgericht in Washington Klage gegen Deutschland und Bayern zu erheben, damit das Ganze schneller vorangeht. Ich gehe zweigleisig vor. Zum einen ist da der Arbeitsausschuss, die Task Force, mit dem ich persönlich nichts zu tun habe. Sie machen ihre Arbeit. Zum anderen ist da meine Klage – und ich bin der einzige, der gegen Deutschland und Bayern geklagt hat, die Bilder zurückzugeben. Dafür gab es übrigens gute Presse, auch in Deutschland. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Süddeutschen Zeitung" und die "Zeit" haben hervorragende Artikel veröffentlicht, die alle den gleichen Tenor hatten: Jetzt müssen Berlin und München endlich handeln.

Der Prozess läuft noch?

Er läuft – aber ziemlich langsam, weil Deutschland und Bayern das Recht haben, die Klage hinauszuzögern. Eigentlich gibt das US-amerikanische Recht vor, dass ein ausländischer Staat vor einem Prozess in unserem Land gefeit ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Und ich baue auf genau so eine Ausnahme. Ich habe die Klage am 5. Mai dieses Jahres eingereicht, und erst jetzt lässt sich Deutschland durch eine Anwaltskanzlei aus Washington vertreten. Und die hat, wie das so üblich ist, einen Antrag gestellt, die Klage abzuweisen. Das Ganze wird sich Jahre hinziehen.

Max Liebermanns Gemälde "Zwei Reiter am Strand"
Um dieses Gemälde des Malers Max Liebermann geht es bei dem RechtsstreitBild: DW/S. Czimmek

Können Sie als Anwalt das komplizierte Rechtsverfahren nachvollziehen?

Ja, das kann ich. Aber es ist nicht fair, dass Leute wie ich - also die Erben der gestohlenen Bilder - uns in Unkosten stürzen und viel Zeit investieren sollen, um an unser rechtmäßiges Eigentum zu kommen. Das sollte schneller vorangehen. Als die ganze Sache publik wurde, haben mehrere Länder Deutschland gebeten, den Prozess zu beschleunigen - denn auch die Erben der ursprünglichen Eigentümer sind nicht mehr die jüngsten.

Die meisten Bilder wurden um 1938, 1939 von der Gestapo gestohlen. Das ist über 75 Jahre her. Und wir Erben? Ich werde im nächsten April 90. Mein Bruder und Miterbe starb vor vier Monaten. Er war 93. Warum müssen wir so lange warten? Natürlich liegen die Dinge mittlerweile etwas anders, weil Gurlitt in seinem Testament all seine Besitztümer dem Berner Kunstmuseum vermacht hat. Das war für deutsche Museen ein bitterer Schlag.

Glauben Sie, dass das Museum in Bern das Erbe antreten wird?

Natürlich, warum auch nicht? Wahrscheinlich müssen sie Steuern entrichten, wenn sie all diese Bilder bekommen, und sie werden ein neues Gebäude brauchen. Aber die Gemälde sind bestimmt eine Milliarde Dollar wert. Warum sollten sie das Erbe also ausschlagen?

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Roland Lauder hat gesagt, das Berner Museum würde die Büchse der Pandora öffnen, wenn es Gurlitts Vermächtnis annimmt. Was meint er damit?

Nun ja, er will damit sagen, dass viele Leute die Bilder als ihr Eigentum beanspruchen werden.

Könnte das für das Museum ein Grund sein, das Erbe auszuschlagen?

Das könnte tatsächlich ein Grund sein. Ich habe einen Brief vom Anwalt des Berner Kunstmuseums erhalten. Er schreibt, wenn das Museum das Erbe annimmt, würde ich mein Bild zurückbekommen. Sie akzeptieren die Entscheidung der Task Force, und ich bekomme mein Bild. Er fragte mich auch nach den Namen der anderen Erben. Mein Bruder ist zwar gestorben, aber er hat drei Töchter, die wiederum ihn beerben. Insgesamt sind wir also vier Erben. Es ist also schwer zu sagen, wer das Gemälde bekommen wird. Wir haben das noch nicht entschieden.

Hoffen Sie aufgrund dieser Zusage des Kunstmuseums, dass man in Bern das Erbe akzeptiert?

Nein. Wenn sie es ausschlagen, ist da ja noch meine Klage. Der Prozess wird mir mein Bild verschaffen.

Wie sollte Deutschland Ihrer Meinung nach mit Raubkunst der Nazis umgehen?

Man sollte nachforschen, woher die Gemälde ursprünglich stammen. Manchmal ist das gar nicht so leicht. Aber wenn man nachweisen kann, dass ein Gemälde mal Herrn Soundso gehörte, sollte man sich auf die Suche nach den Erben machen. Und wenn man sie findet, muss man ihnen das Kunstwerk zurückgeben.

Welche Erinnerung haben Sie an das Liebermann-Gemälde, das Sie jetzt zurückfordern?

Nicht allzu viele. Ich habe Deutschland verlassen, als ich 14 Jahre alt war. Das Gemälde habe ich zum letzten Mal einen Tag nach der Reichskristallnacht, also am 10. November 1938, gesehen. Mein Vater wurde am frühen Morgen von der Gestapo verhaftet - so wie alle jüdischen Männer. Wir wussten, dass man ihn in ein KZ schicken würde. Ich saß in einem kleinen Zimmer, wo dieses Bild "Zwei Reiter am Strand" an der Wand hing. Es war ein dunkler Raum, und an der anderen Wand war eine Lampe befestigt, die das Bild anstrahlte. Ich habe es stundenlang angeschaut, denn ich sollte in dem Zimmer warten. Ich habe das Bild immer gemocht, weil ich Pferde liebe, und da waren gleich zwei davon. Das ist das letzte Mal, das ich das Bild gesehen habe.

David Toren Familienfoto
David Toren mit seinen Eltern in glücklichen TagenBild: DW/S. Czimmek

Welchen Wert hat das Gemälde?

Es geht ums Prinzip. Ich möchte ein Familienerbstück zurück, es gehört uns. Ich habe nichts aus dieser Zeit außer einer Fotografie, die ich damals mit nach Schweden nahm. Meine Eltern wurden nach Auschwitz deportiert und dort vergast. Dieses Gemälde ist ein Erbstück meiner Familie, niemand sonst sollte es besitzen. Es ist eines der wenigen Dinge, die mich an meine Herkunft und an meine Familie erinnern können.

Das Interview führte Susanne Lenz-Gleissner.